Lucerne Festival am Piano: Rezital 4 Piotr Anderszewski, 26. 11. 2015, besucht von Léonard Wüst

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Das KKL Luzern aussen (c)Ivan Suta

Das KKL Luzern aussen (c)Ivan Suta

Programm:

Johann Sebastian Bach (1685-1750)
Partita e-Moll BWV 830

Karol Szymanowski (1882-1937)
Métopes. Drei Poèmes für Klavier op. 29

Robert Schumann (1810-1856)
Papillons op. 2

Johann Sebastian Bach (1685-1750)
Englische Suite Nr. 6 d-moll BWV 811

Rezension:

Einen mir relativ unbekannten (polnisch – ungarischen) Pianisten zum ersten Mal live zu erleben, ist immer eine ganz spezielle Erfahrung und ein Annäherungsversuch der besonderen Art. Schon die Programmkonstellation war sehr ungewöhnlich, erschien mir gar etwas gewagt und machte natürlich umso neugieriger. Im sehr gut besetzten Konzertsaal packte er Bach an den Wurzeln und liess ihn entstaubt völlig modern erklingen, zeitgemäss, schnörkellos aber dennoch mit sehr viel Passion, was sich aber trotzdem fröhlich und entspannt anhörte, dies alles mit sehr viel Respekt, aber ohne Furcht vor dem Allmächtigen, dem Übervater aller Komponisten und Musikern, dargeboten. Nicht distanziert kühl, sondern mit viel Herzlichkeit, die wohlige Wärme verbreitete und in eine akustische Wohlfühloase entführte, staunend, wo der Pianist so viele Finger hernimmt für die unzähligen Noten, die von Bach in den Partituren untergebracht wurden. Besonders ersichtlich auch durch Anderszewskis Körpersprache, die auffällig längere Fixierung der Tastatur ganz zu Beginn, den wiegenden Oberkörper bei der Sarabande. Fasziniert und gebannt, Aug und Ohr höchst konzentriert, damit einem kein Detail entgeht von diesem 35minütigen Hochgenuss, der den Konzertsaal in eine strahlende Kathedrale verwandelte. Das Publikum wusste das auch entsprechend zu würdigen, nicht überbordend, sondern mit der gebührenden Hochachtung und Dankbarkeit für diese halbe Stunde, während der man irgendwie in die Ewigkeit blicken konnte, zumindest eine kleine Ahnung spürte, wie die in etwa sein könnte, so es sie denn gibt.

Piotr Anderszewski(c)MG de Saint Venant

Piotr Anderszewski(c)MG de Saint Venant

Dann der Spagat zum, leider selten gespielten, Meisterwerk „Métopes“ seines oft unterschätzten Landmannes Karol Szymanowski, das aber immerhin auch zum Repertoire des ebenfalls polnisch stämmigen Ausnahmepianisten Arthur Rubinstein (1887 – 1982) gehörte. Szymanowski hat die frühgeschichtlichen Mythen und Erzählungen, bekannt als Homers „Ilias“, quasi in drei Sätzen musikalisch umgesetzt, dementsprechend handwerklich anspruchsvoll ist es denn auch. Höchstschwierigkeit reiht sich an technische Herausforderungen, dies ununterbrochen während fast 20 Minuten. Eindrücklich die Gestaltung der verführerischen, harfenartigen Klänge der Sirenen, die Odysseus, gefesselt an einen Segelmast, ertragen musste, vermittelt durch eine Steigerung in rasante Akkordkaskaden. „Calypso“, der zweite Satz, freitonal – schwebend, fast schon dekadente Raffinesse, bevor die Königstochter „Nausicaa“ im dritten Satz ihre Verführungskünste testet, die über ein gewaltiges Crescendo zu einer letzten Springflut an Akkorden führt, die sich in der rechten Hand über die weissen und in der linken Hand über die schwarzen Tasten ergiesst, also nichts von edler Einfalt und stiller Grösse in des Komponisten Antike. Anderszewski hatte den Spagat geschafft in einer mehr als überzeugenden Art und Weise, entsprechend frenetisch beklatschten die Zuhörer diesen perfekten ersten Konzertteil und begaben sich beeindruckt und aufgewühlt in die Pause. Geradezu genial  der zweite Teil des Konzertes mit Schumann, der die Verbindung der Musik mit außermusikalischen, häufig literarischen Ideen suchte, also immer noch der Romantik zuzuordnen ist, was dem Tastenpoeten entgegenkommt, der sich ja auch selbst schon als absoluten Schumannverehrer deklarierte, Zitat: «Schumanns Vielschichtigkeit und Zerbrechlichkeit berührt mich ganz besonders.». Das war denn auch bei der Interpretation der „Papillons“ erfahrbar, wie er die entpuppte, ihre Flügel entfaltete und sie durch die Lüfte schweben, aber auch mal von Winden durchwirbeln, liess. Das tief beeindruckte Auditorium dankte dem Pianisten denn ausgiebig mit grossem Applaus, den Anderszewski sichtlich gerührt genoss, bevor er sich wieder an den Flügel setzte, um den Kreis des Rezitals zu schliessen, indem er fast nahtlos, von der Romantik zurück in das „Zeitlose“, also zu Bach, wechselte, genauer zu dessen „Englischer Suite Nr. 6“.

Dies mit einer Souveränität und Abgeklärtheit die fast schon stoisch wirkte, einen kurzen Moment gar irritierte, bevor man wieder gefangen war in dieser in sich geschlossenen Welt, in die man sich, eingeschlichen, fast ertappt fühlte. Ein grandioses Konzert mit einem Meister seines Fachs, den man sich öfters zu hören wünscht, wie das Publikum durch seine Standing Ovation auch nachdrücklich verdeutlichte.

Dafür revanchierte sich der Gefeierte, indem er sich zurück zu seinen Wurzeln begab bei der Zugabe, die er uns in Form des „Ungarischen Volksliedes Nr. 3“ von Béla Bartók gewährte.

Text: www.leonardwuest.ch

Fotos: www.lucernefestival.ch

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