Archäologische Bodenfunde im unteren Reusstal geben Unbekanntes preis

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Rückseite des Genovino d’oro mit Kreuzbild, geprägt unter dem Dogen von Genua Simone Boccanegra (1356–1363), gefunden während dem Aushub von Leitungsgräben in Altdorf. Foto: Res Eichenberger.

Seit letztem Sommer kamen an drei unterschiedlichen Orten in den Gemeinden Altdorf und Schattdorf Fundstücke zu Tage, die ein neues Schlaglicht auf einzelne Aspekte in der Geschichte der beiden Gemeinden werfen. Erstens sind dies die Entdeckung des Schattdorfer Beinhauses und der Hinweis, dass noch wesentliche Bestandteile der mittelalterlichen Vorgängerkirche der jetzigen Pfarrkirche noch an Ort und Stelle im Erdreich zu vermuten sind. Zweitens wurden rund um den Pulverturm in Bötzlingen bei Schattdorf eine grosse Anzahl an neuzeitlichen Münzen gefunden. Sie stammen aus einer Zeit, als der Ort als Landsgemeindeplatz eine zentrale Funktion für die Geschicke des Landes Uri innehatte. Drittens kamen in Folge des Leitungsbaus der Fernwärmeerschliessung im Altdorfer Zentrum Feuerstellen und Gassenpflästerungen zum Vorschein, die u.a. die gewerbliche Nutzung dieses Dorfareals seit dem Mittelalter belegen. Eine Goldmünze des 14. Jahrhunderts aus Genua steht wohl sinnbildlich für das aufstrebende Altdorf als wichtiger Etappenort auf der Gotthardroute zwischen Norden und Süden. Hervorzuheben ist der Fund von römischer Gefässkeramik aus dem Bereich des Lehnplatzes. Als erst dritte Gemeinde neben Schattdorf und Attinghausen weist nun Altdorf einen wichtigen Hinweis auf eine in Nähe liegende römische Siedlungsstelle vor.

Was das neu entdeckte Schattdorfer Beinhaus mit einem Pilgerort in Spanien gemein hat

Die Park- und Werkleitungserneuerung im Friedhofsareal unmittelbar vor dem Kirchenschiff bedingten im vergangenen Sommer archäologische Sondiergrabungen. Dabei wurden die Überreste eines Beinhauses angeschnitten. Es handelt sich sehr wahrscheinlich um das im Jahr 1520 geweihte Beinhaus. Es bestand aus zwei Räumen: eine Art Vorraum und dem tiefer liegenden Aufbewahrungsraum, dem eigentlichen Ossuarium für die Gebeine (Abb. 1). Getrennt waren sie durch eine Terrassierungsmauer mit einer Art Schranke oder Geländer aus Holz. So konnte man vom Vorraum aus auf die aufgebahrten Gebeine der Verstorbenen im Ossuarium blicken. Die Südwestwand des Gebäudes wurde zu einem späteren Zeitpunkt vollständig erneuert. Die Wände der erhaltenen Mauern waren mit einem Kalkputz versehen. Unter dem Abbruchschutt fanden sich aber auch bemalte Verputzreste u.a. mit figürlichen Darstellungen. Sie stammen womöglich aus der zeitgleich mit dem Beinhaus abgerissenen Pfarrkirche, die beide dem Neubau der jetzigen Pfarrkirche ab 1728 weichen mussten. Die im Ossuarium aufgebahrten Gebeine wurden im Zuge dieses Akts in Form einer mächtigen Knochenschicht ausplaniert. Es folgten Ab-bruchschichten und eine zweite mächtige Schicht menschlicher Knochen, die vermutlich im Bereich des Friedhofs im Zusammenhang mit dem Kirchenneubau zum Vorschein gekommen und wohl aus Pietäts-gründen ebenfalls im ehemaligen Beinhaus deponiert worden sind.

Eine erste Kapelle ist schon für das 13. Jahrhundert schriftlich belegt. Die eigentliche Pfarreigründung wurde jedoch erst 1537 vollzogen. Dennoch wurde schon vorher, aufgrund der Knochenmenge wohl schon lange Zeit vor dem Bau des Beinhauses 1520, bei der Kirche bestattet, was eigentlich dem Recht einer Pfarrkirche vorbehalten war.

Aus der über die Jahrhunderte angehäuften Friedhofserde stammt ein Kreuzanhänger, der sehr wahrscheinlich einer verstorbenen Person als Heilsbringer im Jenseits mitgegeben worden ist. Es ist aus Bronze gefertigt und weist die Form eines doppelarmigen Kreuzes auf, das dem Kreuz von Caravaca de la Cruz, einem spätmittelalterlichen Pilgerort im südöstlichen Spanien, entspricht (Abb. 2). Der Ort soll im 13. Jahrhundert in Folge des Geschenks einer Kreuzreliquie durch den Erzbischof von Jerusalem seinen Status als Pilgerstätte erhalten haben. Sie wird in einem doppelarmigen Kreuz aufbewahrt, das infolgedessen Vorlage für Pilgerabzeichen geworden ist. Im 16./17. Jahrhundert fand das sog. Caravacakreuz als Hilfe gegen Krankheiten und Epidemien in Europa Verbreitung. Hinweise auf eine Pilgerfahrt nach Caravaca des auf dem Schattdorfer Friedhof bestatteten Menschen könnte sich wohl in Jahr-zeitbüchern im Pfarrarchiv der Gemeinde finden lassen. Andererseits könnte es Ausdruck einer verhandelten Ware sein und vielleicht so seinen Weg bis nach Schattdorf gefunden haben.

Der Pulverturm mit bewegter Geschichte

Ein weiterer Zeitzeuge der Geschichte auf Gemeindeboden von Schattdorf ist der heute noch gut sichtbare sogenannte Pulverturm bei Bötzlingen (Abb. 3). Seine Ursprünge gehen wohl auf den Stammsitz der 1275 erstmals bezeugten Familie von Bötzlingen zurück. Sein Mauergeviert dürfte die Reste eines Wohnturms beherbergen, der auf einer markanten Schulter eines Moränenhügels erbaut worden war. Das umgebende Gelände könnte weitere Mauergrundrisse verbergen.

Der Turm gehörte spätestens um 1370 der Schattdorfer Familie Haldi. Die ab 1231 für Uri fassbare Landsgemeinde wurde ab dem 15. Jahrhundert bis zu ihrer Auflösung 1928 in Bötzlingen abgehalten. Ab dem 17. Jahrhundert wurde das Schiesspulver des Landes Uri in der zusätzlich eingebauten Pulverkammer im Turmstumpf eingelagert.

Eine Prospektion rund um das Turmgelände verfolgte das Ziel, Metallgegenstände die zur Geschichte des Turms gehören, vor der stark landwirtschaftlich geprägten Nutzung des Areals zu schützen. Sie wurde von den beiden ehrenamtlichen Prospektionsgängern Beatrix Koens, mit langjähriger Erfahrung, und Niclas Gisler, beide in Uri wohnhaft, mit dem verdankenswerten Einverständnis des Landeigentümers durchgeführt. Dabei kamen u.a. über 25 Münzen des 16. bis 18. Jahrhunderts zum Vorschein. Eine solche Anhäufung wirft Fragen auf: Stammen sie ursprünglich von einem Hortfund, der mittlerweile durch landwirtschaftliche Tätigkeit verlagert wurde? Oder ist hier eine willentliche Münzniederlegung fassbar, vielleicht als Eigenheit im Zusammenhang mit der Landsgemeinde? Eine vertiefte Auswertung von historischen Dokumenten, der Funde und ihrer Fundlage könnte hierzu vielleicht Antworten liefern.

Neue Funde zwischen alten Leitungen in Altdorf

Der im Frühjahr ausgeführte Bau einer Fernwärmeleitung führte mitten durch den östlichen historischen Teil von Altdorf, namentlich Schlossergässli, Lehnplatz und oberes Lehngässli. Der Leitungsbau legte denn auch im Bereich des Schlossergässlis den mutmasslichen Brandschutt des Dorfbrandes von 1799 frei. Darunter verborgen kamen mehrere Pflästerungen zum Vorschein, die mindestens bis ins 14. Jahrhundert zurückreichen sowie eine mittelalterliche Feuerstelle aus dem 15. Jahrhundert. Die Feuerstelle und die im Umfeld gefundenen Eisenschlackenstücke sind Zeugnis des mittelalterlichen Schmiedehandwerks, welches von historischer Seite bis in die frühe Neuzeit belegt ist und schlussendlich dem Gässlein seinen Namen gab. Ein herausragender Fund stellt die fast 700jährige Goldmünze aus Genua dar, ein zwischen 1356 und 1363 geprägter Genovino d’oro (Abb. 4). Sie widerspiegelt den zunehmenden wirtschaftlichen Austausch zwischen Nord und Süd auf der prosperierenden Gotthardroute und unterstreicht die wichtige Rolle des Etappenorts Altdorf. Ihre Fundlage in einer durch Holzkohleeintrag dunkel gefärbten Erdschicht könnte vielleicht auf einen noch älteren, historisch verbrieften Dorfbrand von 1400 hinweisen.

Ein ebenso wichtiger Fund aus dem Leitungsgraben ist die Wandscherbe einer Keramikschüssel mit figürlichem Dekor. Sie entspricht dem typischen Tafelgeschirr, der sogenannten terra sigillata, der römischen Zeit des 1. bis 3. Jahrhunderts n. Chr.in unserer Region. Dies ist ein Hinweis auf eine in Nähe liegende römische Siedlung, beispielsweise in Form einer villa rustica, einem damaligen Landwirtschaftsbetrieb. Damit verdichten sich die Belege der Präsenz römerzeitlicher Siedlungen auf Urner Gebiet, zumindest im unteren Reusstal. Nur fehlt leider nach wie vor der eindeutige Nachweis dazugehörender römischer Mauern.

Die hier vorgestellten archäologischen Felduntersuchungen zeigen auf, dass viele unterschiedliche Bauprojekte oder die alltägliche Landwirtschaft das im Boden schlummernde Kulturgut tangieren. Umso wichtiger ist es, dass diese archäologischen Felduntersuchungen als wesentlicher Bestandteil zur Dokumentierung unseres reichen historischen Kulturerbes einen grossen Anteil zur Erkenntnis unserer Herkunft und unserer Geschichte liefern und deshalb unentbehrlich sind.[content_block id=45503 slug=unterstuetzen-sie-dieses-unabhaengige-onlineportal-mit-einem-ihnen-angesemmen-erscheinenden-beitrag]