Luzerner Theater Onkel Wanja Schauspiel von Anton Tschechow, 10. Dezember 2015, Première besucht von Léonard Wüst

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Onkel Wanja Schauspiel von Anton Tschechow

Onkel Wanja
Schauspiel von Anton Tschechow

Produktionsteam und Besetzung

Ueli Jäggi Inszenierung
Werner Hutterli Bühne
Gerti Rindler-Schantl Kostüme
Martin Schütz Musik
David Hedinger Licht
Carolin Losch Dramaturgie
Malte Ubenauf Dramaturgie

 

Christian Baus Michail Lwowitsch Astrow, Matthias Bernhold Iwan Petrowitsch Wojnizkij (Wanja), Jörg Dathe Alexander Wladimirowitsch Serebrjakow, Hans-Caspar Gattiker Ilja Iljitsch Telegin, Wiebke Kayser Maria Wassiljewna Wojnizkaja, Varia Linnéa Sjöström Elena Andrejewna, Miriam Strübel Sofja Alexandrowna

Rezension:

Die zentrale Figur in Tschechows Stück ist nicht etwa Wanja, sondern Professor Serebrjakow, der nach der Pensionierung auf das Landgut seiner verstorbenen Frau zurückkehrt, das von seiner Tochter Sonja und ihrem Onkel Wanja bewirtschaftet wird. Jahrelang haben die beiden unter Verzicht auf eigene Ambitionen Geld in die Stadt geschickt, um den vermeintlich berühmten Wissenschaftler zu unterstützen, nun entpuppt sich seine Karriere als bedeutungslos. Obwohl nicht ständig auf der Bühne physisch präsent, dreht sich doch fast alles um ihn, dem sich alle andern unterzuordnen, anzupassen und huldigen haben. Jetzt tun sich plötzlich Abgründe auf, kommen verdrängte, nie ausgesprochene Vorbehalte und persönliche Ressentiments zum Vorschein, erscheinen ganze lange Arbeitsleben als unsinnig, die aufgewendete Energie und Aufopferung für den vermeintlichen grossen Wissenschaftler, den unbestrittenen Star und Vorzeigeverwandten, als verschwendete Lebenszeit. Zudem gängelt, ja tyrannisiert der eingebildet Kranke seine Umgebung mit seinen tatsächlichen und vermeintlichen Gebrechen, zwingt ihnen seinen Tages- ja gar Lebensrhythmus auf, müssen sich alle wie im Weltall die Trabanten um die Sonne, um ihn, das Leuchtgestirn und Aushängeschild der Familie drehen. Alle haben ihm jederzeit und überall zur Verfügung zu stehen, zu dienen, ihn zu verehren.

Das alles offenbart sich dem Publikum aber erst nach einem, vorsichtig ausgedrückt, überlangen zähflüssigen dialoglosen „Intro“, die ersten Worte fallen erst nach über 20 Minuten. Wie dann aber die Schauspieler all die Mono- und Dialoge darreichen, facettenreich akustisch und mimisch deklarieren, ist ganz grosses „Theater“. Da genügt ein Augenrollen der Ex Schwiegermutter des Professors, souverän verkörpert durch Wiebke Kayser um alles auch ohne Worte auszudrücken. Da verspeist Elena, die junge Frau des Professors, einen Apfel so verführerisch, wie das seit Eva im Paradies kein Weib mehr tat, worauf sich Wanja und auch der verbitterte Arzt , Philosoph und Biobauer Michail Astrow in die elegante attraktive Lebedame verlieben. Die etwas unscheinbare Sonja, ihrerseits seit längerer Zeit in den Arzt verliebt, bleibt da aussen vor, hadernd mit ihrem Schicksal. Symbolträchtig das Bühnenbild, das Piano dient Elena, klavierspielend, zur Demonstration der schönen Künste, die in ihrem früheren Stadtleben selbstverständlich und allgegenwärtig waren. Das Aquarium steht für die vermeintlich unendliche Weite des Meeres in dem sich alle tummeln und ihren festen Platz besetzen. Dies erweist sich spätestens dann als Trugschluss, wie der Professor, des Landlebens überdrüssig ankündigt, das Gut veräussern zu wollen und damit die Lebensgrundlage und Inhalt der anderen den Boden entziehen , ja deren Existenz bedrohen, wenn nicht sogar vernichten würde. Jetzt sehen sich plötzlich alle gefangen in diesem Aquarium in dem sie hilflos monoton im Kreis herumschwimmen, dazu ab und an gefüttert werden, die einzige Aufmerksamkeit und Wertschätzung, die ihnen zuteil wird. Für einen Ausbruch aus diesem Kreislauf der Monotonie, Aufopferung und Abhängigkeit, einen Neustart in ein neues, besseres freieres Leben ist es längst zu spät. Diese fatale Einsicht erschüttert dann doch und es ist vor allem Wanja, der sich nun gar mit Waffengewalt gegen diesen moralischen „Meuchelmord“, der ihm den Teppich unter den Füssen wegzieht, zur Wehr setzt, doch nicht ganz alles resigniert hinnehmend. Sonja ihrerseits kämpft immer noch mit der unerfüllten Liebe zu Astrow, der seinerseits seinen Kummer über die Rückweisung durch Elena, wie in Russland so üblich, in Alkohol ertränkt, während der Gutsgehilfe Ilja Telegin abendfüllend damit beschäftigt ist, die nutz- und stillosen Gartenmöbel auf der Bühne umzuordnen, zurechtzurücken. Sehr prägend auch die zusammenfaltbare Lamellenwand, die den hinteren Bühnenbereich verdeckt. Dies lässt die Zuschauer Geräusche vernehmen, vermeintlich banale, wie beispielsweise Schritte des rastlos umherwandernden Professors, die aber die sich vor der Wand abspielenden Ereignisse dramatisch hochstilisierten. Hier erreicht die Inszenierung mit relativ bescheidenem Aufwand eine sehr grosse prägnante Wirkung. Brillant wie immer die Schauspieler die in jeder Beziehung überzeugen. Der dem Surrealismus zugeneigte Schluss ist dann wieder etwas lang ausfasernd, nötigt aber vor allem Jörg Dathe als Professor und seiner von Varia Linnéa Sjöström gespielten Gattin Elena doch etliches Stehvermögen in Form der Verharrung in relativ unbequemer Pose auf einer Treppe ab.

Ausgiebiger, langanhaltender Applaus des Publikums war der Lohn für diese, von Ueli Jäggi unter die Haut gehende Inszenierung, die, bezüglich Anfang und Ende, ruhig etwas gestraffter daherkommen dürfte.

Fazit: Punktgenau die Stückbeschreibung auf der Homepage des Luzerner Theaters: Wenn man kein wirkliches Leben hat, dann nimmt man eben die Illusion.

Kleine Fotodiashow der Produktion von Tanja Dorendorf / T+T Fotografie:

fotogalerien.wordpress.com/2015/12/09/luzerner-theater-onkel-wanja-schauspiel-von-anton-tschechow-premiere-10-dezember-2015-besucht-von-leonard-wuest/

Text: leonardwuest.ch

Fotos: www.luzernertheater.ch Tanja Dorendorf / T+T Fotografie

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