Damit die Schweiz klimaneutral werden kann, sind umfassende Massnahmen notwendig. Dabei müssen Menschen mit tiefen Einkommen zwingend berücksichtigt werden. Nun haben Fachleute am Caritas-Forum erstmals über eine gemeinsame Perspektive auf den ökologischen Umbau und die Armutsbekämpfung diskutiert – und Lösungen aufgezeigt.
Wie lassen sich unser Ressourcenverbrauch und CO2-Ausstoss entschieden senken? Ob bei der Mobilität, dem Wohnen oder der Ernährung: Massnahmen sind in allen Lebensbereichen notwendig. Diese müssen zwingend sozialverträglich ausgestaltet werden. Denn für viele Menschen in der Schweiz reicht das Einkommen schon heute nicht, um ihren Lebensbedarf zu decken.
Die Armutsbekämpfung steht einer wirksamen Klimapolitik allerdings nicht im Weg. Im Gegenteil: «Eine richtig ausgestaltete Klimapolitik bietet sogar die Chance, soziale Ungleichheiten zu verringern», sagt Aline Masé. Die Leiterin der Fachstelle Sozialpolitik bei Caritas Schweiz war eine von rund 250 Fachpersonen, die am Freitag am Caritas-Forum in Bern über das Thema «Existenzen sichern. Sozialökologische Wende und Armut» diskutierten. Das Forum findet jedes Jahr anlässlich der Publikation des Sozialalmanachs statt.
Aline Masé schlug auch Lösungen vor. Beim Verkehr würden beispielsweise hohe CO2-Abgaben mit vollständiger Pro-Kopf-Rückverteilung hauptsächlich die Reichsten zur Kasse bitten. Auch beim Wohnen kann die Förderung von bezahlbarem Wohnraum einhergehen mit Massnahmen zur Senkung der CO2-Emissionen. Masé sagte: «Wir müssen Sozialpolitik und Klimapolitik zusammen denken.»
Wohnen hat eine hohe gesellschaftspolitische Bedeutung
Beim Wohnen setzte ebenso Stadtforscher Philippe Koch an, einer der Autoren des Sozialalmanachs. Er skizzierte ein umfassenderes Verständnis von Wohnraum, das dessen sozialer Bedeutung gerecht wird. In stabilen Wohnverhältnissen zu leben, ist eine Bedingung, damit sich Menschen um sich selbst und um andere kümmern und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Ökonomisch Benachteiligte sind jedoch oftmals gezwungen an Orten zu wohnen, die weit von ihren Arbeitsplätzen und sozialen Einrichtungen entfernt sind. Damit steigt der Zeitaufwand – und generell: der Ressourcenaufwand –, was zu Verdrängung führt. Hier setzt Kochs Analyse an.
In einem weiteren Fachinput zeigten Monika Götzö und Eva Mey ihre Forschungsergebnisse aus der Stadt Zürich während der Corona-Pandemie auf. Diese zeigen: Die Stärkung lokaler Infrastrukturen in Quartieren, Dörfern und Stadtteilen fördert in Krisenzeiten den Zugang zu Hilfe für alle vor Ort. Dies trägt dazu bei, dass informelle und formelle Unterstützungsnetzwerke erhalten bleiben und langjährige Abhängigkeiten von Hilfestellungen vermieden werden können.
Einen neuen Ansatz präsentierte Céline Lafourcade anhand eines Pilotprojekts aus dem Kanton Waadt. Das sogenannte «Einkommen für den ökologischen Übergang» soll Wirtschaftsprozesse stärker als lokale Kreisläufe gestalten und beschäftigungswirksame Initiativen für den ökologischen und sozialen Übergang unterstützen.
Das Fazit der insgesamt neun Referentinnen und Referenten lautete: Menschen und Haushalte mit tiefen Einkommen verursachen deutlich weniger CO2-Emissionen als besser gestellte, sind aber im Bereich der Arbeit, des Konsums, der Mobilität und der Gesundheit ungleich stärker von der Klimaerwärmung betroffen als Menschen mit mittleren und höheren Einkommen. Klimapolitik und Sozialpolitik müssen darum Hand in Hand gehen, wenn eine Prekarisierung der Verliererinnen und Verlierer der Klimaerwärmung vermieden werden soll. Zugleich ist Optimismus angebracht, da Lösungen auf der Hand liegen. Nun ist die politische Umsetzung gefragt.[content_block id=45503 slug=unterstuetzen-sie-dieses-unabhaengige-onlineportal-mit-einem-ihnen-angesemmen-erscheinenden-beitrag]