34. Maifestival Rellingen vom 24. bis 26. Mai 2019, Versuch einer Annäherung von Léonard Wüst

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CTP Chef und Musikfestivalförderer Kapitän Thomas Poetzsch mit Gattin Ulrike, Foto Die Pinnebergerin

Rellingen, ein kleiner, eigentlich unbedeutender norddeutscher Ort in Grossstadtnähe, mit ca. 14700 Einwohnern und etwa 1100 Betrieben einer der gewerbereichsten Orte der Region. Ein Ort, wie so manch anderer auch in dieser Region. Hätt ja sein können, ist es aber nicht.

Zwar auch hier viele der typischen, bodenständigen Häuser mit den rotbraunen Backsteinen, teils sogar noch mit Reetdächern, gepflegte Vorgärten Reih an Reih. schmucke Hausansammlungen entlang der Hauptstrasse, dem eigentlichen Ortskern, wenn man denn eine lange Gerade als Kern bezeichnen kann. Natürlich auch hier im hanseatischen Norden mit den unerlässlichen 1950/1960er Bausünden, die wir damals als chic und up to date empfanden, heutzutage aber die unsäglichen Fernsehmöbel und Ohrensessel, inklusive pelzigem Kaminvorleger vor dem geistigen Auge heraufbeschwören.

Der grosse Trumpf, gar Juwel, der Provinzgemeinde Rellingen

Die Rellinger Kirche, der Tatort

Und hier endet das Gewöhnliche an Rellingen, denn mittendrin, an prominenter Lage, steht die Kirche der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Rellingen, welche als die schönste Barockkirche Schleswig-Holsteins gilt und als vollkommenste Leistung des Meisters Cai Dose (holsteinischer Architekt und Baumeister des 18. Jahrhunderts, 1700 – 1768). Nachdem der 500 Jahre alte Kirchenbau trotz Erweiterungen zu klein geworden war und die Gläubigen des 150 qkm großen Kirchbezirks nicht mehr fassen konnte, baute der damalige Stararchitekt ab 1754-56 das heutige barocke Kirchenschiff, das in etwa 2000 Personen Platz bietet. Der Jørn Oberg Utzon* des 18. Jahrhunderts bekam diesen Auftrag vom dänischen König Friedrich V, denn Schleswig-Holstein war damals dänisch.

Oktogon Form der Kirche garantiert für alle einen ungetrübten Hörgenuss

Günter Rasinski und Luz Leskowitz 1986

Um möglichst vielen Gottesdienstbesuchern gleich gutes Hören und Sehen während der Predigt zu ermöglichen, wählte Dose einen Oktogon-Grundriss und einen Raum mit Emporen, in dem die Plätze auf die Kanzel ausgerichtet sind. Die dadurch entstehende gute Akustik ist bis heute Grund für die Beliebtheit der Kirche, insbesondere bei Musikveranstaltungen des Mai-Festivals, des Schleswig-Holstein-Musik-Festivals und zahlreichen weiteren Konzerten. Damals war das Gotteshaus fast kastenmässig eingeteilt. Die Reichen und Bedeutenden, was zwangsläufig meistens einherging, hatten ihre, teilweise mit heute noch sichtbarer persönlicher Namensanschrift, für sie reservierten Sitze auf den Bänken in Kanzelnähe.

Sehen und gesehen werden war schon dannzumal wichtig

Luz Leskowitz, Gründer der Salzburger Solisten und des Rellinger Maifestivals, anlässlich des Maifestivals 2019 mit Léonard Wüst, rechts, Foto Die Pinnebergerin

Also damals galt schon: Sehen und gesehen werden¨! Knechten, anderen Bediensteten und dem gemeinen Fussvolk waren die nur etwa halb so tiefen Sitzbänke mit fast senkrechten, sehr unbequemen Lehnen auf den Emporen zugeteilt. Für die ganz ganz  wichtigen Leute, die noch Besseren, heut würd man sie VIPs nennen,  gab es sogar, wo in katholischen Kirschen die Nebenaltäre sind, verschliessbare Logen für bis zu 20 Personen für die Promis mit ihren Familien und persönlichen Gästen. ähnlich wie in Opernhäuser, aber zusätzlich durch Fenster und Türen abgetrennt von den «Gewöhnlichen».

Akustik und Ästhetik der Rellinger Kirche beflügelten

Im Fries des Kuppelaufsatzes spielt das himmlische Orchester, Engel mit Geigen Trompeten, Pauken und Flöten

Diese, weitherum bekannte Akustik, in Kombination mit der schmucken Kirche inspirierten Kantor Wolfgang Zilcher mit seiner engagierten Musikgemeinde, aus der heraus der damalige 1. Vorsitzende des Vereins, Günter Rasinski, aktiv wurde. Der wiederum war befreundet mit Luz Leskowitz, Geiger und Ensembleleiter der „Salzburger Solisten“. Im Februar 1985 folgten Luz Leskowitz und seine „Salzburger Solisten“ einer Einladung des MRK zu einem kammermusikalischen Abend in der Rellinger Kirche. Dieses Konzertereignis ließ den Funken auf Musiker und Publikum derart überspringen, dass ein kraftvolles Feuer entbrannte: die Idee eines Musik-Festivals war geboren und am 9., 10. und 11. Mai 1986 fand das „1. Mai-Festival Rellinger Kirche“ statt.

Überwältigender Erfolg belohnt die Initianten

Die Salzburger Solisten bei Schuberts Forellenquintett, Foto Wolfgang Gaedigk

Der überwältigende Erfolg gab der Idee Recht. Der Kreis begeisterter Musikfreunde erweiterte sich sprunghaft, so dass zukünftige Arbeiten in Sachen „Musik“ – ob ideell oder finanziell – nun auf mehreren Schultern getragen werden konnten. Und nachdem Unterstützung auch von offiziellen Entscheidungsträgern am Ort, wie der Kirchengemeinde und dem Kulturausschuss der politischen Gemeinde, zugesichert war, konnte die Frage nach einem 2. Mai-Festival nur positiv beantwortet werden. Luz Leskowitz garantiert seither für ein stets facettenreiches Programm und hat, als herausragender und einfühlsamer Interpret, – solistisch und im Team – eine begeisterte Fangemeinde gefunden.

Dauerhafte grosse Freundschaften entstanden im Zeichen der Musik

Rellingen auch die Noten müssen sortiert werden

Über die Jahre gewachsene Freundschaften zeugen von einer außergewöhnlichen Festspiel-Atmosphäre, ihrer Intimität und der gemeinsamen Liebe zur Musik. Um das Echo der Medien wiederzugeben: nachdem das 1. Mai-Festival erfolgreich „geboren“ worden war, das 2. Mai-Festival bereits „das Laufen“ gelernt hatte, profilierte sich das Festival in der Folgezeit zu einer eigenständigen, festen Institution in Rellingen. Viele bedeutende Namen und musikalische Sternstunden binden sich seither in dieses alljährlich zur Maienzeit wiederkehrende Musikereignis ein, das mit Stolz auf seinen 33. Geburtstag blicken durfte und das sich mit der in 33jähriger entwickelten Tradition seinen ganz besonderen Charme erhalten hat (Quelle. Ulrike Ostermann)

Auch der Autor verfiel der norddeutschen Gastfreundschaft und liess sich bereitwillig mit dem „Rellinger Fieber“ infizierten.

Misa Hasegawa (Klavier) an der Seite des Festivalleiters Luz Leskowitz

Schon kurz nach meinem Eintreffen vor Ort, natürlich mit der, ICE der Deutschen Bahn üblichen Verspätung von über einer Stunde und nachdem ich mich in der „Traumschmiede“, meinem temporären Domizil, eingerichtet hatte, begab ich mich auf die Suche nach den Musikern die, so hatte mir Luz Leskovitz, der mich freundlicherweise persönlich eingeladen hatte, sich entweder in der Kirche am Üben, oder beim Griechen unweit der Kirche am Verpflegen aufhalten würden. Das letztere war dann der Fall. Obwohl ich vorher weder Luz noch einen der Musiker oder Organisatoren je persönlich getroffen hatte, (mit Luz stand ich seit längerem über das Netz im Austausch), wurde ich überaus herzlich empfangen und vorbehaltslos in den „Inneren Zirkel“ integriert. durfte nach dem Essen sogar mitgehen an die nächste Probe in der Kirche, wo sie, so Luz, sich noch über die Forelle hermachen wollten. Nein, nicht dass sie, nach den mehr als üppigen Essensportionen beim Griechen noch Hunger hatten auf eine Forelle, nein,  gemeint war die Feinabstimmung von Schuberts Forellenquintett, das am Sonntag auf dem Programm gelistet war.

Die folgenden Tage widerlegten das Bild des kühlen Hanseaten

Rellingen die Musiker am Üben in der Kirche

Auch am folgenden Tag fand ich mich um 10.00 Uhr in der Kirche zu der angekündigten Probe ein, wo ich dann die am Vorabend noch nicht anwesenden restlichen Musiker, einige der Macher, sowie etliche der Helfer hinter der Bühne kennen lernte. Sie alle hiessen mich so herzlich willkommen und behandelten mich so respektvoll, als ob ich eine sehr wichtige Persönlichkeit sei. (Was ich, unter uns gesagt, manchmal auch hoffe, gar denke, dass ich dies sei). Diese schon fast überbordende, aber zutiefst ehrliche und äusserst grosszügige Gastfreundschaft durfte ich bis zu meiner Abreise geniessen. Wo ich auch auftauchte, das ganze Dorf schien mich zu kennen, meine Wünsche waren schon erfüllt, bevor ich sie überhaupt äussern konnte.

Highlights nebst den grandiosen Konzerten

Mai Festival Plakat vor der Rellinger Kirche

Auch zu den jeweiligen After Konzert Events war ich selbstverständlich geladen, an denen ich jeweils äusserst sympathische freundliche Persönlichkeiten kennen lernen durfte, manch kurze, aber interessante Smalltalks führte, auch etwas hinter die Fassade des Rellinger Maifestivals schauen konnte. Ich genoss dieses verlängerte Wochenende voller herzlicher, grosszügiger Gastfreundschaft und aussergewöhnlichen Konzerten, über die ich in separaten Artikeln berichten werde. Auch erwähnenswert. Der Rellinger Theaterverein spielt teilweise in plattdeutscher Sprache, ebenfalls  eine aussergewöhnliche Sache in diesem aussergewöhnlichen Fleckchen Erde voller liebenswerter Menschen.

*Jørn Oberg Utzon, dänischer Stararchitekt 1918 – 2008, u.a. Erbauer des «Sydney Opera House» im Hafen der australischen Metropole und er wurde 2003 mit dem .Pritzker Preis für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

So üben die Salzburger Solisten in der Kirche Rellingen, Sonntag, 26. Mai 2019:

https://www.facebook.com/leowuest/videos/2506122209399101/

Text: Leonardwuest.ch

Fotos: http://www.mrk-rellingen.de und http://www.luz-leskowitz.at/index.html

http://www.foto-gaedigk.de/gaedigk/index.php

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