Das „Einsiedler Welttheater“ in der Fassung von Autor Tim Krohn und Regisseur Beat Fäh, besucht und rezensiert von Gabriela Bucher – Liechti

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imposantes lichtdesign an der klosterfassade stimmt versöhnlich zum schluss

imposantes lichtdesign an der klosterfassade stimmt versöhnlich zum schluss

Die grandiose Kulisse der Klosterkirche kann den Schauspielern des Einsiedler Welttheaters durchaus ab und zu die Show stehlen, vor allem wenn sie, wie am letzten Juni-Freitag, anfänglich noch von der Abendsonne in ein wunderbar warmes Licht getaucht wird. Trügerisch, denn der kalte Wind, welcher den Schauspielern im übertragenen Sinne um die Ohren weht, erfasste mit voranschreitender Aufführung auch die Zuschauer auf der Tribüne.

Vor der Einsiedler Klosterkirche steht ein Bataillon roter Betonmischer mit weit aufgerissenen Mündern, rechts und links davon Kräne, verteilt über den Platz blaue Toilettenhäuschen und Bauwagen. Strassenarbeiter in orangen Overalls entsorgen herumliegende Kehrichtsäcke. Ein mächtiges Donnern über den Köpfen der Zuschauer kündigt ein Flugzeug an, im hellblauen Abendhimmel kreisen aber nur ein paar aufgescheuchte Krähen. Es sind gerade auch diese ganz kleinen Nebenschauplätze eines Freilichtspieles, welche seinen Reiz ausmachen: Ein Hund bellt ganz ungefragt ins Geschehen, eine Amsel schmettert ihr Lied mitten ins Chaos.

Sie würden uns eine Geschichte erzählen aus der Zukunft, erklären die Strassenfeger, sie spiele an einem See, in der Nähe einer grossen Kirche, davor ein Dorf, welches der Kirche zu Füssen läge wie ein frierendes Hündchen am Kamin. Es ist die Geschichte von Leben und Tod, von unerfüllten Erwartungen, Ängsten und Wünschen, erzählt in 10 ineinander übergehenden Bildern. Protagonisten sind Bauer Bruno mit seinem Ekzem, der reiche Jack mit einer Prädisposition für Alzheimer, der ewige Präsident, der doch nicht „einfach so verrecken“ kann in seiner Position und Luki und Leni, die sich ein Kind wünschen, tausend Kinder, aber gesund müssen sie sein, und schön. Und dann ist da noch der Bettler, welcher seine Erfüllung darin sieht, dem reichen Jack vorübergehend Hoffnung gegeben zu haben, indem er sich als medizinisches Versuchskaninchen zur Verfügung gestellt hat.

Es ist die sehr aktuelle Geschichte des Strebens nach ewiger Jugend, ewiger Schönheit und Perfektion. Gen- und Stammzellenforschung und pränatale Diagnostik sollen helfen, schlechte Gene zu ersetzen wie Zündkerzen und Abschreibfehler bei der Menschschaffung auszumerzen. Ärzte und Forscher verkünden ihre Visionen und Weisheiten, während die Menschen vor ihnen in Ehrfurcht erstarren und die unwürdigsten Untersuchungen über sich ergehen lassen. Das Ganze kommt heftig daher, da wird provoziert, einerseits optisch mit teilweise schreiend neonfarbenen Kostümen und in Gold gekleideten Kunstfiguren, aber vor allem verbal: Es wird gelästert, geflucht und gezankt, dabei wird die allgegenwärtige Musik sehr gezielt eingesetzt: Bauer Bruno zankt sich mit seiner Tochter ums Recht auf ein besseres Leben zu  wimmernden Klängen von singenden Sägen, der Reiche Jack rennt an gegen das Vergessen begleitet von kratzend-kreischenden Geigenklängen, Betonmischer werden als  Perkussionsinstrumente eingesetzt während Demonstrationen und eine Blasmusik begleitet den toten Präsidenten mit einem Trauermarsch. Beinahe märchenhaft und wie aus einer anderen Welt wirken die Musiker, wenn sie in den beleuchteten Bauwagen spielen, überdimensionale Musikdosen, Jahrmarktsattraktion.

Die Grösse des Schauplatzes lässt manchmal vergessen, dass sich hier an die 300 Schauspieler tummeln, trotzdem gibt es Bilder mit grosser Intensität: wenn die Unperfekten  einer nach dem anderen wie umgemäht leblos auf dem Platz liegen, wenn der Chor der Ärzte in blendendem Weiss medizinische Fachausdrücke vor sich hin leiert, wenn Kinder in zu grossen Kleidern aus der Menge heraus geboren werden. Auch Spezialeffekte fehlen nicht, erinnern teilweise an Karls Kühne Gassenschau: Motorradfahrer in leuchtendem Neon brettern die Klosterkirche runter, ein Schaufelbagger führt vor einem Gabelstapler eine Art Balztanz auf, aber vor allem wenn die Klosterkirche zu brennen beginnt, zu zerplatzen droht und unter grossem Getöse riesige Risse in der Fassade entstehen, geht das unter die Haut und fasziniert, wie auch das letzte Bild mit den glutrot erleuchteten Kirchenfenstern und den Kindern, welche dank Lichteffekt in ihren gelben Kostümen schwerelos die Fassade hochklettern.

Am Ende gewinnt das Leben über den Gesundheitswahn, Leni akzeptiert ihr Baby, auch wenn es nicht gesund sein sollte und alle vereinen und verweben sich in einem sich drehenden Menschen-Kreuz mitten auf dem Platz. Da vergisst man einen kurzen Moment den kalten Abendwind.

hier noch Link auf Fotogalerie ab der Welttheaterhomepage:

http://innerschweizonline.ch/wordpress/fotogalerie-ab-homepage-des-www-welttheater-ch/?loggedout=true

Rezension: www.gabrielabucher.ch

Weitere Aufführungen noch bis 7. September, nähere Informationen auf www.welttheater.ch

die Welttheaterproduktion wird unterstützt durch das Migros-Kulturprozent

homepage des migros - kulturprozent durch klick auf bild erreichbar

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