Produktion und Besetzung:
Regie: Heike M. Goetze Bühne und Kostüme: Heike M. Goetze Licht: David Hedinger-Wohnlich Dramaturgie: Dominik Busch
Daniel Nerlich (Lear) Martin Carnevali (Gloucester) Thomas Douglas (Narr) Christian Baumbach (Kent) Sebastian Schulze (Edmund) Hugo Tiedje (Edgar) Zoe Hutmacher (Goneril) Dagna Litzenberger Vinet (Regan) Marta Rosa (Cordelia) Max Rüfle (Alter Mann, Statist)
Der Herbst zeigt sich bereits in den kräftigsten Farben, lässt das Grün so intensiv erscheinen, dass ich mich in Irland wähne und meine Gedanken um all das Schöne, das sich mir in meinem Umfeld bietet, kreisen. Für heute steht ein Besuch im Luzerner Theater zu William Shakespeare’s Stück «KING LEAR» an.
Schon geerbt? Nein? …dann sehe ich SCHWARZ…
Dieses sehr imposante Werk – um nicht zu sagen dieser Koloss – vom grossen Meister um 1600 geschrieben, feiert Premiere! Mit dem Inhalt des Stückes vertraut, bin ich gespannt, wie die Truppe unter der Regie von Heike M Goetze, die gewählte Neuübertragung von Miroslava Svolikova umsetzt.
Lockdown und seine möglichen Folgen
Um in den Genuss dieser Aufführung zu gelangen, musste ich mich der Zertifikatspflicht unterziehen. Zeigte sich hier nicht eine erste Parallele zu Shakespears Stück? Grassierten in dieser Zeit nicht Pestzüge in Europa und schickten die Menschen auch in eine Art Lockdown? Will heissen, dass auch damals aus Angst vor Ansteckungen soziale Kontakte reduziert wurden und die Gesellschaft prägten, veränderten?
Schwarz dominiert
Gleich von Beginn an werde ich in den Bann der Geschichte gezogen. Düster, wenig Licht und wenn Licht, dann für sehr ausgewählte Szenerien, so versuche ich dem Geschehen zu folgen. Nichts erinnert mich an meine Eindrücke der kräftigen Herbstfarben. Im Gegenteil: Schwarz und Leder dominieren und verleihen der Szenerie etwas Gespenstisches, Surreales! Schon mit den ersten Sätzen Lears zeigen sich liebgewonnene Eigenschaften des Menschen: Macht, Ansehen und geliebt werden!
Macht ist geil…
Anfänglich etwas irritiert, dass der «alte König» mit einer im besten Alter lebenden Person UND seinem Spiegelbild als alten Mann dargestellt wurde, mache ich mir erste Gedanken über Machtansprüche und Machtabgabe in unserem Leben. Wann ist der richtige Zeitpunkt seine Macht abzulegen? Als Mensch habe ich ja die Möglichkeit, mich in die Vergangenheit zu begeben, Lehren zu ziehen, daraus Strategien abzuleiten, wie es in Zukunft weitergehen soll und so eigentlich auch meinen Abgang und die Stabsübergabe zu planen. Doch will das der Mensch überhaupt? Oder ist er schlicht zu verliebt in all die Möglichkeiten damit zu «spielen»? So ertappe ich mich im momentanen Zeitgeschehen, welches sich im Grundsatz nur sehr wenig von den damaligen überzeugten Herrschern wie er von King Lear dargestellt wird, unterscheidet. Da fallen mir die Namen vieler Weltpolitiker ein, die so von sich überzeugt sind, dass sie den Anspruch auf Unersetzlichkeit reklamieren…
Abgründe des Menschen werden sicht- und schmerzlich spürbar
Das Stück nimmt weiter Fahrt auf, zeigt die zerstörerische Kraft des Geliebtsein-Wollens indem die Hauptfigur seine Lieblingstochter, die ihm vordergründig die Liebe verweigert, verdammt und sie so letztlich in den Tod stösst. Durch die Aufteilung seines Reiches unter die beiden ältesten Töchter begibt er sich unbemerkt in deren Abhängigkeit und muss erleben, dass er letztlich alles verliert und in den Wahnsinn getrieben wird.
Gleichzeitig erlebe ich in einer Parallelhandlung wie in der Familie des Grafes Glosters, einem alten Vertrauten Lears, weitere Intrigen, angetrieben vom unehelichen Sohn Edmund, vorangetrieben werden. Die Klaviatur des Täuschens, der fake News und der Ausnützung der Beteiligten wird in Perfektion gespielt und führt mir vor Augen, wozu der Mensch fähig sein kann, wenn er von seinen Wahnideen besessen ist. Dass Graf Gloster erst nach der Beraubung seines Augenlichts realisiert, dass er nun sehend ist und feststellen muss, dass er auf die falschen Freunde und Personen gesetzt hat lässt mich sehr nachdenklich werden. Getoppt wird das Ganze dann noch durch die Vergiftung Regans durch ihre Schwester Goneril!
Zu späte Einsicht
Vollends düster wird es dann, als der sterbende Edmund sein schlechtes Gewissen beruhigen möchte und versucht, seinen Tötungsauftrag für Gordelia und Lear rückgängig zu machen, was scheitert. Für beide kommt dieses Ansinnen zu spät…
Shakespears Tragödie führte mich in die dunkelsten Abgründe des Menschen. Sie zeigt Menschen, die den Vergleich eines Tieres auf zwei Beinen rechtfertigen. Zum Glück spielt die Geschichte aber in einer Zeit, die längst der Vergangenheit angehört…. Oder lassen sich da nicht auffällig viele Parallelen zum Hier und Jetzt ziehen? Beeindruckt von der schauspielerischen Leistung aber nachdenklich über das Gesehene verlasse ich diese reale Kunstwelt und freue mich, wenn ich mit meinen Augen «sehend» das Leben erfahren darf!
Text: Max Thürig https://maxthuerig.ch/ https://www.wildwaldwalk.ch/
Fotos: www.luzernertheater.ch Ingo Hoehn
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