Besetzung und Programm
Swiss orchestra
Solist: Michael Barenboim, Violine Leitung: Lena-Lisa Wüstendörfer
Antonio Vivaldi (1678 – 1741)
Concerto Grosso in a-Moll RV 356 op.3 Nr. 6
Hermann Suter (1870 Kaiserstuhl – 1926 Basel)
Violinkonzert A-Dur op. 23
Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 – 1847)
Ein Sommernachtstraum op. 61 (Auszüge)
George Templeton Strong (1856 – 1948 Genf)
Le Livre d’Images, Suite Nr. 3
Grundsätzliches zum Orchester ab Homepage Swiss Orchestra :
Die Schweiz ist für vieles berühmt, aber kaum für ihre Sinfonik. Schweizer Komponist*innen der Klassik und Romantik fristen ein Schattendasein – und das im eigenen Land wie auch weltweit. Das Swiss Orchestra will Schweizer Werke hörbar und ihre Schöpfer*innen sichtbar machen und strebt nichts weniger als eine Renaissance der Schweizer Sinfonik an.
Antonio Vivaldi (1678 – 1741) Concerto Grosso a-Moll RV 356 op. 3 Nr. 6
Die Streicher*innen waren aufgereiht, die Dirigentin auf dem Pult, das sie plötzlich unvermittelt wieder verliess, kurzes Erstaunen beim Publikum, machsichtiges, wissendes Lächeln auf den Gesichtern der Musiker*innen. Dann hörte es man es selber auch: ein leichtes summen/sirren der Klimaanlage hatte Lena – Lisa Wüsterdörfer irritiert und, ja, etwas erbost, weshalb sie hinter der Bühne die nötigen Anweisungen erteilte, dieses Problem zu eliminieren. Als die Angelegenheit erledigt, das Problem gelöst war, nahm die Dirigentin wieder ihren angestammten Platz ein und startete mit dem Vivaldi – Stück in den Konzertabend.
Vivaldis Vorliebe für die Improvisation
Die große Rolle, die die Improvisation in Konzertaufführungen des 18. Jahrhunderts spielte – insbesondere bei der „Verzierung“ der Solostimmen und der Ausführung des Continuo – hinterlässt für den modernen Spieler viele Probleme. Die wenigen Beweise, die wir von Vivaldis Praxis haben, deuten darauf hin, dass er, wo er eine aufwändige solistische Dekoration benötigte, dies anzeigte (wie in den verschwenderischen langsamen Sätzen von V, VI und IX) oder die Konvention einer Corona verwendete, um einen vorübergehenden Halt anzuzeigen für eine Kadenz. An anderer Stelle scheint Johann Joachim Quantz‘ (dem Flötenlehrer Friedrich des Großen) Rat am treffendsten: „Man sollte es vermeiden, die lyrischen Ideen zu variieren, deren man nicht so schnell müde wird, und ebenso die brillanten Passagen, die selbst eine ausreichend angenehme Melodie haben. Man sollte nur solche Ideen variieren, die keinen großen Eindruck machen. Und am treffendsten für den langsamen Satz von sagt er: „Ein Siciliano sollte sehr einfach gespielt werden, mit kaum Trillern und nicht zu langsam. Man sollte hier außer einigen Appogiaturen nicht viele andere Verzierungen verwenden, weil es sich um eine Nachahmung eines sizilianischen Hirtentanzes handelt. In Bezug auf das improvisierte Continuo-Element bestätigen zwei Fragmente einer von Vivaldi selbst geschriebenen Realisierung die Ansicht, dass die Italiener das Continuo eher als Hintergrundunterstützung der Harmonie denn als Vordergrundkonkurrent des Solisten betrachteten.
Möglicherweise, wahrscheinlich sogar, hat der Solist des Werkes an diesem Abend, Konzertmeister Shemiyaz Mussakhan aus Kasachstan, Kenntnis von Quantz Annahme und spielte das Stück in dessen und der Dirigentin Sinn, unglaublich präzis, auch in schwierigsten Sequenzen der Partitur, hochkonzentriert, trotzdem nicht verkrampft, immer bestens unterstützt von seinen Orchestergspänli, die, da Vivaldi- Werk, noch ohne die Bläser – und Schlagwerksektion, auf der Bühne waren.
Ein typisches Vivaldi Werk mit sehr vielen Läufen, haufenweise Kapriolen und Stolpersteinen, technisch unglaublich anspruchsvoll, musikalisch herausfordernd. All diese Klippen meistere der Violinist sehr souverän und die Ausführenden wurden vom Auditorium mit dementsprechendem Applaus bedacht.
Hermann Suter (1870 Kaiserstuhl – 1926 Basel) Violinkonzert A-Dur op. 23
- Allegro amabile
- Tempestoso
III. L’istesso tempo, quasi fantasia
Wie die Dirigentin vorab kurz erläuterte, spiele man das Konzert mit gleichen Werken wie bei der seinerzeitigen Uraufführung, die 1921 vom Widmungsträger Adolf Busch gespielt wurde, dieses spätromantische A-Dur-Werk von Hermann Suter, dessen lichtdurchflutete, von naturhafter Lyrik erfüllte Ecksätze ein düsteres, autobiografisch gefärbtes Tempestoso umschließen.
An diesem Abend war Michael Barenboim als Gastsolist verpflichtet um Suters Werk den nötigen Glanz zu verleihen, wobei ich mir sicher bin, dass Konzertmeister Shemiyaz Mussakhan den hohen Anforderungen auch gerecht geworden wäre, wie wir ja anschaulich, respektive anhörlich, bei der vorherigen Vivaldi Komposition feststellen konnten.
Glanzvolle Interpretation eines etwas vergessen gegangenen Meisterwerks
Nach einem sanften Einstreicheln begrüsst den Zuhörer eine vorwitzige Oboe, zu der sich die anderen Bläser gesellen und alles mündet schlussendlich in ein kräftiges, aber nicht aufbrausendes Tutti. Aus dem lösen sich anschliessend die Streicher wieder und werden dann von den Bläsern «überflogen».
Suter mit Vorwärtsdrang
Später, nach ungefähr einem Drittel der Spielzeit, geht’s forsch, fast marschartig vorwärtstreibend weiter, mit Fanfaren, Pauken usw. was eben so zu einem rassigen Marsch dazu gehört. Der Schweizer Komponist, respektive das von Lena Lisa Wüstendörfer souverän und bestimmt durch die Partitur geleitete «Swiss Orchestra», lässt es ab und zu auch mal richtig «krachen», was dem, eher ländlichen Publikum im schönen Berner Casino Konzertsaal, natürlich ausnehmend gut gefällt.
Rossini und S’Vreneli lassen grüssen
Suter erweist in einer späteren Sequenz kurz Rossinis Wilhelm Tell Ouvertüre die Referenz und zitiert gegen Ende, nach ungefähr 40 Minuten, das alte Berner Volkslied «S’ Vreneli abem Guggisberg».
Gastsolist Barenboim Philosoph mit der Violine
Über all dem schwebt der Solist mit dem «Sologesang» seiner Geige, setzt da einen furiosen Lauf, da ein filigranes Tremolo, haucht da ein zartes Vibrato hin, bewegt sich technisch brillant und bombensicher auf dem Klangteppich, den ihm das Orchester legt. Michael Barenboim wurde auch schon mal als Philosoph mit der Geige betitelt, spricht vier Sprachen und hat tatsächlich auch zwei Semester Philosophie an der Pariser Sorbonne studiert, bevor er sich ganz der Musik verschrieb. Die Künstler wurden vom Publikum mit einem stürmischen, langanhaltenden Applaus bedacht und wiederholt auf die Bühne zurück geklatscht, sodass schlussendlich Barenboim nicht umhin kam, eine kurze virtuose Zugabe zu gewähren, was ihm prompt eine grossen Extraapplaus einbrachte, bevor man sich zufrieden in die Foyers zur Pause begab.
Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 – 1847) Sommernachtstraum op 61(Auszüge)
Zur Komposition
Mendelssohn komponierte die Ouvertüre zunächst für Klavier zu vier Händen. In dieser Version spielte er sie oft zusammen mit seiner Schwester Fanny,
Das Werk verbreitete sich schnell in Europa und stand bereits 1830 in einem New Yorker Konzert auf dem Programm. 1843 war die Ouvertüre längst allgemein bekannt und da Shakespeares Bühnenstück in der Regel mit Mendelssohns Musik aufgeführt wurde, reichte der Komponist, beauftragt von König Friedrich Wilhelm IV., die komplette Schauspielmusik op. 61 nach. Bei der Komposition der einzelnen Stücke, von denen vor allem das Scherzo und der Hochzeitsmarsch berühmt wurden, orientierte sich Mendelssohn an seiner 17 Jahre älteren Ouvertüre, zu der er die Schauspielmusik in stilistischer Einheit schuf.
Der Auftakt mit den ebenso berühmten, wie berüchtigten liegenden Holzbläserakkorden kein Problem für die Bläser*innen des Residenzorchesters der Andermatt Concert Hall, ebenso wenig wie die nachfolgenden Höchstschwierigkeiten für das gesamte Ensemble.
Die Elfen tanzen durch den Saal
Die Protagonist*innen auf der Bühne lassen scherzhaft neckisch die Elfen durch den Saal tanzen, Zu Beginn ist hier alles federleicht und filigran, die Künstler agieren phonetisch zurückhaltend, ergänzen sich bestens und harmonieren vorzüglich.
Stilvoll ausbalanciertes Musizieren
Ein feines, transparent und wunderbar ausbalanciertes Musizieren, man spürt den Enthusiasmus der Dirigentin, der sich auch auf das Orchester überträgt. Diese Interpretation zeichnet sich durch großen Atem und nicht nachlassende Intensität aus.
Perfekte Umsetzung von Mendelssohns Intentionen
Die tonale Umsetzung des Shakespeare Stoffes zeichnet die Geschichte der Elfenkönige Oberon und Titania mit ihrem ganzen Volke nach, die fortwährend im Stück erscheinen, bald hier bald dort; dann kommt Herzog Theseus von Athen und geht mit seiner Braut in den Wald auf die Jagd, dann zwei zarte Liebespaare, die sich verlieren und wiederfinden, dann wieder die Elfen, die sie alle necken – und daraus baut sich eben das Stück. Wenn sich am Ende alles gut gelöst hat und die Hauptpersonen glücklich und in Freuden abtreten, so kommen die Elfen ihnen nach, segnen das Haus und verschwinden, wenn es Morgen wird. So endet Shakespeares Schauspiel und auch Mendelssohns kraftvolle Ouvertüre.
George Templeton Strong (1856 – 1948 Genf) Le Livre d’Images, Suite Nr. 3
Der 1856 in New York geborene Komponist liess sich 1888 am Genfersee nieder und verschied im hohen Alter von 92 Jahren in Genf Da er die meiste Zeit auch dort gelebt hatte, vereinnahmen ihn dessen Bürger als Genfer Komponisten, wie uns die Dirigentin wissen liess.
Die Komposition, obwohl mir fremd, tönte trotzdem irgendwie bekannt, war brav im Stil der seinerzeitigen Epoche gehalten, überraschte aber dennoch durch ihre Ausgewogenheit und Transparenz.
Eher ungewohnte Töne zum Schluss
Das Auditorium «fremdelte» irgendwie, war diese Art Musik, halt kein Brahms, Schumann, Schuber, gar Mozart, nicht gewohnt da natürlich auch nicht oft in audio- und visuellen Medien präsent. Ein Konzertabschluss, der aber dem Credo der Dirigentin entspricht, nicht unbedingt mit abgedroschenen «Gassenhauern» punkten zu wollen.
Der dennoch sehr lange Schlussapplaus dürfte sie und ihre Mitmusiker*innen in ihrem Vertrauen auf musikalische Qualität einmal mehr bestätigt haben.
Text: www.leonardwuest.ch
Fotos: www.swissorchestra.ch
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