Boston Symphony Orchestra | Andris Nelsons | Jean-Yves Thibaudet, KKL Luzern, 28.8.2023, besucht von Léonard Wüst

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Boston Symphony Orchestra

Boston Symphony Orchestra Konzertimpression von Peter Fischli

Besetzung und Programm:
Boston Symphony Orchestra<
Andris Nelsons Dirigent
Jean-Yves Thibaudet Klavier
Carlos Simon (*1986) Four Black American Dances Schweizer Erstaufführung
Camille Saint-Saëns (1835–1921) Klavierkonzert Nr. 5 F-Dur op. 103 Ägyptisches Konzert
Igor Strawinsky (1882–1971) Petruschka. Burleske in vier Bildern

Zum Dirigenten

Dirigent Andris Nelsons Foto Marco Borggreve

Sorgfältigste Vorbereitung und elektrisierende Orchesterleitung zeichnen den lettischen Dirigenten Andris Nelsons (*1978 in Riga) aus – er ist Musikdirektor des Boston Symphony Orchestra und Kapellmeister des Gewandhausorchesters Leipzig. Mit beiden Orchestern hat er 2020 seinen Vertrag verlängert: Dem BSO wird er bis zum Ende der Saison 2024–25 vorstehen und dem Gewandhausorchester Leipzig bis zum Ende der Saison 2026–27.

Kraftvoller Ausdruck und Eindringliche Emotionen: „Four Black American Dances“ von Carlos Simon

Die Schweizer Erstaufführung von „Four Black American Dances“ durch das renommierte Boston Symphony Orchestra, im folgenden BSO genannt,  unter der Leitung von Andris Nelsons war zweifellos ein kulturelles Ereignis von großer Bedeutung. Carlos Simon, der Komponist dieses Werks (*1986), schuf eine musikalische Reise, die tiefe Einblicke in die afroamerikanische Kultur bietet und zugleich kraftvolle Ausdrucksformen des Tanzes feiert.

Eine Hommage an Kultur und Identität: Die Bedeutung von „Four Black American Dances“

Boston Symphony Orchestra Konzertimpression von Peter Fischli
Das Boston Symphony Orchestra unter der Leitung von Andris Nelsons. Der Komponist Carlos Simon. Bild: Peter Fischli / Lucerne Festival

„Four Black American Dances“ ist mehr als nur ein musikalisches Werk – es ist eine Hommage an die reiche Kultur und Identität der afroamerikanischen Gemeinschaft. Carlos Simon nimmt den Hörer mit auf eine faszinierende Reise durch verschiedene Epochen und Genres der Musik, die die Vielfalt und Stärke dieser Kultur widerspiegeln. Von nostalgischen Klängen bis hin zu rhythmischer Energie zelebriert Simon die Tiefe und Bedeutung des afroamerikanischen Erbes.

Klangliche Vielfalt und Eindringliche Emotionen: Eine musikalische Reise

Die Aufführung des BSO unter der Leitung von Andris Nelsons brachte die klangliche Vielfalt und die eindringlichen Emotionen der Komposition der 37jährigen Afroamerikaners Simon  auf beeindruckende Weise zur Geltung. Jede der vier Tänze erzählt eine eigene Geschichte, die durch die geschickte Orchestrierung und die dynamische Interpretation des Orchesters zum Leben erweckt wurde. Von den sanften Melodien des ersten Tanzes bis zur explosiven Energie des vierten Tanzes entstand ein fesselnder Kontrast, der das Publikum mitriss.

Von der Melancholie zur Begeisterung: Die Struktur von „Four Black American Dances“

Boston Symphony Orchestra Konzertimpression von Peter Fischli

Die Struktur dieses famosen Werkes ist so gestaltet, dass sie den Hörer auf eine emotionale Achterbahnfahrt mitnimmt. Der erste Tanz, geprägt von einer sanften Melancholie, zieht den Zuhörer in eine introspektive Stimmung. Dann folgen Stücke voller Lebendigkeit und Rhythmus, die die Vitalität der afroamerikanischen Kultur hervorheben. Diese Abfolge von Stimmungen und Klängen verleiht dem Werk eine erzählerische Tiefe.

Orchestrale Präzision und Leidenschaft: Die Interpretation des Boston Symphony Orchestra

Die Interpretation von „Four Black American Dances“ durch das Orchester aus Massachusetts war geprägt von einer meisterhaften Balance zwischen orchestraler Präzision und leidenschaftlichem Ausdruck. Der lettische Dirigent führte das Orchester mit Hingabe und Sensibilität, was zu einer Darbietung führte, die sowohl kraftvoll als auch nuanciert war. Die dynamischen Kontraste wurden mit großer Klarheit dargestellt, wodurch die Emotionen des Werks in ihrer ganzen Tiefe erlebbar wurden.

Ein Aufruf zur Reflexion und Anerkennung: Gesellschaftliche Relevanz

Boston Symphony Orchestra Konzertimpression von Peter Fischli

Die Aufführung von „Four Black American Dances“ hat auch eine gesellschaftliche Relevanz, da sie zur Reflexion über kulturelle Vielfalt, Identität und Geschichte anregt. Das Werk erinnert uns daran, wie wichtig es ist, die Beiträge der afroamerikanischen Gemeinschaft zur Musik und zur Gesellschaft anzuerkennen und zu würdigen. Es ist eine kraftvolle Erinnerung an die Notwendigkeit, kulturelle Barrieren zu überwinden und eine inklusive Welt zu schaffen.

Ein Unvergessliches Erlebnis: Die Schweizer Erstaufführung von „Four Black American Dances“

Boston Symphony Orchestra Konzertimpression von Peter Fischli

Insgesamt war die Schweizer Erstaufführung von „Four Black American Dances“, durch das Boston Symphony Orchestra und Dirigent Andris Nelsons ein unvergessliches musikalisches Erlebnis. Carlos Simon schuf ein Werk, das nicht nur künstlerisch beeindruckt, sondern auch eine wichtige Botschaft über Kultur, Identität und Gemeinschaft vermittelt. Die Komposition ist um etliches radikaler als Kompositionen grosser amerikanischer Komponisten wie Georg Gershwin oder Leonard Bernstein. Die Kombination aus meisterlicher Orchestrierung, leidenschaftlicher Interpretation und kultureller Tiefe machte diese Aufführung zu einem bedeutenden Moment in der Geschichte des Lucerne Festivalsund ich bin mir sicher, von diesem Komponisten wird man noch hören, vor allem in Form weiterer avantgardistischer Werke.

Klangliche Exotik und Virtuosität: Jean-Yves Thibaudet und das Ägyptische Konzert

Boston Symphony Orchestra Konzertimpression von Peter Fischli

Die Aufführung des Klavierkonzerts Nr. 5 F-Dur op. 103, auch als „Ägyptisches Konzert“ bekannt, war ein mehr als eindrucksvolles Zeichen von Musikalität und Virtuosität. Unter der Leitung des, auch körperlich sehr stattlichen Dirigenten, präsentierte das BSO gemeinsam mit dem renommierten Pianisten Jean-Yves Thibaudet eine Darbietung, die die faszinierenden Klänge und exotischen Inspirationen des Werks perfekt einfing.

Eine Reise ins Antike Ägypten: Das Geheimnis des Ägyptischen Konzerts

Boston Symphony Orchestra Konzertimpression von Peter Fischli

Das „Ägyptische Konzert“ ist geprägt von exotischen Klängen und inspirierenden Motiven, die den Hörer auf eine musikalische Reise ins antike Ägypten mitnehmen. Jean-Yves Thibaudet verlieh diesem Werk eine lebendige Tiefe und Intensität, während er die klangliche Schönheit und Raffinesse der Komposition hervorhob. Die verträumten Passagen und rhythmischen Nuancen verschmolzen zu einem reichen und farbenfrohen Klanggemälde.

Virtuosität und Ausdruckskraft: Jean-Yves Thibaudet am Klavier

Die Aufführung von des französischen Tastenvirtuosen war ein eindrucksvolles Beispiel für Virtuosität und Ausdruckskraft am Klavier. Seine Finger glitten mit beeindruckender Leichtigkeit über die Tasten, während er gleichzeitig jede Note mit einer intensiven Emotion durchdrang. Thibaudet schuf eine fesselnde Verbindung zwischen dem Publikum und der Musik, indem er die Zuhörer auf eine emotionale Reise mitnahm. Thibaudet, alles andere als ein «Blender», stellt nicht seine überragende Technik in den Vordergrund, wie das häufig von russischen oder asiatischen Pianist*innen praktiziert wird, sondern überzeugt mit seiner, trotz vielen heftigen, teils fast brachialen Kadenzen des Werkes, Emotionalität und feinfühligem Spiel.

Orchestrale Brillanz und Sensibilität: Das Boston Symphony Orchestra

Boston Symphony Orchestra Konzertimpression von Peter Fischli

Die Zusammenarbeit zwischen dem gebürtigen Lyoner und dem BSO unter der Leitung von Andris Nelsons war eine perfekte Symbiose aus orchestraler Brillanz und sensibler Interpretation. Das Orchester schuf eine klangliche Kulisse, die die Virtuosität des Klavierspiels hervorhob und gleichzeitig die komplexen Texturen und Stimmungen des Werks einfing. Die sorgfältig abgestimmten dynamischen Nuancen verliehen der Aufführung eine beeindruckende Tiefenschärfe.

Eine Fusion von Kulturen und Klängen: Exotische Elemente im Ägyptischen Konzert

Das „Ägyptische Konzert“ von Camille Saint-Saëns ist eine gelungene Fusion von verschiedenen Kulturen und Klängen. Die exotischen Motive und Rhythmen entführen den Zuhörer in eine ferne Welt, während gleichzeitig die klassische Form des Konzerts bewahrt wird. Diese Kombination schafft eine einzigartige musikalische Erfahrung, die sowohl ansprechend als auch tiefgründig ist.

Ein Unvergessliches Musikerlebnis: Ägyptisches Konzert mit Jean-Yves Thibaudet

Lucerne Festival. Boston Symphony Orchestra Konzertimpression von Peter Fischli

Die Aufführung des Ägyptischen Konzerts mit Jean-Yves Thibaudet am Klavier und dem Boston Symphony Orchestra unter Dirigent Andris Nelsons war zweifellos ein musikalisches Ereignis von besonderer Bedeutung. Die Virtuosität und Ausdruckskraft von Thibaudet, kombiniert mit der orchestralen Brillanz des Boston Symphony Orchestra, schuf ein faszinierendes Klanguniversum. Das Werk wurde zu einer Reise durch Kulturen und Klänge, maßgeblich von der Leitung des Dirigenten Andris Nelsons geprägt. Seine Fähigkeit, das Orchester in Einklang zu bringen und gleichzeitig die individuellen Nuancen der Musik zu betonen, trug wesentlich zur klanglichen Qualität der Aufführung bei. Nelsons schuf einen Raum für Erhabenheit und Intensität, der das Publikum in den Bann zog. Er legte sich in den Klang hinein und formte die Musik mit überragender Zartheit.

Die überragende Darbietung der Komposition des vom französische Komponisten in Ägypten verfassten Werkes wurde vom Auditorium mit stürmischem, langanhaltendem Applaus belohnt, der erst verebbte, als ich Thibaudet für eine kurze Zugabe wieder an den Flügel setzte.

Krönender Abschluss mit Strawinsky

LBoston Symphony Orchestra Konzertimpression von Peter Fischli

Die Gelegenheit, um noch einmal so richtig ihr grosses Können demonstrieren, bot sich den Musikern mit dem letzten Werk des Abends, dem 1910 von Igor Strawinsky in Paris für die Compagnie der Balletts Russes komponierten „Petrouschka“, zu welchem der Komponist, zusammen mit Alexandre Benois, auch das Libretto verfasste. Ursprünglich als Konzertstück für Klavier und Orchester konzipiert, adaptierte Strawinsky den Stoff für das Ballett, erschuf mit seinen Puppenfiguren eine Fantasiewelt, die er aber in den Rahmen einer realen Welt, den Sankt Petersburger Fastnachtsmarkt einbettete.

Virtuose Klangmalerei: Igor Strawinskys Petruschka

Die Aufführung von „Petruschka. Burleske in vier Bildern“ durch das beeindruckende BSO unter der fachkundigen Leitung von Dirigent Andris Nelsons war ein triumphaler Moment der musikalischen Kreativität und Ausdrucksstärke. Igor Strawinskys Werk wurde in dieser Darbietung zu einem lebhaften und eindringlichen Erlebnis, das die Zuhörer auf einen Jahrmarkt in St. Petersburg Ende des 19. Jahrhunderts versetzte.

Bühne der Lebendigkeit: Die Vielschichtigkeit von „Petruschka“

„Petruschka“ ist bekannt für seine tiefgründige musikalische Erzählung, die das Leben und die Emotionen von Jahrmarktpuppen zum Leben erweckt. In dieser Aufführung vermittelte das amerikanische Renommierorchester die Vielschichtigkeit der Charaktere und Ereignisse mit außerordentlicher Präzision. Die musikalische Darstellung der verschiedenen Szenen war reich an Details und fesselte das Publikum von Anfang bis Ende.

Klangliche Palette der Emotionen: Von Leichtigkeit bis Dramatik

Die Interpretation von „Petruschka“ war eine beeindruckende Demonstration der klanglichen Palette von Emotionen. Von den lebhaften, tänzerischen Passagen bis zu den ergreifenden Momenten der Dramatik wurde jede Nuance der Musik mit Einfühlungsvermögen und Leidenschaft wiedergegeben. Die orchestrale Darstellung spiegelte die Freuden und die Tragödien des Puppenlebens auf packende Weise wider.

Klangliche Brillanz und Präzision: Das Boston Symphony Orchestra

Die Aufführung von „Petruschka“ zeugte von der klanglichen Brillanz und Präzision des Boston Symphony Orchestra. Unter der Leitung von Andris Nelsons entstand eine nahtlose Verbindung zwischen den verschiedenen musikalischen Elementen. Die orchestrale Dynamik wurde meisterhaft gesteuert, wodurch die musikalische Erzählung ihre volle Wirkung entfalten konnte. Die Nuancen von Farben und Klangstrukturen wurden mit erstaunlicher Genauigkeit dargestellt.

Künstlerische Führung und Ausdruck: Dirigent Andris Nelsons

Die Interpretation von „Petruschka“ wäre ohne die künstlerische Führung von Dirigent Andris Nelsons nicht komplett gewesen. Seine tiefgreifende Interpretation verband die einzelnen Elemente zu einem fesselnden Ganzen. Nelsons verlieh der Musik Tiefe und Ausdruckskraft, indem er die Stimmungen und Charaktere subtil hervorhob und das Orchester zu einer harmonischen Einheit formte.

Ein Meisterwerk der Klangmalerei: „Petruschka“ mit dem Boston Symphony Orchestra

Insgesamt war die Aufführung von „Petruschka. Burleske in vier Bildern“ durch das Boston Symphony Orchestra und Dirigent Andris Nelsons ein wahres Meisterwerk der Klangmalerei. Die orchestrale Darstellung des lebendigen Jahrmarkts und der sich entwickelnden Puppencharaktere war faszinierend und eindringlich. Die Präzision, die Tiefe der Interpretation und die musikalische Ausdrucksstärke verliehen diesem Konzert eine kraftvolle Wirkung. Diese Darbietung von „Petruschka“ wird zweifellos als ein denkwürdiges und beeindruckendes Musikerlebnis in Erinnerung bleiben.

Ein Werk mit zwei völlig unterschiedlichen Klangwelten

So entstehen eigentlich zwei Klangwelten, die real – folkloristische mit Jahrmarktsgeräuschen u.a. von Drehorgeln, Ausrufern usw. und die surreale Klangwelt der Puppen, die in einer Dreiecksbeziehung gefangen sind. Berühmtheit erlangte vor allem das Leitmotiv Petrouschkas, eines auf – und absteigenden Dreiklangs, ein total schräger, weil bitonal aus C Dur und Fis Dur. was zusammen den berühmten  „Petrouschka Akkord“ ergibt, ähnlich bekannt wie Wagners „Tristan Akkord“. Andris Nelsons schälte die Nuancen der Komposition feinfühlig heraus, liess es, immer mit vollstem Körpereinsatz, auch mal krachen, zelebrierte die Pianissimo mit zarten Fingergesten, lobte mit zustimmendem Kopfnicken, forderte mit ausholenden Armbewegungen mehr Tempo ein. Das amerikanische  Rennommierochester ergab sich ihrem Leiter, interpretierte die Komposition in Perfektion, auch mal mit einem leisen Schmunzeln, dann wieder energisch kraftvoll. Die Figuren, der Kasperl (Petruschka), die selbstverliebte Ballerina und der ebenso prächtige, wie dumme Mohr, präzis herausgearbeitet, kontrapunktierten das kommune Jahrmarktstreiben. Absolute Weltklasse, ob Solisten, das Orchester als gesamtes und die Interpretation. Dementsprechend begeistert fiel dann der Schlussapplaus aus, der Maestro wurde immer wieder auf die Bühne zurück applaudiert.

Text: www.leonardwuest.ch

Fotos: Peter Fischli  www.lucernefestival.ch

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Boston Symphony Orchestra Konzertimpression von Peter Fischli

Andris Nelsons Dirigent Foto Hiroyuki Itou

Solist Jean-Yves Thibaudet Foto Elisabeth Caren

Andris Nelsons gibt den Takt an Foto Peter Fischli

Solist Jean-Yves Thibaudet konzentriert am Konzertflüger Foto Peter Fischli

Das Boston Symphony Orchestra und Pianist Jean-Yves Thibaudet Konzertimpression von Peter Fischli

Komponist Carlos Simon geniesst den Applaus für sein Werk Four Black American Dances Foto Peter Fischli