Vor 175 Jahren haben «wir» den Bundesstaat gegründet. Am 12. September 1848 nahm die Tagsatzung die neue Verfassung an. Die Schweiz begab sich dadurch auf den Weg vom Staatenbund zum Bundesstaat und wurde zur ersten stabilen Demokratie Europas. Damit wurde auch eine Erfolgsgeschichte geboren, die bis heute anhält. Weshalb?
Einerseits verstanden wir Schweizerinnen und Schweizer es, unser Land ständig weiterzuentwickeln ohne allerdings das Bestehende, das Bewährte umzustossen. Wir wussten uns immer auf die sich uns stellenden Herausforderungen einzulassen und das Beste daraus zu machen. Damit hat die Schweiz nicht zuletzt dank ihrer Konstanz in der Geschichte und der damit einhergehenden Sicherheit den Widrigkeiten der Jahrhunderte getrotzt. Wer jetzt glaubt, es gehe kontinuierlich aufwärts und die Geschichte verlaufe immer linear, liegt falsch. Die Geschichte ist immer geprägt von Zäsuren und Disruptionen. Gerade aktuell sind wir auf unserem Weg wieder an einem Punkt angelangt, der die Schweiz als Land vor grosse Entscheidungen stellt und von uns richtungsweisende Weichenstellungen verlangt werden.
Die weltpolitische Lage mit dem Krieg in der Ukraine, Flüchtlingsströmen, Teuerung und der (hoffentlich durchgestandenen) Energiekrise stellt uns vor Herausforderungen, die wir annehmen müssen. So gilt es aktuell essentielle Fragen, wie z.B. die Neudefinition unserer Neutralität, unser Umgang mit Europa, die Frage der Zugehörigkeit zu einem militärischen Sicherheitsbündnis oder die Tragfähigkeit der Sozial- und Krankenversicherungen zu beantworten und die sich stellen Schwierigkeiten zu lösen. Die bisherige politische Diskussion zu diesen – und anderen wichtigen – Themen lässt leider erahnen, dass wir als Gesellschaft die Augen verschliessen und hoffen, dass sich die Probleme wie von selbst lösen. Doch dem wird nicht so sein. Wollen wir nicht in einer gemütlichen Welt profitabler Mittelmässigkeit verharren, gilt es jetzt, die wirklich wichtigen Themen an die Hand zu nehmen und Lösungen frei von Dogmen und Parteibuch zu diskutieren.
Dabei sind wir als Nation auch so erfolgreich, weil unser Land aus mündigen Bürgerinnen und Bürgern besteht. Diese setzen sich – wie ich in meiner letztjährigen 1.-Augustbotschaft dazu aufgerufen habe – in all den Jahren seit der Gründung des Bundesstaates für den Bestand, für die Weiterentwicklung und für den Weg in die Zukunft der Schweiz ein. Somit sind diejenigen Personen „landestragend“, die bereit sind, ihre eigenen Interessen auch einmal dem Gemeinwohl unterzuordnen. Personen, die Leistungen zu Gunsten der Allgemeinheit erbringen, die sich nicht in Franken und Rappen auf ihrem Bankkonto oder in persönlichen Vorteilen niederschlagen.
Wer sich für unser Land einsetzt, steht zu unserem Bundesstaat. Wer sich einsetzt, kann dazu beitragen, den Weg unseres Staatsgebildes auf allen Ebenen mitzubestimmen. Sei es in der Gemeinde, im Kanton oder beim Bund: Die Politik handelt den Weg in die Zukunft politisch aus. Und wir alle können gottseidank an politischen Entscheiden teilhaben. Sei es im Rahmen von Initiativen, mehrmals im Jahr bei Abstimmungen an der Urne oder immer wieder im Rahmen von Wahlen auf allen Ebenen unseres Staates. Dieses «Servicepaket» des Staates ist für uns Realität und selbstverständlich – viele andere Menschen im Ausland beneiden uns darum.
Ich wünsche mir zum Nationalfeiertag: Pflegen wir den politischen Diskurs und setzen wir uns für die gelebte Demokratie ein! Halten wir am Bewährten fest, suchen wir aber auf unserem Weg immer wieder das Neue, das uns aus der gemütlichen Welt wieder an die Weltspitze bringt. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen 1. August 2023 in Freiheit und Dankbarkeit.
Urs Janett, Landammann des Kantons Uri
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