Produktion und Besetzung:
Choreografie –Yabin Wang
Musikalische Leitung –Jesse Wong
Bühne und Kostüme –Sascha Thomsen
Licht –Clemens Gorzella
Dramaturgie –Wanda Puvogel
TanzLuzern
Luzerner Sinfonieorchester
Am Freitag, 5. Mai wurde am Luzerner Theater das Ballett «Swan – a Different Story» der chinesischen Choreografin Yabin Wang uraufgeführt.
Tschaikowskis Schwanensee und Frankenstein in einem Ballett zusammengeführt? Ob das gut gehen kann? Die Dramaturgin Wanda Puvogel mindestens schien überzeugt und erklärte in ihrer Einführung, es passe perfekt zusammen! Aber ob das Premieren-Publikum dies auch so sehen würde?
Eins vorweg: Ja, auch das Publikum sah es so. Dank Yabin Wang, in Asien Starchoreografin aber hier noch relativ unbekannt, erlebte ein ausverkauftes Haus eine völlig neue Version des Balletts Schwanensee. Als Ausgangspunkt ihrer Choreografie dienten Wang die von Jesse Wong (musikalische Leitung) ausgesuchten Ausschnitte aus Pjotr I. Tschaikowskis «Schwanensee»-Partitur. Was dazu auf der Bühne passierte, hatte nichts mit der üblichen Geschichte zu tun. Keine Schwäne, kein Prinz, keine Tutus, keine Spitzentanzschuhe, und trotzdem, für einige vielleicht gerade darum, ein berauschendes Erlebnis. Man staunt, geniesst, leidet, lacht, ist berührt. «Es hat einfach alles gestimmt» schwärmte eine Besucherin begeistert nach der Aufführung.
Hochaktuelles Sujet
Yabin Wang erzählt in ihrem Ballett die Handlung des Romans «Frankenstein» von Mary Shelley und gleichzeitig auch die Lebensgeschichte der Autorin. Die beiden Ebenen überlagern und verweben sich, mal ist man mit den Shelleys und Lord Byron in der Villa am Genfersee, mal in der Werkstatt von Frankenstein und immer wieder beobachtet Mary Shelley (Valeria Marangelli) als «Zuschauerin» das Geschehen auf der Bühne. Wang erklärte in einem Interview, zu der ungewöhnlichen Paarung der beiden Geschichten sei es gekommen, weil sie finde, das Frankenstein-Sujet sei hochaktuell und sie zwischen dem Spiel mit Weiss und Schwarz und Gut und Böse gewisse Parallelen zwischen «Schwanensee» und «Frankenstein» sehe.
Eindrückliche Bilder
Wohl jeder Ballettliebhaber hat die weltberühmten Bilder aus Schwanensee vor Augen. Diese werden aber nach der Aufführung in Luzern künftig von anderen überlagert sein: Bilder von magischer Kraft, farbenfroh, manchmal märchenhaft, manchmal dämonisch, emotional, amüsant, tieftraurig. Ab und an wird man an die eigene Kindheit erinnert: Mary und Percy Shelley und Lord Byron, anfänglich vor gleissend weissen Wänden und in hautfarbenen, engen Trikots mit perfekt sitzenden Perücken haben etwas von den früher beliebten Bakelit-Puppen. Und wenn Frankensteins Helfer mit ihren identischen graumelierten Perücken taumelnd, trippelnd und stolpernd in die Werkstatt kommen, ihre schwarzen Umrisse vor leuchtend-rotem Hintergrund, erinnert dies an Zeichnungen aus dem Kinderbuch Struwwelpeter.
Die verschiedenen Szenen könnten nicht unterschiedlicher sein: Mal das skurrile Ballett der kopflosen, neonfarbenen Mäntel, mal die ersten, linkischen Bewegungen der langsam zum Leben erwachenden Kreatur (ein genialer Tanaka Roki), unkoordiniert, Beine, die einknicken, Füsse, die sich verbiegen, schlenkernde Arme, sich windender Torso, oder Frankenstein (Flavio Quisisana), der mit seiner sterbenden Frau Elisabeth (Phoebe Jewitt) einen letzten Pas-de-deux tanzt.
Perfekte Symbiose zwischen Musik und Bewegung
Die Lichttechnik geht Hand in Hand mit dem minimal gehaltenen Bühnenbild (Bühne, Kostüme und Licht: Sascha Thomsen). Wechselnde Farben betonen die Stimmung der jeweiligen Szenen, alles geht perfekt ineinander über. Das Orchester interpretiert schwungvoll, melancholisch, gefühlvoll die teilweise schon fast Ohrwurm-mässigen Stücke Tschaikowskis. Frankenstein und Elizabeth geben ein wunderbar zartes Liebes- und Ehepaar, die Kreatur ist schlichtweg grossartig aber auch das ganze übrige Ensemble überzeugt; virtuos, athletisch, ausdrucksstark bis in die Mimik. Und die Bewegungen sind so abgestimmt auf die Musik, dass es oft scheint, als würden sie aus der Musik herauswachsen. Da wird tanzend eine Geschichte so erzählt, dass sie jeder versteht.
Der Vorhang war noch nicht ganz gefallen, als bereits tosender Applaus einsetzte. Begeisterung pur, fürs Ensemble, für die Solisten, für Dirigent und Orchester aber vor allem auch für die noch anwesende Choreografin Yabin Wang.
Aber; der langen Worte kurzer Sinn: Gehen Sie hin und geniessen Sie diesen einzigartigen Schwanensee ohne Schwan!
Text: www.gabrielabucher.ch
Fotos: Szenenfotos von Ingo Hoehn www.luzernertheater.ch
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