Besetzung und Programm:
NDR Elbphilharmonie Orchester
Bertrand Chamayou Klavier
Dirigent Pablo Heras-Casado
Benjamin Britten
Four Sea Interludes op. 33a / aus der Oper »Peter Grimes«
Manuel de Falla
Noches en los jardines de España / Sinfonische Impressionen für Klavier und Orchester
Robert Schumann
Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 97 »Rheinische«
Allein schon die aussergewöhnliche Location für das Konzert ist spektakulär und ebenso der letzte Teil der Anreise zu ebendiesem. Von den Landungsbrücken nehmen wir die Fähre, die uns, sanft schaukelnd, durch das Hamburger Hafengewässer zur Elbphilharmonie bringt. Dieses, geplant vom Schweizer Architektenteam Herzog & de Meuron, und mit 77 Millionen veranschlagte Bijou in der Hansestadt Hamburg kostete dann schlussendlich fast schier unglaubliche 866 Millionen Euro.( man gönnt sich ja sonst nichts. Anmerkung des Autors).
Inzwischen ist der Einlass voll automatisiert. Man scannt der QR Code seines Konzertickets ein und schon geht’s auf der gebogenen Rolltreppe in Richtung Plaza auf 37 Metern Höhe. Mit 82 Metern ist sie die längste Rolltreppe Westeuropas. Die Fahrt mit ihr dauert exakt 150 Sekunden. Zum Vergleich: Die längste Rolltreppe der Welt befindet sich in der Moskauer U-Bahn-Station „Park Pobedi“. Sie ist 126 Meter lang und man ist drei Minuten unterwegs. Ab der Plaza geht’s entweder zu Fuss weiter Richtung grosser Konzertsaal, der sich über mehrere Stockwerke ausdehnt, oder bequemer mit einem der Fahrstühle, in unserem Fall bis zum18. Stockwerk, wo unsere Plätze waren.
Wissenswertes über den grossen Konzertsaal
Gewicht des großen Konzertsaals: 12.500 Tonnen, er umfasst 40.000 Kubikmeter und bietet Platz für 2100 Besucher*innen. Der große Konzertsaal schwebt sozusagen mitten im Gebäude, um vollständigen Schallschutz zu gewähren. Er ist durch zwei Betonschalen vom restlichen Gebäude entkoppelt, und ruht in 50 Metern Höhe auf 362 Stahlfedern und hat 2100 Plätze auf vier Etagen verteilt. Außengeräusche dringen nicht mehr durch, nicht einmal das ohrenbetäubende Schiffshorn der Queen Mary 2.
Anzahl der Kacheln für die Wandverkleidung Großer Saal: Mehr als 10.000
Für die Akustik in der Elbphilharmonie wurde ein enormer Aufwand betrieben. Grundsätzlich ist jeder Winkel und jede Kante den Akustikern ein Graus, weil sich der Klang dort bricht und im Raum dann unkalkulierbar ankommt. Deshalb wurde die einzigartige „Weiße Haut «entwickelt um den Schall an jeder Stelle des Saals bestmöglich zu brechen. Sie besteht aus über 10.000 Gipsfaserplatten, jede individuell gefräst und mit Wellen und Kerben versehen.
Zum Konzert
Das NDR-Elbphilharmonie Orchester ist das Residenzorchester der, von den Einheimischen liebevoll «Elphi» genannten Elbphilharmonie.
Aufschlussreiche Einführung
Die Einführung zum Konzert durch Harald Hodeige war sehr interessant und aufschlussreich, brachten uns die Fakten zur Entstehung der doch sehr unterschiedlichen Werke, auch mittels Audiozuspielungen, näher.
Benjamin Britten Four Sea Interludes op. 33a / aus der Oper »Peter Grimes«
„Die meiste Zeit meines Lebens verbrachte ich in engem Kontakt mit dem Meer. Das Haus meiner Eltern in Lowestoft blickte direkt auf die See, und zu den Erlebnissen meiner Kindheit gehörten die wilden Stürme, die oftmals Schiffe an unsere Küste warfen und ganze Strecken der benachbarten Klippen wegrissen. Als ich «Peter Grimes» schrieb, ging es mir darum, meinem Wissen um den ewigen Kampf der Männer und Frauen, die ihr Leben, ihren Lebensunterhalt dem Meer abtrotzten, Ausdruck zu verleihen – trotz aller Problematik, ein derart universelles Thema dramatisch darzustellen.“ Benjamin Britten: 1945
Die Dramaturgie des Werkes lässt auch darauf schliessen, dass Britten dagegen ankämpfte, dass er von den meisten in seiner näheren Umgebung für seine offen gelebte Homosexualität verachtet wurde. Peter Grimes, sein Alter Ego, kämpft also nicht mit den Tücken und Launen des Meeres, sondern gegen die seiner Mitmenschen.
Heras-Casados Vorliebe für Pointillismus während dieses Konzerts zahlte sich nie vollständig aus. In Brittens Four Sea Interludes hatte es nicht gerade den besten Anfang gegeben, mit fragwürdigen Bläser- und Blechbläserakkorden und einem Mangel an punktgenauer Präzision der Streicher. Ich war auch überrascht, dass keine echte Atmosphäre vorhanden war. Diese Miniatur-Meisterwerke sollten vor Charakter und Vorfreude prickeln, doch obwohl es im dritten Zwischenspiel tatsächlich viel Mondlicht gab, war kaum etwas von einer wachsenden Bedrückung bewusst. Heras-Casado bot im letzten Zwischenspiel etwas dramatische Energie, aber weit unter dem Grad an Wildheit, der erforderlich ist, um diesen Sturm wirklich furchterregend zu machen. Suffolk kann manchmal ein trostloser Teil dieser Welt sein, der allen Elementen ausgesetzt ist. Vom Orchester technisch perfekt dargeboten, litt die Interpretation etwas an der fehlenden Emotionalität.
Manuel de Falla Noches en los jardines de España / Sinfonische Impressionen für Klavier und Orchester
Nicht unbedingt das grosse Klavier Oeuvre für einen Pianosolisten, nicht so spektakulär und dankbar wie ein «ganzes» Klavierkonzert. So ist dieses Werk nicht wirklich ein Ausstellungsstück für den Solisten, da das Klavier trotz gelegentlicher Bravourstücke eine zusätzliche Farbe im gesamten Orchesterteppich darstellt. Bertrand Chamayous geschickte und saubere Passagenarbeit war ein bemerkenswertes Merkmal dieser Aufführung, und er griff die Synkopen und jazzartigen Beugungen in der abschließenden Darstellung der Gärten der Sierra de Córdoba sauber auf. Sein Klavierspiel kam jedoch in seiner Zugabe, Ravels Jeux d’eau, viel besser zur Geltung, nicht nur in der präzisen Artikulation, wenn Wasser spielerisch in alle Richtungen kaskadierte, sondern auch in der hinreißenden dynamischen Kontrolle.
Erster Satz
Der erste Satz kreiert ein Bild im Generalife, dem Sommerpalast des Kalifen, der Alhambra in Granada benachbart und zeichnet sich durch zahlreiche andalusische Themen aus. Diese andalusischen Themen werden zu diesem Zeitpunkt beim Hörer bereits als echt spanisch empfunden, der Phantasie des Pianisten, sowie des Hörers sind hier jedoch keine Grenzen gesetzt. De Falla setzt in diesem Satz zahlreiche rubati ein. Diese Tempoveränderungen entstammen ebenfalls der spanischen Folklore. Darüber hinaus sind Füllstimmen bei de Falla praktisch nicht vorhanden. De Falla verwendet kühne Kontrapunkte, wodurch er sein Können in besonderem Maße, neben der Vereinigung des impressionistischen Schreibstils mit der spanischen Folklore, im Besonderen herausstellt.
Filigrane Harfenglissandi schwirren in der schwülen andalusischen Nacht durch die Gärten gefolgt von sanften Antworten der Jagdhörner die ihrerseits von weichen Streichern umhüllt werden, bevor der Pianist nach etwa anderthalb Minuten ebenfalls ins Geschehen eingreift. Schlussendlich dreht sich alles um das immer wiederkehrende Thema an dem sich, mal abwechselnd, mal im Verbund Solist, Streicher und Bläser und/oder Schlagwerk abarbeiten.
Zweiter und dritter Satz
Der zweite und dritte Satz werden trotz ihres unterschiedlichen Charakters ohne Unterbrechung gespielt. De Falla verwendet auch in diesen beiden Sätzen folkloristische Elemente. Und wieder lädt de Fallas Komposition zum Träumen ein und überschreitet alle Grenzen des Nationalismus. Der dritte Satz En los jardines de la Sierra de Córdoba wirkt teilweise lebhafter, bis er zum leidenschaftlichen Tanz, dem Polo, wird, welcher charakteristisch für das südliche Spanien, auch als zigeunerische Sambra bezeichnet werden kann.
Ihre horrenden technischen Hürden, die laut Selbstzeugnis selbst einem Arthur Rubinstein gehörigen Respekt einflößten, bewältigt Chamayou souverän. Der Franzose ist aber auch ein Meister des Geheimnisvollen, Schimmernden, mithin ein Klangfarbenkünstler, der die melancholische Schönheit der drei berühmten „Nächte in spanischen Gärten“ wunderbar zum Klingen bringt. Diesen Spagat zwischen klarer Konturgebung, wie sie die „Noches“ – im Grunde drei thematisch verklammerte „Nocturnes“ – auch verlangen, und dem flirrenden andalusischen Kolorit macht Chamayou so leicht keiner nach, zumal sich auch seine orchestralen Partner so zupackend wie hellhörig und behutsam an dieser „andalusischen Heimatkunst“ beteiligen ‒ einer unverwechselbaren, trotz der Liszt-, Wagner- und Ravel-Zitate.
Interpretation verlangt viel Finger Spitzengefühl des Solisten
Einige heimtückische technische «Fallstricke» hats durchaus, mit den vielen Über- und Untergriffen, aber ganz speziell, wenn der Solist mit der linken Hand zwischen den Fingern der rechten Hand spielen muss usw. Die verschiedenen Dialoge der unterschiedlichen Register mit dem Solisten wechseln sich andauernd ab, mal hat der Solist, dann wieder das Orchester, respektive Registerteile von diesem, die tragende Rolle. Ein Miteinander in vollkommener Harmonie, dem Pablo Heras Casado, dank seinen spanischen Wurzeln, mit seinem temperamentvollen Dirigat das gewisse «ola» verlieh.
Im Finale favorisiert de Falla den Dialog des Klaviers mit den Hörnern bevor er in eine Träumerei mit den Streichern entführen lässt, die schlussendlich mit einem «fade out» Tutti ausläuft, also nicht ein bombastisches, sondern ein ganz sanftes Finale, quasi das einschlafen, das, nicht zu Bett, sondern zu Beet gehen, des Gartens, bendet mit einen Eintonanschlag auf dem Piano.
Bertrand Chamayou gewährte nach dem nicht enden wollenden Applaus noch eine Zugabe in Form von Maurice Ravels «Jeux d’eau.
Robert Schumann Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 97 »Rheinische«
Die «Rheinische» in der Stadt von Elbe und Alster, passt das? Ganz klar. und wie das passte.
Den Namen bekam die Sinfonie, weil Schumann mit seiner Familie in Düsseldorf Wohnsitz nahm, nachdem er dort beim „Allgemeinen Musikverein“ eine Anstellung gefunden hatte. Der majestätisch dahinfliessende Rhein beeindruckte ihn sehr und so fanden viele Eigenschaften des Gewässers Einfluss in, die in Düsseldorf entstandene Komposition Schumanns, beschreibt aber nicht tonmalerisch den Rhein oder den Kölner Dom, sondern spiegelt damit verbundene Stimmungen wider.
Pablo Heras-Casado wählte eine sehr schlanke und saubere Herangehensweise an die Partitur, indem er nur vier Kontrabässe verwendete. Die Tendenz, Schumann bis auf die Knochen zu entkleiden, ist ein vergleichsweise neues Phänomen. Auf diese Weise wird der Mythos, dass dieser spezielle Komponist nicht wusste, wie man orchestriert, effektiv auf den Punkt gebracht, da einzelne Linien eine bewundernswerte Transparenz bewahrten und es den Gegenrhythmen und den mitreißenden Hörnern ermöglichten, im Eröffnungssatz ihre Spuren zu hinterlassen.
Schlanker erster Satz
Der erste Satz beginnt unmittelbar mit seinem markanten, schwungvollen Hauptthema im ¾ Takt, das in der Folge im Seitenthema, in G – Moll, also der Paralleltonart, statt der Dominante B – Dur, ein lyrisches Element der Oboe enthält.
Einige fast widersprüchliche Angaben finden sich in diesem Werk. So schreibt der Komponist beim 2. Satz, dem ländlerhaften „Scherzo“ (was gewöhnlich auf ein flottes Tempo hindeutet) „sehr mäßig“ hinzu.
Der kurze 3. Satz steht in As-Dur und hat beschaulichen, kammermusikalischen Charakter. Schumann verzichtet in ihm auf den Einsatz von Schlagwerk und Blechbläsern.
Den 4. Satz, den Schumann ursprünglich mit „Im Charakter der Begleitung einer feierlichen Ceremonie“ überschrieb, intonierten die Protagonisten in diesem Sinne. Einen zusätzlichen klanglichen Akzent schafft Schumann, indem er zum ersten Mal in der ganzen Sinfonie die Posaunen einsetzt, die traditionell mit Kirchenmusik assoziiert werden, was seinerzeit oft als erklärungsbedürftig empfunden wurde.
Etwas übertriebene Lautstärke in den Mittelsätzen
Nach den drei langsameren Sätzen ist der Finalsatz wieder schwungvoll und betont heiter. Sein leicht zugänglicher Aufbau und ein Repertoire an eingängigen Melodien stellen zum getragenen vierten Satz zunächst einen plötzlichen Kontrast her, in Durchführung und Coda werden jedoch in Tempo und Charakter angepasste Motive aus dem 4. Satz übernommen.
Der Dirigent übertrieb in den vorherigen Sätzen manchmal etwas mit der Lautstärke, die eigentlich erst im Finalsatz richtig ausgereizt werden sollte. Durch diesen fegte er dann auch mit seinem Orchester, sehr zur Freude des Publikums im fast ganz besetzten Konzertsaal. Der Applaus fiel denn auch dementsprechend aus, inklusive der Sonderapplause für die einzelnen Sektionen, von denen die Bläser besonders gefeiert wurden.
Fazit: Trotz der sehr unterschiedlichen Werkprogrammierung ein sehr eindrückliches Konzert, welches besonders auch die Vielseitigkeit des Residenzorchesters, des NDR Elbphilharmonieorchesters unterstrich, ohne mit dieser Hervorhebung die Qualität von Solist und Dirigent schmälern zu wollen.
Die längste Rolltreppe Westeuropas in der Elbphilharmonie Hamburg
www.youtube.com/watch?v=3r2JAQYcCIY
Text: www.leonardwuest.ch
Fotos: Angela Henzi und https://www.ndr.de/
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