Lida Doumouliaka
Choreografie
Lida Doumouliaka
Bühne, Kostüme und Licht Caro Stark
Dramaturgie
Wanda Puvogel
Produktionsteam
Bühne, Kostüme und Licht
Caro Stark
Dramaturgie
Wanda Puvogel
Besetzung: Tanz Luzern
Unter dem Titel «Exploration of Energy» zeigt das Luzerner Theater zwei Ballett-Uraufführungen, welche, wie der Titel es sagt, die Energie erforschen, dies auf ganz unterschiedliche und trotzdem auch ähnliche Weise. Der südkoreanische Choreograph Jae-Duk Kim erzählt nicht primär Geschichten auf der Bühne, er will vor allem Stimmungen wiedergeben und Atmosphären schaffen mit der Musik, die er selber komponiert. Und das gelingt ihm hervorragend in seinem Stück «JE-UI», welches als Uraufführung im Luzerner Theater seit Mitte Oktober und noch bis Januar 2024 auf dem Programm steht. «JE-UI» kommt aus dem Chinesischen und bedeutet so viel wie Ritus. An einen Ritus erinnert auch die erste Szene. Der Vorhang hebt sich auf eine eng zusammenstehende Gruppe schwarzgekleideter Tänzer*innen mit achteckigen Hüten auf gesenkten Köpfen. Die anfänglich sehr langsamen, fliessenden Bewegungen haben etwas Religiöses, aber auch etwas Mystisch-Unheimliches. Einerseits blinken auf den Hüten ab und zu kurze Lichter auf wie Augen von Aliens, ob gewollt oder nur der Wiederschein der Scheinwerfer sei dahingestellt. Andererseits erinnern die ersten, elektronischen Beats an eine Totenglocke. Die Gruppe beginnt sich zu bewegen, anfänglich sind aber nur Hände wirklich sichtbar, bewegen sich synchron nach vorne, recken sich nach oben, zeichnen sich haarscharf ab auf den schwarzen Kostümen. Dann dividiert sich der Knäuel in individuelle Bewegungen, um aber immer wieder in gleichfliessende Gesten zurückzufinden.
Was sanft und schwingend beginnt, ab und an wie in Zeitlupe, nimmt immer mehr an Fahrt auf. Köpfe, Gesichter werden sichtbar, später fallen auch die Hüte und die schwarzen Übermäntel. Immer wieder finden die Körper sich zwar in diese langsamen synchronen Bewegungen, dann erinnern sie an Roboter, manchmal an asiatischen Kampfsport, die Musik mit ihrem Beat treibt sie aber auch immer wieder an und setzt sich gleichzeitig im Körper der Zuschauer fest. Frenetisch steigern sich die Tänzer*innen in fast unvorstellbar schnelle Bewegungsabläufe, denen man gegen Ende kaum mehr folgen kann. Standing Ovations in der Pause sind nicht üblich, aber man konnte nicht anders als aufstehen, um die Tänzer*innen für diese unglaubliche Leistung zu honorieren.
Zu Bewegung gewordene Musik
Im zweiten Teil steht Strawinskis «Sacre du Printemps» auf dem Programm, auch da geht es um einen Ritus. Aber wie Jae-Duk will die griechische Choreographin Lida Doumouliaka nicht die Geschichte dieses Stücks erzählen, sie will dessen Musik sichtbar machen. Sie analysiert die Partitur und setzt sie um in Bewegungen. Mit dem Wissen um die Komplexität dieser Komposition fragt man sich, ob das gelingen kann. Aber auch das gelingt hervorragend! In erdfarbenen, fliessenden Kostümen erzählen die Tänzer*innen die Musik so, dass sie wirklich sichtbar wird. Genau so müssen die Trompetenklänge aussehen, genau so das Fagott-Solo, genau diese zitternden Körper interpretieren die Streicherpassage, Armbewegungen, Hebungen, verlangsamte Schritte, alles macht Sinn, erzählt die Musik und damit auch eine ganz eigene Geschichte. Man sitzt da, fasziniert, berauscht und mit ab und zu einem inneren Lachen vor lauter Begeisterung über eine besonders expressive Passage, eine besonders gelungene Interpretation.
In beiden Stücken wird dem Tanz-Ensemble alles abverlangt, die Energie wird bis an ihre Grenzen erforscht und ausgelotet, die Leistung scheint fast unmenschlich, die Begeisterung des Publikums ist dementsprechend riesig und kennt ebenfalls fast keine Grenzen.
Fazit dieses aussergewöhnlichen Abends: Hingehen und sich berauschen lassen von diesen zwei grossartigen Tanz-Riten!
Text: www.gabrielabucher.ch
Fotos: Szenenfotos von Andreas Etter www.luzernertheater.ch
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