Besetzung und Programm:
Shih Wei Huang Solistin am Piano
Ferruccio Busoni
Transcription of Bach, Chaconne in D minor BWV 1004
Shih-Wei Huang
Sprache des Windes
Modest Petrovich Mussorgsky
Bilder einer Ausstellung
Der Hausherr, Pastor Paul Houiellebecq, hiess die ca. 100 Personen in der Internation Church Luzern an der Zähringerstrasse herzlich willkommen und übergab das Wort dann an Organisatorin Jenny Mumenthaler,die mit den Einnahmen aus diesem Anlass das Projekt «Care Corner Orphanage Thailand» finanziell unterstützen will und den Anwesenden näheres darüber erzählte. Ebenso verdankte sie, dass Frau Helga Kropf-Neumann die Miete des Konzertflügels organisierte und finanzierte.
Wohl kaum ein Komponist hat sich auf so vielen Ebenen mit der Musik eines
anderen Komponisten beschäftigt wie Ferruccio Busoni (1866 – 1924) mit Jo-
hann Sebastian Bach. Ausdruck dieser intensiven Auseinandersetzung sind
nicht nur seine zahlreichen Transkriptionen für Klavier von Bach’schen Ori-
ginalwerken – so etwa auch die in diesem Konzert Chaconne –, sondern auch viele
seiner Kompositionen, die unterschiedlich stark vom großen Vorbild Bach
geprägt sind. N.B.Johannes Brahms schrieb eine Klavier-Bearbeitung, die nur mit der linken Hand gespielt wird.
Etwas dumpf und ein wenig geheimnisvoll, aber durchaus präsent erklingt das Thema von Bachs berühmter Chaconne aus der d-Moll-Partita BWV 1004 in der Transkription für Klavier von Ferruccio Busoni, welche sowohl unter Busonis Bach-Transkriptionen als auch unter den vorliegenden Transkriptionen der Chaconne selbst zweifellos die berühmteste darstellt. Laut Bachs Schüler Johann Friedrich Agricola spielte Bach ‚sie selbst oft auf dem Clavichorde, und fügte von Harmonie so viel dazu bey, als er für nöthig befand.’ Busoni treibt eben das in romantischer Manier auf die Spitze, wodurch seine Bearbeitung durchaus auch als Nachkomposition bezeichnet werden kann, entwickelte er dieses Stück doch aus einer einzelnen Violinstimme. Neben dem handwerklichen Können schafft Shih Wei es auch durch gefühlvolles und jederzeit cantables Spiel, eine derart begeisternde Performance hinzulegen, die in keinem Moment statisch wirkt. Und Shih Wie zieht den Hörer mit dieser Bearbeitung vom ersten Ton an in seinen Bann. Vielleicht liegt das Geheimnis des Werkes auch in der Form des letzten Satzes, der berühmten Chaconne. Diese besteht aus freien Variationen über einem Thema in der Baßstimme, das ununterbrochen wiederholt wird. Ein ständig um sich selbst kreisender Gedanke, den Bach ganze 32 Mal eindringlich variiert.und so das Thema der Chaconne, die sich in mehreren Anläufen zu immer neuen Höhepunkten steigert, bevor es in einem letzten Durchgang in schlichterem Gewand erklingt und in einem herrlich erlösenden D-Dur-Akkord mündet. Die perfekte Interpretation dieses technisch äusserst anspruchsvollen Werkes durch die taiwanesische Tastenzauberin belohnte das Publikum mit langanhaltendem Applaus.
Shih-Wei Huang Sprache des Windes
Darauf waren natürlich alle neugierig, wie kommt eine Eigenkomposition von Shih Wei daher. Wer Anleihen an die klassische «China Oper» erwartete, lag ebenso falsch wie diejenigen, die dachten, dass Aufgrund ihres nun schon sechsjährigen Aufenthaltes in der Schweiz, Ländler Einflüsse zu hören seien. Auch nichts von Romantik oder neuen Wiener Schule, nein, neu erfunden hat sie Komposition nicht, aber sehr eigenständig hörte es sich trotzdem an und technisch sehr anspruchsvoll, wie die Werke, die sie sich jeweils für ihre Auftritte auswählt. Die Komposition, so Shih Wie, sei eigentlich aufgrund des Unterbeschäftigseins während der Covid Pandemie entstanden, da habe sie ja, unfreiwillig genug Zeit für eigene Projekte gehabt und das folgende Gedicht als Grundlage dafür genommen:» f you believe memories are the episodes of life, longing is the connection of hearts, why not listen to the wind, telling tales from ancient times».
Beim virtuosen Klavierspiel sind Übergriffe, im Gegensatz zum normalen Leben sehr erfreulich
Zu Beginn bringt der Wind die Blätter eines Baumes zum rascheln und dazwischen Fetzen von Vogelgezwitscher, starke Windstösse wirbeln schon fast vergessene Erinnerungen hoch, Shi Wie fegt wie ein Wirbelwind durch die Partitur, setzt Über- und Untergriffe, wuchtige Staccato, hingeworfenen Akkorden folgen filigrane Läufe, eigentlich reizt sie alle Facetten des Klavierspiels mit ihrer Komposition aus und darf dafür, vom sichtlich beeindruckten Auditorium, den entsprechenden Applaus ernten.
Modest Petrovich Mussorgsky Bilder einer Ausstellung
1874 komponierte Modest Mussorgskij seinen Klavierzyklus “Bilder einer Ausstellung“ inspiriert durch die Gedenkausstellung seines Malerfreundes Victor Hartmann. Doch erst 50 Jahre später schafften es die musikalischen Bilder in den Konzertsaal – 1922 orchestrierte Maurice Ravel die „Bilder einer Ausstellung“ und macht sie dadurch weltberühmt. Auch die Klavierfassung wurde dadurch bekannt und bleibt nach wie vor ein Favorit bei Pianist*innen. Das Werk ist eines der meistbearbeitenden Stücke der spätromantischen Klavierliteratur. Der zuweilen sehr orchestrale Klaviersatz hat wiederholt Bearbeiter dazu angeregt, Orchesterfassungen dieses an Kontrasten reichen Werkes zu schaffen. Die bekannteste dürfte nach wie vor jene von Maurice Ravel aus dem Jahre 1922 sein. Ein Werk voller Kontraste und Brüche. Beim Publikum berühmt wegen den impressionistischen Passagen der Partitur und der ‘Promenade’, jener Melodie, die zwischen den Abschnitten, die einzelnen Bildern gewidmet sind, steht und das schreiten durch eine Ausstellung vermitteln soll, von Kritikern und Komponisten geschätzt wegen der harten Kontraste, der ausgefallenen Metrik und Harmonik und der außergewöhnlichen Struktur und von Pianisten gerne gespielt, da das Stück zusätzlich pianistische Virtuosität verlangt. Inspiriert von der Ausstellung machte sich Mussorgskij sofort an die Komposition eines Klavierzyklus.
Akustische Durchwanderung einer Bilderausstellung
Seine Idee ist so einfach wie genial: Eine Art „Ich-Erzähler“ streift durch die Galerie und betrachtet die Bilder. Das wiederkehrende Zwischenspiel der „Promenade“ verbindet die zehn Bilder und spiegelt die Stimmung des Betrachters wider. Doch dahinter versteckt sich, trotz diesem recht simplen Programminhalt ein viel tieferer Sinn: „Die ‚Bilder einer Ausstellung‘ gelten als DAS russische Musikwerk schlechthin. Interessant: Die russische Sprache ist da jedoch wenig vertreten. Dafür verwendet Mussorgskij für seine Stücke sechs europäische Sprachen: Promenade, die Tuilerien, der Marktplatz von Limoges – französisch; dann: für Gnomus mittelalterliches Latein, danach: Vecchio Castello in italienischer Sprache, aus der Renaissancezeit. Auch interessant: Mittelalter und Renaissance folgen hier aufeinander. Dann Bydlo- polnisch. Dann zwei Juden Samuel Goldenberg und Schmuel – jiddisch. Später stellt sich heraus, dass es sich nicht um ein Bild Schmuels handelte, sondern um das Porträt eines italienischen Bauern. Eine solche babylonische Sprachvermischung ist für den Komponisten ein wichtiges Symbol. Sie verkörpert die Idee einer Zeitreise durch Länder und Epochen. Das sind Bilder, aber nicht nur einer Ausstellung von Viktor Hartmann, sondern Bilder der Welt.“ Das berühmte Leitthema beruht auf Formeln russischer Preislieder, wie sie auch in der Oper „Boris Godunow“ vorkommen. Sie kehrt nicht nach jedem Satz wieder, wird verändert, lässt den einen Satz bereits an-, den anderen noch nachklingen und wird im letzten Stück zur Apotheose geführt. Das Schlendern durch die fiktive Ausstellung des Malers Viktor Hartmann gelang der taiwanesischen Solistin hervorragend und man fühlte sich als Zuhörer bei Shih Weis Darbietung immer weiter hineingezogen.
Hervorragende Ausgestaltung der einzelnen Bilder in Gefühlswelten
So plastisch war ihr Spiel, dass man meinte, spielende und zankende Kinder, frischgeschlüpfte Küken oder schnatternde Marktfrauen im Saal neben sich zu haben. Den krönenden Abschluss bildete das große Tor von Kiew, bei dem die engagierte Pianistin endgültig ihr Publikum vom Bilderrahmen direkt in das Bild hineingeführt hatte. Sie bewies sich wandelbar in Klang und Ausdruck, jedoch immer natürlich und ohne überzogene, künstlerische Attitüde.
Für den stürmischen Schlussapplaus gewährte die Künstlerin als Zugabe die Eigenkomposition «Entdeckung», womit das Auditorium sich aber noch nicht zufrieden gab und noch eine zweite erklatschte die gab Shih Wei in Form des fulminanten Titelsongs aus dem Film «Pirates oft he Caribbean»
Shih Wei beim spielen ihrer Eigenkomposition „Sprache des Windes“, die sie aufgrund dieses Gedichtes verfasst hat: if you believe memories are the episodes of life, longing is the connection of hearts, why not listen to the wind, telling tales from ancient times
Text: www.leonardwuest.ch
Fotos: Léonard Wüst und https://www.shihweihuang.com/
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