Wiener Philharmoniker | Christian Thielemann | Julia Hagen, 7.9.2024, besucht von Léonard Wüst

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Wiener Philharmoniker Foto Lois Lammerhuber

Julia Hagen Violoncello Foto Simon Pauly

Besetzung und Programm:
Wiener Philharmoniker
Christian Thielemann Dirigent
Robert Schumann (1810–1856)
Cellokonzert a-Moll op. 129
Anton Bruckner (1824–1896)
Sinfonie Nr. 1 c-Moll WAB 101 (Wiener Fassung von 1890/91)

Das Meisterwerk wurde und wird von vielen Cellist*innen erst spät in ihr Repertoire aufgenommen, weil es durch die vielen Charakterwechsel sehr zerbrechlich wirke oder auf den ersten Blick sehr schwierig und virtuos, fast unspielbar erscheine. „Wenn man diese Hürden aber einmal überwindet, so die spätere Erkenntnis, eröffnet sich die ganze schumannsche Welt, die darin steckt: sehr viel Emotionalität und Widersprüche.“ so die Revidierung des ersten Eindrucks.

Bei praktisch allen Cellovirtuos*innen angekommen

Wiener Philharmoniker Foto Lois Lammerhuber

Schumanns Cellokonzert gehört heute zum Standardrepertoire eines jeden Konzertcellisten. Mathias Husmann schreibt in 99 Präludien fürs Publikum: „Zu Lebzeiten Schumanns fand sich kein Cellist, der es spielen mochte – heute ist es Traum aller Solisten“. Dabei zählt es zu einem der anspruchsvollsten Stück für das Instrument. Doch es lebt vor allem durch seine Intensität und Emotionalität und von Schumanns Charakter, der sich in diesem Stück immer wieder zeigt: mal spielerisch, mal dramatisch, vor allem aber melancholisch.

Ein Juwel der deutschen Romantik

Robert Schumanns Cellokonzert op. 129 ist ein Juwel der romantischen Musikliteratur. Geschrieben im Jahr 1850, spiegelt es Schumanns tief emotionale und poetische Seele wider. Das Werk ist bekannt für seine unmittelbare Ausdruckskraft und seine innovative Struktur. Anstatt in den traditionellen drei Sätzen gehalten zu sein, fließen die Abschnitte nahtlos ineinander, was dem Konzert eine organische, fast improvisatorische Qualität verleiht. Julia Hagen, die Gewinnerin des „UBS Young Artist Awards“ 2024, 1995 in eine Salzburger Musikfamilie hineingeboren, eine aufstrebende Künstlerin in der Klassikszene, hat sich dieser Herausforderung angenommen und das Konzert gemeinsam mit den Wiener Philharmonikern unter der Leitung von Christian Thielemann aufgeführt. Die Kombination aus Hagens eindrucksvollem Spiel, dem exzellenten Orchester und Thielemanns inspirierter Führung macht diese Aufführung zu einem unvergesslichen Erlebnis.

Julia Hagens Ausdruckskraft

Solistin am Cello Julia Hagen

Julia Hagen hat sich als eine der bemerkenswertesten jungen Cellistinnen etabliert. Ihr Spiel zeichnet sich durch eine außergewöhnliche Tiefe und eine reife Musikalität aus, die weit über ihr Alter hinausgeht. In Schumanns Konzert bringt sie ihre ganze emotionale Bandbreite zur Geltung. Vom ersten Ton an fesselt sie das Publikum mit einem warmen, vollen Klang und einer Phrasierung, die sowohl die melancholischen als auch die leidenschaftlichen Momente des Werks perfekt einfängt. Besonders beeindruckend ist der Solistin Fähigkeit, Schumanns lyrische Passagen mit einer Intimität und einem Gefühl der Innerlichkeit zu spielen, die den Zuhörer unmittelbar ansprechen. Ihre Interpretation der Kadenzen zeigt zudem ihre technische Brillanz und ihre künstlerische Souveränität.

Die Wiener Philharmoniker: Präzision und Leidenschaft

Unter der Leitung von Christian Thielemann präsentieren die Wiener Philharmoniker Schumanns Konzert mit einer Mischung aus Präzision und Leidenschaft, die kaum zu übertreffen ist. Thielemann, bekannt für seine Liebe zum Detail und seine tiefgründige Musikalität, führt das Orchester mit sicherer Hand durch die komplexen Strukturen des Werks. Die Wiener Philharmoniker, die für ihren warmen, satten Klang berühmt sind, schaffen eine dichte, aber dennoch transparente Klanglandschaft, die Hagens Soloparts perfekt ergänzt. Das Finale des Konzerts, in dem Schumann das Hauptthema wieder aufgreift und zu einem triumphalen Abschluss führt, wird von Hagen, Thielemann und den Wiener Philharmonikern mit großer Intensität und Emotion gestaltet. Hier zeigt sich die ganze Größe des Werks und die außergewöhnliche Qualität dieser Aufführung.  Besonders in den Tuttipassagen, in denen das Orchester die Hauptthemen aufgreift und weiterentwickelt, kommt die volle Klangpracht des Orchesters zur Geltung. Die feinen Nuancen im Zusammenspiel zwischen Orchester und Solistin machen diese Aufführung zu einem wahren Genuss und wurden vom Publikum mit stürmischem Applaus, veredelt mit vereinzelten Bravorufen, gewürdigt.

Die geborene Salzburgerin bedankte sich für die Ovationen mit einem kurzen Duett zusammen mit dem Solocellisten der Wiener Philharmoniker.

Christian Thielemanns Leitung: Eine visionäre Interpretation

Dirigent Christian Thielemann Foto Dieter Nagl

Christian Thielemann hat sich als einer der führenden Dirigenten unserer Zeit etabliert, insbesondere in der romantischen Musik. Seine Interpretation von Schumanns Cellokonzert a-Moll op. 129 zeichnet sich durch eine tiefe Kenntnis des Werkes und eine klare künstlerische Vision aus. Thielemann versteht es, die strukturellen Feinheiten des Konzerts herauszuarbeiten, ohne dabei die emotionale Intensität zu verlieren. Er schafft es, das Orchester in einen Dialog mit der Solistin treten zu lassen, wobei die Balance zwischen beiden perfekt austariert ist. Thielemanns Fähigkeit, Spannung aufzubauen und gleichzeitig die lyrischen Momente des Konzerts zu betonen, machte diese Aufführung zu einem einzigartigen Erlebnis.

  1. Konzertteil

Ein Meisterwerk der Spätromantik

Anton Bruckners Sinfonie Nr. 1 c-Moll WAB 101, in der Wiener Fassung von 1890/91, stellt ein monumentales Werk der Spätromantik dar. Diese Fassung, die von Bruckner selbst überarbeitet wurde, offenbart seine Reife als Komponist und seine Fähigkeit, grandiose symphonische Strukturen mit tief empfundener Emotionalität zu verbinden. Unter der Leitung von Christian Thielemann haben die Wiener Philharmoniker eine Darbietung geliefert, die sowohl die dramatische Kraft als auch die lyrische Schönheit der Sinfonie eindrucksvoll zur Geltung bringt. Thielemann, bekannt für seine Vorliebe für Bruckners und Wagners Werke, hat sich der Herausforderung gestellt, die feinen Nuancen dieser komplexen Komposition zu entfalten.

Die Wiener Philharmoniker: Klangliche Perfektion

Die Wiener Philharmoniker, eines der renommiertesten Orchester der Welt, haben mit ihrer Interpretation von Bruckners Sinfonie Nr. 1 einmal mehr ihre außergewöhnliche Qualität unter Beweis gestellt. Das Orchester präsentierte eine beeindruckende klangliche Vielfalt, die von den majestätischen Bläserakkorden bis hin zu den zarten Streichermelodien reichte. Besonders hervorzuheben ist die Präzision, mit der das Orchester die rhythmischen Herausforderungen des ersten Satzes meisterte. Die pulsierenden, teils schroff wirkenden Motive wurden mit einer Klarheit und Energie gespielt, die den dramatischen Charakter der Sinfonie perfekt unterstrichen.

Christian Thielemanns Führung: Eine visionäre Interpretation

Christian Thielemann, ein Meister der romantischen und spätromantischen Musik, führte die Wiener Philharmoniker mit sicherer Hand durch die komplexe Struktur der Sinfonie. Seine Interpretation zeichnete sich durch ein tiefes Verständnis für Bruckners musikalische Sprache aus. Thielemann ließ den orchestralen Klang in voller Pracht erblühen, ohne dabei die feineren, oft übersehenen Details zu vernachlässigen. Besonders in den langsamen Passagen des zweiten Satzes zeigte er ein feines Gespür für Tempo und Dynamik, wodurch die melancholische Stimmung dieses Abschnitts wunderbar zur Geltung kam. Thielemanns Fähigkeit, die dramatischen Höhepunkte der Sinfonie mit emotionaler Intensität und orchestraler Präzision zu verbinden, machte diese Aufführung zu einem echten Erlebnis.

Die Wiener Fassung: Ein einzigartiger Einblick in Bruckners Werk

Die Wiener Fassung der Sinfonie Nr. 1, die Bruckner 1890/91 erstellte, bietet einen faszinierenden Einblick in seine kompositorische Entwicklung. Diese Version unterscheidet sich in einigen Aspekten erheblich von der ursprünglichen Linzer Fassung und zeigt Bruckners Streben nach Perfektion. Den Wiener Philharmonikern und dem 1958 in Berlin geborenen Dirigenten gelang es, die spezifischen Eigenheiten dieser Fassung hervorzuheben, insbesondere die modifizierten Orchestrierungen und die subtilen Veränderungen in der thematischen Entwicklung. Die Interpretation des Weltklasseorchesters ermöglichte es dem Publikum, die reiche Textur und die komplexe Struktur dieser Fassung in ihrer vollen Tiefe zu erleben.

Ein Finale von monumentaler Kraft

Lucerne Festival. Neugier. 7. September 2024. Preisübergabe des UBS Young Artist Award durch den Intendanten Michaek Haefliger an Julia Hagen. Bild: Peter Fischli / Lucerne

Das Finale der Sinfonie, das in einem triumphalen Höhepunkt gipfelt, wurde von den Wiener Philharmonikern mit überwältigender Kraft und Energie dargeboten. Thielemann führte das Orchester zu einer Leistung, die den dramatischen Charakter dieses Satzes eindrucksvoll einfing. Die kraftvollen Bläserfanfaren und die dynamischen Streicherlinien verschmolzen zu einem überwältigenden Klang, der den Raum erfüllte und das Publikum in den Bann zog. Das Zusammenspiel der Musiker war makellos, und die Balance zwischen den verschiedenen Orchestergruppen war perfekt austariert, was zu einem fulminanten Abschluss führte.

Bemerkenswert: Thielemann dirigierte das halbstündige Cellokonzert und die fast einstündige Sinfonie komplett ohne Noten, musste also keinen Blick auf die Partitur werfen, aussergewöhnlich.

Ein denkwürdiges musikalisches Erlebnis

Insgesamt war diese Aufführung von Bruckners Sinfonie Nr. 1 ein denkwürdiges musikalisches Erlebnis. Die Kombination aus der klanglichen Exzellenz der Wiener Philharmoniker und Thielemanns tiefer Verbundenheit mit Bruckners Musik führte zu einer Interpretation, die sowohl technisch brillant als auch emotional packend war. Diese Aufführung bot eine einzigartige Gelegenheit, Bruckners Meisterwerk in einer selten gespielten Version zu erleben und die ganze Tiefe und Schönheit seiner Musik zu erfassen. Ein Muss für alle Liebhaber der Bruckner-Sinfonien und der romantischen Musik im Allgemeinen.

Das Auditorium bedankte sich denn auch mit langanhaltendem Schlussapplaus, wenn auch nicht so begeistert und ohne «Standing Ovation», wie Thielemann das wohl erwartet hatte und er deshalb trotzig und mit hochrotem Kopf noch einige Male auf die Bühne zurückkam, was aber die Applaudierenden auch nicht mehr umstimmen konnte.

Nachwort zu den Wienern

«Konstrukt» Wiener Philharmoniker: das Orchester wurde 1842 von Musiker*innen als privater Verein gegründet, der demokratisch organisiert ist und bei dem alle künstlerischen und organisatorischen Entscheidungen eigenverantwortlich von der Hauptversammlung getroffen werden. Mitglieder müssen mindestens drei Jahre im Orchester der Wiener Staatsoper gespielt haben. Daran hat sich in der fast 200 Jahre alten Geschichte des Orchesters nichts geändert.

Text: www.leonardwuest.ch

Fotos: Priska Ketterer, Peter Fischli und Patrick Hürlimann  www.lucernefestival.ch

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Lucerne Festival. Neugier. 7. September 2024. Preisübergabe des UBS Young Artist Award durch den Intendanten Michael Haefliger an Julia Hagen. Bild: Peter Fischli / Lucerne

Wiener Philharmoniker im Wiener Musikverein Foto Lois Lammerhuber

 

Dirigent Christian Thielemann am Lucerne Festival