Besetzung und Programm:
Zürcher Kammerorchester
Fabio Biondi Violine und Leitung
Avi Avital Mandoline
Als Reisender in der Musikgeschichte kennt der gebürtige Israeli Avi Avital keine Grenzen, wenn er sich auf die Suche nach Repertoire für seine Mandoline begibt. Wenn das Vivaldi-Konzert mit der Adaption des Bach-Violinkonzerts für Mandoline in einen Dialog tritt oder Tschaikowskys «Jahreszeiten» mit dem wunderbaren Violinkonzert G-Dur von Joseph Haydn kontrastiert, dann entstehen Programme, in dem alle – Solist, Orchester und Publikum – vollkommen Neues entdecken.
Antonio Vivaldi Konzert g-Moll RV 156 für Streicher und Basso continuo
Den Auftakt machte das Zürcher Kammerorchester, geleitet von Fabio Boni, anstelle des kurzfristig erkranken Stammkonzertmeisters Willi Zimmermann, mit Vivaldis Konzert g-Moll RV 156 für Streicher und Basso continuo. Elegant und beschwingt fröhlich fiedelten sich die Musiker durch die Partitur des, schon zu seiner Zeit europaweit bekannten venezianischen Teilzeitpriesters.
Antonio Vivaldi Der rote Priester
Jeder in Venedig kannte Vivaldi. Aber viele wussten gar nicht wie er wirklich hieß – für sie war er einfach nur der „prete rosso“, der „rote Priester“. Denn bevor Antonio Vivaldi ein berühmter Komponist wurde, war er zum Priester geweiht worden. Außerdem hatte er feuerrote Haare, was in Italien noch viel seltener ist als bei uns. Vielleicht hat Vivaldi auch deshalb seine Haare manchmal unter einer Perücke versteckt.
Dem Publikum, durchwegs eher gesetzteren Alters gefiel dieser muntere Auftakt ins Konzert, was es auch mit reichlich Applaus bekundete.
Johann Sebastian Bach Violinkonzert a-Moll BWV 1041
Grundsätzliches zu Bach: Eine Vielzahl an Wahlmöglichkeiten, die sich bei Bach wie bei kaum einem anderen Komponisten auftut: Versucht man ein möglichst historisch korrektes Spiel, also abgesetzt, schlank und doch kantabel? Sollen die Melodien bescheiden klingen, geistlich oder glamourös? Wie schaffe ich genug Transparenz, so dass das ganze Geflecht der Töne hörbar wird? Und wie lasse ich meine Finger so über die Saiten tanzen, dass die Ecksätze ganz leicht und luftig klingen? Habe ich genug an die Räume gedacht, für die Bach komponiert hat? Hohe Decken, glatte Steinfußböden und viel Hall?
Avi Avital beantwortet all diese Fragen auf seine Art
Beim, von ihm arrangierten Violinkonzert a-Moll BWV 1041 von Johann Sebastian Bach, war dann Avi Avital mit von der Partie mit seiner Mandoline und er hatte, für sich und uns, alle obenstehenden Fragen richtig beantwortet. Avital ist ein junger Künstler (*1978) mit sympathischem Lachmund und dunklem Lockenschopf. Er hat viel Charisma und Persönlichkeit und scheut sich nicht davor, diese in seinen musikalischen Eskapaden auf der Mandoline auch mit viel Leidenschaft zum Ausdruck zu bringen. Leider war sein Instrument nur bei Solosequenzen und Improvisationen gut zu hören, nicht aber im Tutti des Orchesters, aber was man hörte, war ausserordentlich virtuos und es schien fast, als würde die Mandoline das sonst oft übliche Cembalo ersetzen. Trotzdem wusste der erste Teil dieses ausserordentlichen Konzertes zu überzeugen, was auch dem vorzüglichen Streicherensemble des ZKO zuzuschreiben war. “Bachs Musik ist voller Geheimnisse. Egal, wie lange man sie schon spielt, immer gibt es etwas Neues zu entdecken”, schwärmt Avi Avital. “Wenn man ein anderes Instrument einsetzt, kann man die Zeitlosigkeit dieser Musik auf ganz neue Weise erleben.” Mit dieser Erkenntnis und nach langem, kräftigem Applaus, begab man sich zufrieden in die Foyers für die Pause.
Ottorino Respighi «Antiche danze ed arie per liuto», 3. Suite
„Alte Tänze und Weisen für Laute“) ist der Titel einer Reihe von Orchestersuiten. In dem neoklassizistischen Werk greift der Komponist auf Übertragungen von Lauten- und Gitarrentabulaturen des 16. und 17. Jahrhunderts zurück, die der italienische Musikwissenschaftler Oscar Chilesotti (1848–1916) editiert hatte, und arrangierte sie für modernes Instrumentarium. Ein relativ unspektakulärer Auftakt, kennt man Respighis Werke doch sonst eher etwas lebhafter, an mozartsche Virtuosität angelehnt, aber eine ideale Komposition, um «in die Gänge zu kommen». Der Untertitel des Werkes lautet Trascrizione libera per orchestra (freie Transkriptionen für Orchester). Das Publikum genoss vom ersten Ton an und belohnte die Musiker mit langanhaltendem Applaus.
Joseph Haydn Violinkonzert G-Dur Hob. VIIa:4
Es gibt gerade genug Elemente von Haydns frühem Stil in seinen drei Sätzen, die seinen Verbleib im Kanon der echten Werke gestatten“ (H. Robbins-Landon). Seine Solopartie ist insofern ungewöhnlich, als sie praktisch nicht über die dritte Lage hinausgeht und auch sonst kaum Gebrauch von virtuosen Passagen macht. So liegt der Schwerpunkt des Werkes ganz auf der Gesanglichkeit. Die ersten beiden Sätze erinnern an kantable Opernarien aus der Zeit um 1750, besonders schön das Adagio mit seiner weitgespannten Streicherkantilene, die die Mandoline aufgreift und ausschmückt. Das Finale, ein vitaler Kehraus, könnte in jedem Haydn-Divertimento stehen. Avi Avital bot einen fantastischen Haydn, klanglich «a la Napolitaine» mit seinen mediterranen Mandolinenklängen. Virtuos seine Läufe, weich und ausgedehnt die Tremoli. Hier konnte der Solist seiner Virtuosität freien Lauf lassen und zugleich die komplexen Strukturen der Musik mit dem weichen Wohlklang der Mandoline zum Leuchten bringen und wurde dafür vom sachkundigen Auditorium mit langanhaltender Akklamation belohnt.
Pjotr I. Tschaikowsky Aus: «Die Jahreszeiten» op. 37b, Auszüge
Tschaikowsky versuchte typische Stimmungen und Szenarien der jeweiligen Monate einzufangen und musikalisch umzusetzen. So beginnt der „Mai“ mit der Atmosphäre einer sternenklaren romantischen Frühlingsnacht. Im September wird eine Jagd musikalisch dargestellt – mit Hilfe der Zitate von typischen Jagdrufen. Hier führte Fabio Biondi «sein» Orchester stehend dirigierend durch die Partitur. Anhand der zwölf Monate des Jahreskreises kann das Orchester hier zwölf intime Stimmungsbilder nachzeichnen. Russischen Charakter hat vor allem ‚Auf der Troika‘, wenn im November die Glöckchen des Schlittens und der frohe Gesang der Insassen einen bezaubernden Klang erzeugen. Ein stimmiger Abschluss des Konzertes an diesem lauen Frühlingsabend. Das Publikum belohnte die Künstler*innen mit einem kräftigen Schlussapplaus, der nicht aufhörte, bis uns die Protagonist*innen als Zugabe ein kleines Stück von Vivaldi und, da der Applaus nicht nachliess, noch einige Takte Bach obendrauf gewährten. Fazit. Ein spannendes Konzerterlebnis der etwas anderen Art, erfrischend und erfreuend, dank einem ausserordentlichen Solisten, einem, für uns eher exotischen Instrument und dem fabelhaften Zürcher Kammerorchester.
Text: www.leonardwuest.ch Fotos: Vanessa Bösch und www.zko.ch
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