Besetzung und Programm
Die Festival Strings Chamber Players in Grossbesetzung: zu acht!
ANTONÍN DVOŘÁK
· Streichquartett F-Dur op. 96 «Amerikanisches»
GEORGE ENESCU
· Streichoktett C-Dur op. 7
Letztes Konzert der Saison im vollbesetzten Zeugheersaal an diesem, schon fast hochsommerlichen Sonntag.
Zurückversetzt in einen Salon der Pariser «Haute volée»
Schon bei den ersten Tönen fühlt man sich zurückversetzt in einen Salon der «Haute volée» in Paris, Wien, Budapest oder Prag des 19. Jahrhunderts, als solch intime Konzert Abende zu «geben» ein Muss war für jede*n Angerhörige*n der Oberschicht der Metropolen Europas und dies oft mit den angesagtesten Virtuosen der damaligen Zeit wie z.B. Franz Liszt, Fréderic Chopin, Georges Bizet, Hector Berlioz usw.
Antonín Dvorák Streichquartett Nr. 12 „American“
Meisterwerk aus Amerika
Amerika im Sommer 1893 – in dem kleinen Ort Spillville, 350 Kilometer westlich von Chicago. Der Komponist erholt sich von den Strapazen der hektischen Großstadt New York. Die Landschaft am Turkey River beeindruckt und inspiriert ihn. In nur zwei Wochen komponiert er sein Streichquartett in F-Dur op. 96.
Doch auch die Musik der Neuen Welt, der Jazz findet Eingang in sein Werk. Im „Amerikanischen Quartett“ notiert der Komponist Rhythmik, die die klassische Streichquartettbesetzung schon fast in eine groovende Jazzband verwandelt.
Antonín Dvorák in Amerika
Ende September 1892 reiste Antonín Dvořák zum ersten Mal nach Amerika. In New York sollte er Direktor des National Conservatory of Music werden. Sein Auftrag lautete, die Musikkultur des Landes aufzubauen. Für den fest in Böhmen verwurzelten, fast 50-jährigen Komponisten war es kein leichter Schritt, die Heimat zu verlassen und sich auf eine andere Gesellschaft einzustellen. Dennoch unternahm Dvořák dieses Wagnis, stieg auf einen Dampfer und reiste über den Atlantik.
Spazieren, Plaudern, Komponieren
Das „Amerikanische Quartett“ ist neben der Sinfonie „Aus der Neuen Welt“ eines der berühmtesten Werke aus Dvořáks Zeit in Amerika. Diese dauerte (mit Unterbrechung) von Herbst 1892 bis zum Frühling 1895. Das Quartett schrieb er während der ersten Sommerfrische, die er in Spillville in Iowa zubrachte – über tausend Meilen von New York entfernt.
Die sehr tschechisch geprägte Gemeinde dort war für Dvořák ein Ersatz für den Aufenthalt in Vysoká in Böhmen, wo er sonst seine Ferien zubrachte. Erholsam, auch wenn er in Spillville oft sehr einsam war. „Früh stand er um vier auf, und ging spazieren – zum Bach oder zum Fluss – und um fünf kehrte er zurück. Nach dem Spaziergang plauderte er ein wenig, kehrte heim, arbeitete …, dann ging er wieder spazieren“, erinnerte sich Dvořáks Reisebegleiter Josef Jan Kovarík.
Irgendwo zwischen Spazieren und Plaudern fand Dvořák die Ideen für ein neues Streichquartett. Innerhalb gerade einmal zwei Juniwochen war es fertig. Dank der Freiheit und Offenheit, die es ausstrahlt, wie offensichtlich die Musik die Naturklänge nachahmt, ist gelegentlich der Bezug zur „Pastorale“ von Beethoven gezogen worden. Vielleicht hört man im ersten Satz aber auch eine Eisenbahnfahrt durch die Prärie? Ganz gleich, dieser Musik wohnt in jedem Fall eine große imaginative Kraft inne.
Einflüsse aus vielen Welten
Wie schon in seiner Neunten Sinfonie gestaltet Dvořák die Themen seines Streichquartetts sehr originell. Für die Melodien verwendet er häufig die Fünftonleiter. Das erinnert an Gospels wie „Swing Low, Sweet Chariot“. Andererseits ist das Quartett auch stark von der europäischen Musik beeinflusst: die Folge der Sätze etwa, auch die enge Verzahnung der Stimmen oder das schnelle Wandern der Motive durch die Partitur.
Mit dem zweiten Satz erreicht das Stück einen elegischen Höhepunkt, es verdichtet sich wortwörtlich in der Höhe. Das Scherzo schöpft seine Kraft aus kurzen, aufstrebenden Figuren und einem raffinierten Frage-und-Antwort-Spiel. Das Finale ist ein Meisterstück aus rhythmischem Witz, melodischer Schönheit, klanglichem Volumen und großen Kontrasten.
Im Januar 1894 wurde das 12. Streichquartett Dvořáks in Boston uraufgeführt. Bis heute genießt es große Popularität. Von „amerikanischer“ ist es längst zur Weltmusik geworden.
Die Wiedergabe des Dvořákschen Meisterwerks durch das Strings Chamber Players Quartett zeichnete sich aus durch höchste Präzision, viel Schwung und sichtliche Spielfreude, bestechende kurze Solosequenzen der einzelnen Stimmen und vollkommene Harmonie im Zusammenspiel, kurz, Kammermusik als musikalischer Leckerbissen. Daniel Dodds wusste seine Mitmusiker*innen mit kurzen Blickkontakten und wenigen Kopfbewegungen perfekt mitzunehmen auf der akustischen Reise durch die Partitur. Das sichtlich beeindruckte Publikum honorierte diese Leistung denn auch mit einem langanhaltenden, kräftigen Applaus.
George Enesccu Oktett C-Dur Opus 7
Enescus Oktett, das erstaunliche Werk eines Neunzehnjährigen, ist im Jahr 1900 an der Schwelle von französischem Einfluss und zunehmend sich ausprägender Individualstilistik entstanden
Daniel Dodds leitete das Ensemble, insgesamt sechs Musiker und zwei Musikerinnen, vom ersten Pult aus – hochqualifizierte, hochkarätige Individuen der gleichen Generation, vereint im Willen, eine Spitzenleistung zu erbringen. Dodds hatte das Heft in der Hand, aber wenn seine Stimme pausierte, übernahmen die Führer anderer Stimmgruppen zwanglos die Leitung. Wieder hörte ich kongeniales, engagiertes und konzentriertes Musizieren aus einem Geist, obwohl es sich nicht um ein langjähriges, in dieser Konstellation, festgefügtes Ensemble handelt.
Des Rumänen Leidenschaftlichkeit in Noten umgesetzt
Und erst die Musik! Schon der Eingangssatz ist sehr leidenschaftlich, spannend, erinnert im Temperament gelegentlich an Mendelssohns Oktett, doch ohne dessen persistente, oft nervöse Motorik: hier sind es rasch schreitende Pizzicato, die den Fluss am Laufen halten. Enescus Musik ist intensiv, glühend, äußerst expressiv, hinreißend, oft dramatisch, gegen Schluss auch rührend, intim. Kurz vor dem verklingenden Schluss hat die erste Violine ein Solo, das in seiner wehmütigen Art an den langsamen Satz aus Dvořáks Neunter erinnert. Das Très fougeux ,sehr resolut und ebenso leidenschaftlich intoniert, aber auch genauso vielfältig: neben dramatischen, eruptiven Abschnitten steht ein inniges Violinsolo, das von Richard Strauss sein könnte.
Dramatik pur im Ablauf
Diese Segmente stehen nicht einfach nebeneinander, sondern bilden einen sinnfälligen dramatischen Ablauf, in dem die Spannung auch über Pausen gehalten wird, hin zum erst furios-heftigen Schluss, der dann doch leise verklingt: Musik, die mir manchmal fast das Herz stocken ließ. Der langsame Satz, meist con sordino, folgt attacca: ruhig schreitend, Soli mit wunderbaren, sehnsüchtigen Melodien, hier aber nie schwülstig, und auch da, über Steigerungswellen hinweg, ebenso im pp, ließ die Spannung, die Intensität nie nach. Ein Crescendo zu einem tremolierten Fortissimo leitet nahtlos über in den abschließenden Mouvement de valse. Dieser erinnerte mich in seinem Zug, dem Vorwärtsdrang, der Dramatik an Ravels La valse – manchmal ähnlich übersteigert, aber ohne dessen absurde Komponente: wiederum hinreißend in seiner dramatischen Polyphonie. Später mischen sich wunderbar wehmütige Walzermelodien in das vielfältige Geschehen. Ein ungemein faszinierendes Werk, das das Oktett der Festival Strings Chamber Players überzeugend darzubieten wusste und so das Auditorium ungemein beeindruckte, was sich durch den langanhaltenden, stürmischen Schlussapplaus manifestierte.
Fazit dieses Sonntagnachmittag im Schweizerhof
Einmal mehr ein wundervoller Konzertnachmittag in exquisitem Ambiente, eine Konzertreihe, eigentlich aus der «Corona Not» geboren, die nach Fortsetzung ruft, war doch der Zeugheersaal, mit seiner Kapazität von ca. 200 Plätzen, seit Konzertreihe Beginn im Juni 2020, immer voll besetzt.
Text: www.leonardwuest.ch
Fotos: Angela Henzi und Fabrice Umiglia www.fsl.swiss
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