Der Dirigent Antonio Pappano will Roms Sinfonieorchester wieder an die Weltspitze führen. Viele Hindernisse hat er auf diesem Weg schon gemeistert. Im Rahmen der 5. Tournee der Saison 2012/2013 der Migros-Kulturprozent-Classics touren Pappano und das Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia anfangs April durch die Schweiz.
Man ist das beste Orchester Italiens. Vielleicht auch das zweitbeste. Immerhin. Aber draussen in der Welt figuriert das Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia zwischen Platz 10 und 20. Rund 30 Orchester machen sich diese Plätze streitig. Der Italien-Bonus nützt den Römern dabei wenig: Italien ist kein Orchesterland, sondern ein Opernland, und Opern werden in Mailand, Venedig und Verona gespielt. Nicht in Rom. Bruno Cagli (1942), der Intendant des Orchesters, weiss das nur zu gut. Dennoch legt der Presidente mit seinem sonoren Brummen einen faszinierenden Stolz an den Tag, wenn er über sein Orchester spricht. Die Vergangenheit leuchtet mit Palestrina (ca. 1515-1594), Igor Markevitch (1912-1983) und Leonard Bernstein (1918-1990) hell auf.
Wie aber will der Presidente den Namen des Orchesters in die Welt zurückbringen? Cagli zeigte Mut, als er 2005 den in Italien kaum präsenten Antonio Pappano (geb. 1959) zum Chefdirigenten machte. Mit seiner Verpflichtung nahmen das Renommee in Rom, die Zahl der Tourneen, die CD-Aufnahmen und die Orchester-Qualität zu. Doch wer ist Pappano? Ist im deutschsprachigen Raum von italienischen Dirigenten Rede, dann von Riccardo Muti und Claudio Abbado, schliesslich von Riccardo Chailly, Fabio Luisi oder Daniele Gatti. Und dann kommt unter Musikfreunden meist die Frage: «Aber ist Antonio Pappano nicht auch Italiener?»
Italianità aus London
Der Dirigent weiss, dass seine Situation speziell ist: «Ich wurde in England geboren, doch meine Eltern waren ebenso Italiener wie mein Klavier- und mein Kompositionslehrer; mein Hintergrund ist also sehr italienisch. Musikalisch dagegen wuchs ich in Deutschland auf. Dort war ich zufrieden als Pianist wie auch als Assistent. Ich wollte das deutsche Fach erlernen, auch wenn mir das italienische natürlicher vorkam. Wenn Sie mich heute die ‹Traviata› dirigieren hören, denken Sie: ‹Aha, ein Italiener!›» Doch um diese «Traviata» hören zu können, die Sache ist etwas kompliziert, muss man zuerst nach London fliegen. Und in London erhielt der musikalische Direktor des Royal Opera House zum neuen Jahr auch den Ritterschlag.
Und doch ist es kein Zufall, dass der Opernmensch Pappano das römische Orchester dirigiert. Sir Antonio Pappano, ein Mann des Theaters, ist nämlich von der Kantabilität seines Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia begeistert. «Davon hatte ich geträumt!», sagt der Dirigent. «Ich wusste: Wenn ich dieses ‹Cantabile› weiterentwickle, erhalte ich den echten italienischen Klang. Darin ist auch eine altmodische Seite enthalten, er kann nämlich durchaus auch romantisch und parfümiert sein.» Pappano war glücklich, ein eigenständiges Orchester gefunden zu haben: «Hier konnte ich aus dem ureigenen Material einen neuen Klang erschaffen. Wenn Sie unsere neuen CDs hören, erkennen Sie ein ganz anderes Orchester als früher.»
CDs aus Rom? Pappano macht’s möglich; er ist einer der wenigen Dirigenten, die bei einem grossen Label regelmässig CDs aufnehmen. Macht er das heute zusammen mit den Römern, will er aber nichts von Reputation hören: «Ich sehe diese Aufnahmen nicht als Karriereschub », sagt er. «Für mich ist wichtig, künstlerisch eine Balance zu finden. Es soll etwas neben der Oper geben, die dank meiner Londoner Tätigkeit ein grosses Gewicht hat. In Rom will ich mich musikalisch mehr mit mir befassen, etwas tun, das meine Seele berührt. Früher hatte ich kaum Gelegenheit dazu, nun habe ich dieses wunderbare Orchester.»
Schweben – auf dem Gesang
Trotz seiner Römer Orchesterliebe bleibt Pappano naturgemäss ein Theatermensch. Ja, er ist sogar einer der wenigen Dirigenten, die auch Opern im Studio aufnehmen dürfen. Darin zeigt sich der Kern dieses Künstlers: «Die Intensität, die Theatralität, die Italianità, das ist mein Ding. Die italienischen Dirigenten kommen vom Theater, von der Oper her – und mein ganzes Leben ist Oper. Somit bin ich ein italienischer Dirigent, das ist mein Background. Diese Art von Musizieren hat mit dem theatralischen Temperament zu tun.»
Im Konzert der Migros-Kulturprozent-Classics, das in Basel, Genf, Bern und Zürich zu hören sein wird, widerspiegeln sich Pappanos Worte: Mit Giuseppe Verdis Ouvertüre zur Oper «La forza del destino» wird die Türe zu einem Operndrama geöffnet (in Genf und Zürich), mit Ernest Chausson «Poème de l’amour et de la mer» wird eine französische Dichtung erzählt und in Peter I. Tschaikowski «Pathétique» schwelgt man in der russischen Romantik. Eine solche Spannweite meistert nur ein Orchester, das auf Flügeln des Gesangs schwebt.
Meine Beurteilung:
Die Römer starteten furios und temperamentvoll mit Verdi`s Ouverture zu Forza del destino ins Programm. Es folgte mit Ernest Chaussons «Poème de l’amour et de la mer» eine französische Dichtung der eher düsteren Art, generös und souverän zelebriert von der, nicht nur stimmlich voluminösen kanadischen Altistin Marie- Nicole Lemieux, die sich mit ihrer Darbietung den langanhaltenden Applaus des offensichtlich sehr sachkundigen Publikums mehr als verdiente.
Dass es nicht einfach ist, als einzige Solostimme in dieser Stimmlage zu überzeugen (ausser in Werken von Richard Wagner) mussten schon sehr bekannte Grössen der Szene erfahren. Umso erfreulicher, dass dieser gewagte Programmspagat so gut geklappt hat. Nach der Pause kam dann auch noch die dramatische Italianita des Orchesters durch die Gestaltung der Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 74 (Pathétique) von Peter I. Tschaikowski so richtig zur Geltung und dabei konnte Sir Antonio Pappano auch den Drang der Italiener zur intensiven Kommunikation mit den Händen voll ausleben. Da es ja aber natürlich auch zum Handwerk (nomen est omen) eines Maestros gehört, sein Werkzeug ( im Falle eines Dirigenten ist das natürlich das Orchester) mit Gesten und Mimik zu animieren, darf das bei einem Sohn italienischer Eltern durchaus ein bisschen ausgeprägter sein, als bei einem eher kühleren Nordeuropäer.
Also ein Triple G: gewagt, gelungen, gut
Korrigenda: Double G und ein SG: gewagt, gelungen, sehr gut!
unsere Berichte von den Tonhallekonzerten werden unterstützt vom traditionellen Hotel/Restaurant Glärnischhof in Zürich, dem Treffpunkt vor und nach den Konzerten
Den Abend perfekt macht der Besuch im Hotel-Restaurant Glärnischhof in unmittelbarer Nähe der Tonhalle, ob vor oder nach dem Konzert
Text: www.leonardwuest.ch
Ein Engagement des Migros- Kulturprozent