Besetzung und Programm:
Daniel Dodds Violine
Raphaela Gromes Cellist
Julian Riem Klavier
ROBERT SCHUMANN
· Märchenerzählungen op. 132
· Fantasiestücke op. 73
KAROL SZYMANOWSKI
· Mythen op. 30
FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY
· Scherzo aus «Ein Sommer nachts-traum» op. 61 Nr. 1
MAURICE RAVEL
· Ma mère l’oye (1908/1910)
ERNEST CHAUSSON
· Poème op. 25
FRANZ LISZT
· Gnomenreigen, aus 2 Konzertetüden S. 145
PAUL JUON
· Märchen a-Moll op. 8
PETER ILJITSCH TSCHAIKOWSKY
· Walzer aus dem Ballett «Dornröschen» op. 66
Wie immer begrüsste Orchesterdirektor Hans Christoph Mauruschat die Gäste, diesmal mit den besten Neujahrswünschen für das noch junge neue Jahr 2023.
Die künstlich-künstlerische Verschleierung der Wirklichkeit ist einer der Topoi der romantischen Schaffensweise, und den Literaten wie auch den Musikern jener Epoche kamen u. a. Mythen und Märchen als Inspiration für den Akt des Verschleierns entgegen: Wie wunderbar lassen sich sensible innere Erfahrungen, die als zu fragil für den harten Zusammenprall mit Wirklichkeit empfunden werden, in die traumähnlichen, irrealen Bilder fantastischer Erzählungen kleiden! Ein Musiker wie Robert Schumann, dem der innere Zusammenhang verschiedener Kunstgattungen bewusst war und am Herzen lag, ließ sich vom Märchengenre denn auch musikalisch inspirieren, wovon seine Zyklen „Märchenerzählungen“, „Märchenbilder“ und „Fantasiestücke“ zeugen.
Musik im Stile Schumanns erklingt hier anfangs noch fetzenweise wie im Nebel, gleitet aber immer wieder rasch in ein atonales, teils auch bis zum Geräuschhaften vordringendes Idiom ab, das sich dann für die folgenden Sätze weiter etabliert und ausdifferenziert. Spannender fast als Schumanns Musik sind diese Stücke, die ganz zeitgenössisches Empfinden und Erleben im Umgang mit Realität und Fiktion, mit Wirklichkeit und Unwirklichkeit widerzuspiegeln scheinen.
Trotz des gedämpft wirkenden, dunkel gefärbten Klangbildes dominiert die mit „Lebhaft“ umschriebene Ausdrucksdimension der Stücke, deren Grundhaltung durchaus optimistisch wirkt. Im Rahmen der kammermusikalisch besetzten Werke in freien Formen etabliert Schumann im Laufe seines Schaffens ein neues Genre, indem er diese mit konzeptionellen Inhalten bereichert: Bei klarer Trennung zur zyklisch gebundenen Sonatenform bringt er dennoch Momente der dort vorgegebenen formalen Strukturen sowie motivische und harmonische Techniken ein. So scheinen auch die Vier Märchenerzählungen für Klarinette, Viola und Klavier op. 132 zyklisch verbunden. Allein durch ihre tonartliche Disposition entsteht ein Zusammenhalt. Außerdem finden sich einige Kernmotive, die einzelne Abschnitte in Beziehung zueinander setzen. So schildert Schumann sein musikalisches Material auf vielfältige charaktervolle Weise, was nicht zuletzt das im Titel angedeutete „Erzählen“ einlöst.
Während das eröffnende Stück recht anmutig, aber noch verhalten lebhaft daherkommt, zeigt sich im folgenden eine dynamische Steigerung zum Kraftvollen. Ein kontrastierender lyrischer Mittelteil nimmt bereits die Stimmung des dritten Stücks vorweg, das sehr melodiös und beinahe volkstümlich-schlicht gehalten ist. Zwar fügt Schumann auch in die Mitte des Finales eine ruhigere Episode ein, dennoch überwiegt hier ein vor Kraft sprühender, schalkhaft-auftrumpfender Gestus, den die drei Musiker*innen meisterhaft zum Ausdruck bringen.
Dies verdankte das Publikum im ausverkauften Zeugheersaal mit reichlich Zuspruch in Form des stürmischen Applauses.
KAROL SZYMANOWSKI Mythen op. 30
Mit den 1915 komponierten „Mythen“ schuf Szymanowski eine ebenso narkotisierende wie sensualistisch raffinierten Musik. Mit flirrenden Linien und Trillermelodien, immer neu eingefärbten Klangflächen, Flageoletts und anderem mehr entführen die Cellistin und Julian Riem am Klavier die Hörer in ferne, traumhaft unwirkliche Welten voller geheimnisvoller Klänge. Ein überragendes Plädoyer für Szymanowskis fantastische Musik, die leider viel zu selten programmiert ist.
Felix Mendelssohn Bartholdy Scherzo aus «Sommernachtstraum»
Hier lassen die drei auf der Bühne, entsprechend dem Namen des Werkes, scherzhaft, neckisch die Elfen durch den Saal tanzen, ganz im Gegensatz zu seinem *Tanz von Rüpeln», ist hier alles federleicht und filigran, die Künstler agieren phonetisch zurückhaltend, ergänzen sich bestens und harmonieren vorzüglich.
Sehr oft auf den Programmzetteln steht dafür das darauf folgende Werk von Maurice Ravel.
MAURICE RAVEL Ma mère l’oye
Der Pianist Julian Riem erklärte, dass Dornröschen, der Kleine Däumling, Die Kaiserin von den Pagoden und die Schöne und das Biest, alles Figuren aus Charles Perraults Märchensammlung, als Grundlage diente für Ravels Komposition.
Diese Figuren lässt, der Komponist lebendig werden und schließlich in einem farbenprächtigen Feengarten das große Finale von „Ma mère l’oye“ zelebrieren. Ein Stück für Kinder? Ja! Weil Ravel die ursprüngliche Klavierversion für die Kinder von Freunden komponiert hatte. Eine Miniatur? Auch! Weil der große Gestus dem intimen Detail weicht. Aber dennoch ein Stück mit Tücken. Voller Raffinesse. Eine gewisse Naivität wird, wie oft bei Ravel, zum Stilprinzip.
Cellistin Raphaela Gromes erläuterte, dass alle gespielten Stücke eigens vom Pianisten Julian Riem für die Besetzung im Schweizerhof und die daraus entstehende CD, arrangiert wurden, da einige im Original teilweise anders instrumentiert sind, wie bei Schumann z.B. das erste Stück Klarinette (ad lib. Violine), Viola und Klavier, ds zweite Klarinette in A, Flöte, Harfe und 2 Violen.usw.
ERNEST CHAUSSON Poème op. 25
Hier gelingt es den Protagonist*innen immer, bei den vielen in Oktaven geführten Passagen im Trio zu einem riesigen „Violin-Cello“ zu verschmelzen, was vor allem an der immer exakten Einheitlichkeit in der Intonation liegt. Hier wirken sie wie ein schon lange eingespieltes Trios, das den Chausson sehr souverän im Griff hat. Auch in den beiden im Kern lyrischen, in Aufschwüngen jedoch hochvirtuosen Ysaÿe-Soli . Hier kann aber Julian Riem aufgrund des unübersichtlichen und unglaublich dicken Klavierauszugs fast nur in Korrepetitoren-Manier agieren.
FRANZ LISZT Gnomen Reigen, aus 2 Konzertetüden S. 145
Unter den Komponisten des 19. Jahrhunderts gehörte Franz Liszt zu den schillerndsten Persönlichkeiten. Er war Exzentriker und Frauenschwarm, Intellektueller, Geistlicher, Kosmopolit und Vielreisender, Unternehmer und Entertainer, ein virtuoser Pianist, der Konzertsäle füllte, ein Pädagoge und ein Komponist, der eine Vielzahl von Werken unterschiedlichster Gattung schuf.
Der Gnomen Reigen gehört zu den vielen Werken Liszts die neben Fingerakrobatik vor allem nach Charakterschilderung, nach Stimmungen und Impressionen verlangen. Diesem Verlangen kam das Trio auf der Bühne in jeder Hinsicht nach und man empfindet – bei geschmackvoll eingesetztem Rubato – eine ausgereifte Kontrolle des Materials, was zu Durchsichtigkeit und auch Klangschönheit führt, aber dafür Wildheit oder gar Exzess außen vorlässt.
PAUL JUON Märchen a-Moll op. 8
Raphaela Gromes und Julian Riem spielen vorzüglich aufeinander abgestimmt. Gromes besitzt ein sicheres Gefühl für melodische Entwicklungen. Sie hält sich streng an die Phrasierungsvorschriften der Komponisten, verliert sich aber nicht in einem bloßen Aneinanderreihen der einzelnen Phrasen, sondern erfasst stets auch die längeren Verläufe der Melodiebögen, in denen sie den Wechsel der Schwer- und Leichtpunkte sorgfältig herausarbeitet.
PETER ILJITSCH TSCHAIKOWSKY Walzer aus dem Ballett «Dornröschen» op. 66
Im Jahr 1889 schrieb der Komponist in einem Brief: „Mir scheint, dass die Musik dieses Balletts eine meiner besten Schöpfungen sein wird.“
Zu diesem Zeitpunkt war Tschaikowsky zwar bereits ein anerkannter Komponist, doch sein Lebensweg war kein leichter. Seine Eltern wollten, dass ihr Sohn Beamter wird. Doch ›Peter‹ – das ist der deutsche Name für Pjotr – setzte sich letztlich durch, lebte dafür aber zeitweise in bitterer Armut und musste viel Kritik einstecken. Das war nicht einfach für den sehr empfindsamen Musiker. Immer wieder verfiel er in Trübsinn und depressive Stimmungen. Seiner romantischen ›Dornröschen‹-Musik ist dies jedoch kaum anzuhören: Sie strotzt vor Leichtigkeit und großartigem musikalischem Ideenreichtum. Diese Leichtigkeit verströmte denn auch das Trio auf der Bühne, nur so strotzend vor Spiel- und voller Lebensfreude. Dieses Dornröschen war gar nicht im Tiefschlaf, sondern, im Gegenteil, hellwach und äusserst lebendig.
Als Zugabe in Verdankung der stehenden Ovation zelebrierten die drei noch den «Abendsegen“ aus der Oper „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck.
Ein Stück, das nebst den andern dargebotenen auch auf der CD «Imagination» ( war gleichzeitig auch der Konzertname), die die Künstler nachher auch signierten, so man eine erworben hatte.
Diese Kammermusikkonzerte am späten Sonntagnachmittag, eigentlich während der Corona Pandemie fast aus der Not geboren, haben sich mehr als etabliert, erfreuen sich immer regem Zuspruch, d.h. der Zeugheersaal im «Schweizerhof» ist eigentlich immer bis auf den letzten Platz gefüllt und haben inzwischen auch ihren festen Platz im Konzertkalender der «Strings».
Text: www.leonardwuest.ch
Fotos: Dominik Fischer und Fabrice Umiglia www.fsl.swiss
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