Neues HSLU-Game: Spielend ein CO2-neutrales Dorf errichten

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Sarnetz Screenshot

Wie kann die Energieversorgung einer Gemeinde nachhaltiger werden und trotzdem bezahlbar bleiben? Um diese Frage kreist «Sarnetz», ein Online-Computerspiel, umgesetzt von einem interdisziplinären Forschungsteam der Hochschule Luzern.

Zernez ist als Tor zum Schweizerischen Nationalpark bekannt. Derzeit sorgt die kleine Engadiner Gemeinde jedoch vor allem international für Aufsehen: Sie ist die Protagonistin des Computerspiels «Sarnetz», welches dieser Tage an der Weltausstellung in Dubai der globalen Öffentlichkeit vorgestellt wird. Umgesetzt wurde das Spiel von einem interdisziplinären Forschungsteam der Hochschule Luzern. Als Basis diente ein Brettspiel der ETH Zürich.

In Sarnetz treten mindestens zwei Fünfer-Teams unter der Leitung eines Moderators gegeneinander an. Ihr Ziel: Die gesamte Energieproduktion der Gemeinde Zernez nach den Vorgaben der Energiestrategie 2050 des Bundes umbauen. Es gewinnt das Team, das die CO2-Emissionen innerhalb eines Zeitlimits auf null reduziert, dabei möglichst viel erneuerbare Energie aus lokalen Quellen produziert, und dies alles mit minimalen Investitionen erreicht.

Pro Team übernehmen drei Spielerinnen oder Spieler die Rolle des Zernezer Gemeinderats. Eine weitere Person leitet den lokalen Energielieferanten und last-but-not-least vertritt die fünfte Person die Interessen der Einwohnerschaft und der Tourismusbranche. Gespielt wird das Game im Browser. Als Spielfeld dient eine dreidimensionale Karte von Zernez. Jedes einzelne Gebäude der Gemeinde wird simuliert, vom Wohnhaus bis zum Heizwerk.

Trailer zu Sarnetz

Sarnetz: Teaser-Trailer

Die perfekte Lösung gibt es nicht

Das Energiespiel richtete sich zunächst an die Einwohner von Zernez sowie an Entscheidungs-trägerinnen und -träger auf kommunaler Ebene. Weiterentwickelt wurde es aber primär für Schülerinnen oder Studenten, die sich mit der Komplexität der Thematik vertraut machen möchten. «Die technischen Details der Energieproduktion stehen nicht im Vordergrund, sondern die gemeinsame, spielerische Suche nach Strategien zu ihrem nachhaltigen Umbau», sagt Co-Projektleiter Uwe W. Schulz vom Departement Technik & Architektur der Hochschule Luzern.

Das Spiel liefere dabei keine perfekten Lösungen, so Schulz weiter. «Politik, Energieversorger und Einwohnerschaft haben teilweise konträre Interessen. Es gilt einen Ausgleich zu finden zwischen den verschiedenen Gruppen, genau wie in der Realität», erläutert er: Reicht es beispielsweise, für wenig Geld Gebäude zu sanieren? Oder ist es doch besser, die Gebäude mit Solaranlagen zu bestücken? Diese senken den CO2-Vebrauch viel stärker, allerdings beeinträchtigen sie das Ortsbild und schaden damit unter Umständen dem Tourismus. Erst wenn im Team Konsens herrscht, welcher Schritt als nächstes in Angriff genommen werden soll, geht das Spielt weiter.

Wenn der Computer Buch führt

An der Umsetzung des Brettspiels ins digitale Format war massgeblich das Forschungsteam Immersive Realities Research Lab am Departement Informatik beteiligt. Für Co-Projektleiter Richard Wetzel galt es, beim Umsetzen die Balance zwischen dem Spielgefühl des ETH-Originals und den Anforderungen an ein Computerspiel zu finden.

Er gibt ein Beispiel: «Wenn man in der Brettspielvariante darüber diskutiert, ob man ein neues Holzschnitzelheizwerk bauen möchte, zeigt man einfach mit dem Finger auf die entsprechende Stelle. Das geht nicht, wenn die Teammitglieder am anderen Ende der Welt sitzen.» Wetzel und sein Team entwickelten eine simple Lösung für dieses Problem: Per Maus werden digitale Spielfiguren übers Spielfeld bewegt; man «zeigt» also mit seinem Avatar, wo man bauen möchte.

Die Automatisierung gewisser Spielmechaniken erleichtert es Spielerinnen und Spielern, den Überblick zu behalten und sich auf das Ausarbeiten der Strategie zu fokussieren. «In der Brettspiel-Variante müssen die Kosten und der CO2-Vebrauch beschlossener Massnahmen händisch erfasst werden, was aufwändig und fehleranfällig ist», sagt Wetzel. In der Browser-Version übernimmt der Computer die gesamte Buchführung und ermöglicht so, im Spiel getroffene Entscheidungen später einfach zurückzunehmen, falls sich ein anderer Weg als zielführender erweist.

In Sarnetz gilt es, die Energieversorgung der Gemeinde Zernez zu revolutionieren.

Im Computerspiel Sarnetz gilt es, in Fünfer-Teams die Energieversorgung der Gemeinde Zernez zu revolutionieren.

Weiterentwicklung für die breite Öffentlichkeit geplant

Uwe W. Schulz und Richard Wetzel freuen sich, dass sie in Dubai dank Sarnetz einem internationalen Publikum die «Schweizer Methode» zum Erreichen einer nachhaltigen Energieversorgung zeigen können; dies anschaulicher, als es mit Broschüren oder Präsentationen möglich wäre. Die beiden Forscher möchten das Game weiterentwickeln.

In einem nächsten Schritt soll das Spielprinzip auf andere Gemeinden und auf Stadtquartiere übertragen werden. Geplant sind auch zusätzliche Komfortfunktionen wie eine integrierte Chatfunktion (aktuell tauschen sich Spielerinnen und Spieler über die Kommunikationsplattform Zoom aus). Fernziel ist die Entwicklung einer Spielvariante als Lernwerkzeug für die breite Öffentlichkeit.

Vom Tisch auf den Bildschirm

Seinen Anfang nahm Sarnetz als Brettspiel: 2015 entwickelte es die ETH Zürich als Teil des Projekts «Zernez ENRGIA 2020». Die im Spiel genutzten Daten zu Gebäudegrössen, Energieverbrauch und den Gebäudeheizungen basieren auf realen Werten.

Auf Initiative der Schweizer Botschaft in Japan kreierte das Forschungsteam um Uwe W. Schulz und Richard Wetzel eine digitale Variante des Spiels für den Schweizer Pavillon an den Olympischen Sommerspielen 2021 in Tokio, der aber Corona-bedingt abgesagt wurde. Weltpremiere feierte Sarnetz daher im September an mehreren japanischen Universitäten, wo Studierende es testen konnten. Das Spiel läuft seit Anfang November an der Weltausstellung in Dubai. Die nächste Vorführung findet am 6. Januar 2022 statt.

Das Computerspiel entstand im Rahmen des Interdisziplinären Themenclusters Raum und Gesellschaft, mit dem die Hochschule Luzern departementsübergreifende Forschungsprojekte fördert. Es wurde von der Schweizerischen Botschaft in Japan sowie vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI des Bundes finanziell unterstützt.[content_block id=45503 slug=unterstuetzen-sie-dieses-unabhaengige-onlineportal-mit-einem-ihnen-angesemmen-erscheinenden-beitrag]