Neujahrskonzert mit Charles Dutoit & Gautier Capuçon, KKL Luzern, besucht von Léonard Wüst

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Das Orchester auf der Konzertbühne Foto Claudine Mensch

Besetzung und Programm:
Luzerner Sinfonieorchester
Charles Dutoit, Leitung
Gautier Capuçon, Violoncello
Peter Solomon, Orgel

Maurice Ravel (1875 – 1937)
Rhapsodie espagnole

Édouard Lalo (1823 – 1892)
Konzert für Violoncello und Orchester d-Moll op. 33

Camille Saint-Saëns (1835 – 1921)
Sinfonie Nr. 3 c-Moll op. 78 «Orgelsinfonie»

Maurice Ravel  Rhapsodie Espagnole

Plakat des Neujahrskonzertes

Dass ein Welterfolg, ein Megahit nicht nur seine guten, sondern auch Schattenseiten hat, kann man bei Ravel erahnen. Sein «Bolero» kennt praktisch jeder, auch solche, die mit klassischer Musik gar nichts am Hut haben. Darüber geht meist vergessen, dass Ravel kompositorisch aus dem Vollen schöpfte und eben auch andere, sehr schöne Melodien erschaffen hat, zu Unrecht weniger bekannt, auch nicht so oft gespielt wie sein Markenzeichen. Es gehörte zu den ganz besonderen Talenten von Maurice Ravel, Musik zu schreiben, die auf den ersten Eindruck leicht und folkloristisch klingt und beim näheren Hinhören, viel mehr entdecken lässt: Tiefschürfendes, Nachdenkliches, oft auch Abgründe. Eine spanische Rhapsodie, das klingt nach sinnlich-glutvoller Klanglandschaft. Doch schon die Eröffnung der Suite ist ein filigranes Klanggerüst mit tiefgründigen Untertönen. Fast gespenstisch wirkt die andalusische Tonfolge, die permanent wiederkehrt: Das „Prélude à la nuit“  – „Präludium der Nacht“. „Das Prélude fängt  mit einem sehr sensual und sehr nächtlichen Gefühl an und man muss eine Möglichkeit finden, ein Ewigkeitsgefühl zu entwickeln. Diese ‚Andalous scale‘ kommt mit sehr viel Gefühl daher. Es wird immer wiederholt und egal welche anderen Lichter, Farben erscheinen, es bleibt immer eine sensuale Frage.“ Auf dieses Prélude folgen in der „Rhapsodie Espagnole“ noch drei weitere Sätze, ebenfalls mit spanischen Tanzrhythmen. Ravels Mutter stammte aus Frankreich. Doch für Charles Dutoit ist auch der Einfluss des Vaters hier zu spüren. Schon Igor Strawinsky nannte Ravel einen „Schweizer Uhrmacher“. „Ravel hat einen Vater, der in der Schweiz (Versoix GE) geboren ist und vielleicht kommt daher ein Uhrmachergefühl bei ihm. Diese Präzision und dieser sehr kleine Mechanismus, den er sehr liebte und den er auch in seiner Musik macht, seiner Orchestration. Und seine Mutter war aus Südwestfrankreich. Seine Eltern haben sich in Spanien getroffen. Und dann kommt dieses Spaniengefühl für Ravel, diese Verbindung mit Sonnenlicht. Und in der ‚Rhapsodie‘ kann man wirklich beide Welten hören».

Interpretation durch das Luzerner Sinfonieorchester

Der Konzertsaal des KKL Luzern

Dutoit entwickelte die «Rhapsodie» zur puren rhythmisch funkensprühenden, spanischen Lebensfreude, musste so nicht auf einen Wiener Musikverein Strausswalzer zurückgreifen, um musikalisch fulminant ins Luzerner Musikjahr 2022 zu starten. Dunkel wie eine köstliche Lindt Schoggi, magisch wie der Duft einer „Brazil“ Cigarre aus Havanna, das Intro durch die feinen Striche der Violinen, beantwortet von ebenso subtilen „Kleinbläsern“, die dann alle vom Dirigenten in ein sattes, trotzdem zurückhaltendes Tutti geleitet wurden, das elegisch orchestriert ist und entsprechend ausgekostet werden kann.

 

 

Der Konzertsaal des KKL Luzern

Den einzelnen Registern wird später vom Komponisten genug Platz eingeräumt, um alternierend Ihr Können zu demonstrieren. Für Musiker kann es eine wahre Herausforderung sein, sich in solche Sphären einzufühlen: spanische Rhythmen und Melodien, eingebettet in eine zutiefst französische Klangsprache. Charles Dutoit forderte dafür vom Luzerner Sinfonieorchester einen ganz transparenten Klang – für ihn der Inbegriff französischer Musik. Und das Orchester konnte ihn liefern. Es ist für ein Orchester sehr schwer, den Puls zu vergessen. Die Musiker mögen sehr, dass es einen gemeinsamen Puls gibt und sie zusammenspielen. Aber in der französischen Musik ist es individualistischer, man muss den Rhythmen mehr malen – und das ist eine andere Fassung, um eine Musik zu phrasieren. Und wie sie diese Rhapsodie malten, da wurde die gesamte Farbpalette ausgepackt, mal mit dem gröberen, mal mit dem ganz feinen Pinsel phrasiert.

Das  Publikum war hingerissen von diesem energischen Konzertauftakt und bedankte sich mit dem entsprechenden Beifall.

Édouard Lalo  Konzert für Violoncello und Orchester d-Moll op. 33

Gauthier Capuçon Solocellist auf der Konzertbühne

Das Cellokonzert beginnt mit einer langsamen und beeindruckenden Einleitung, die von Passagen für den Solisten unterbrochen wird, der dann im Folgenden Allegro maestoso in das Hauptthema des Satzes einleitet, das mit der Durtonart des eher lyrischen Nebenthemas kontrastiert wird. Elemente der Einleitung sollen durchgängig, aber konkret im Zuge der zentralen Entwicklung wiederkehren. Die gekürzte Reprise bringt die beiden Themen zurück, gefolgt von einer brillanten Coda, die von einem unheilvollen Hinweis auf die langsame Einleitung gekrönt wird. Das Intermezzo kombiniert langsamen Satz und Scherzo, wobei das eröffnende g-Moll Andantino con moto in ein G-Dur- Allegro-Presto übergeht.ein Vorgang, der sich wiederholt. In der Introduktion des letzten Satzes gibt es einen spanischen Touch, der sich mit Unterbrechungen im folgenden lebhaften thematischen Material fortsetzt, das sowohl in der Melodie als auch in schwungvollen rhythmischen Elementen präsent ist. Lalos Cellosonate entstand 1856, als er sich als Interpret und als Komponist mit Kammermusik beschäftigte. Die Sonate beginnt dramatisch, wobei ein zweites Thema den notwendigen Kontrast von Tonart und Stimmung zu der im Motiv der Sonate impliziten Drohung liefert. Im zweiten Satz gibt es eine sanfte Lyrik und Gelassenheit. Dies wird sofort durch die unverblümte Kraft des letzten Allegros, unterbrochen von einer zögernden Passage, zerstreut , bevor der Satz seinen ursprünglichen Schwung wieder aufnimmt und zu seinem rhetorischen Abschluss übergeht. Édouard Lalo schrieb sein Cellokonzert in d-Moll 1876 ​​in Zusammenarbeit mit dem belgischen Cellisten Adolphe Fischer (1847-1891). Das Werk wurde im folgenden Jahr im Cirque d’Hiver mit Fischer als Solist uraufgeführt.

  1. Präludium , lento – Allegro maestoso
  2. Intermezzo , andantino con moto – Allegro presto – Andantino – Tempo I
  3. Einleitung , andante – Allegro vivace

Der erste Satz eröffnet das Lento und geht dann in ein Allegro maestoso über , das sich durch den Rest des Satzes fortsetzt. Die Eröffnung hat mehrere Takte Orchestermusik, bevor das Solocello mit einem Ad-lib- Thema einsetzt, das dreimal gespielt wird. Dies führt in den schnellen Abschnitt mit vielen schnellen und aggressiven Arpeggien und schnellen und unerbittlichen Sechzehntelnoten.

Der zweite Satz beginnt mit einem langsamen Andantino Abschnitt und geht dann in ein lebhaftes Allegro Presto über. Die Musik kehrt zum Andantino Tempo zurück. Vor dem Ende des zweiten Satzes kehrt das Allegro Presto zurück. Das Solocello endet mit Pizzicato- Akkorden mit dem Orchester.

Das Solocello beginnt mit einem langsamen Andante im dritten Satz; das Orchester macht mit und übernimmt dann. Die Musik wird zu einem lebhaften Rondo, das allegro vivace markiert ist , wobei das Cello-Solo mit einem kraftvollen Einstieg in das Rondo-Thema zurückkehrt. Das Hauptthema basiert auf der D-Dur-Tonleiter und einem schnellen Herunterfallen. Der Rest des Satzes setzt sich im Allegro vivace-Tempo fort. Das Solocello endet mit einer sehr schnellen Tonleiter, die auf einem Cis-Triller landet, der sich in die Tonika auflöst.

In meisterlicher Hochform präsentierte sich der französische Starcellist Gauthier Capuçon in Édouard Lalos auch spanisch inspiriertem Cellokonzert, wo das Orchester sich ganz in den Dienst des Sollisten stellte, ohne seiner Linie dabei untreu zu werden.

Elegantes Outfit, betörendes Spiel

Capuçon, im königsblauen Frack, intoniert schlicht grossartig, äusserst gefühlvoll in den ruhigeren Sequenzen, energisch wo geboten und entlockt seinem Instrument Töne die vom dunkelsten Keller der Tonleiter bis hinauf in das hellste Firmament des Notenhimmels führen mit einer unglaublichen Präzision, mal filigran jubelnd, dann dumpf brummend. Er sequenziert die Partitur, schält ungeahnte Feinheiten heraus, um dann in einen fulminanten Lauf zu starten, dabei seine überragende Technik demonstrierend.

Das tief beeindruckte Auditorium applaudierte den Solisten einige Male zurück auf die Bühne und wäre es das Konzertende gewesen wäre, hätte man sich wohl zu einer «Standing Ovation» erhoben. So aber verebbte der stürmische Applaus nach und nach, bevor man sich in die Kurze Konzertpause begab.

Camille Saint-Saëns Sinfonie Nr. 3 c-Moll op. 78 «Orgelsinfonie»

Charles Dutoit dirigiert das Luzerner Sinfonieorchester

Der Symphony No. 3 in C – Moll , Op. 78, durch abgeschlossen wurde Camille Saint-Saëns im Jahr 1886 an , was war wohl der künstlerische Höhepunkt seiner Karriere. Sie wird im Volksmund auch Orgelsymphonie genannt , obwohl es sich nicht um eine echte Orgelsinfonie handelt , sondern einfach um eine Orchestersymphonie, bei der zwei von vier Sektionen die Pfeifenorgel verwenden . Der Komponist beschriftete es als: Symphonie Nr. 3 „avec orgue“ (mit Orgel).

Über die Komposition des Werkes sagte Saint-Saëns: „Ich habe alles gegeben, was ich geben konnte. Was ich hier erreicht habe, werde ich nie wieder erreichen.“ Der Komponist schien zu wissen, dass es sein letzter Versuch der symphonischen Form sein würde, und er schrieb das Werk fast als eine Art „Geschichte“ seiner eigenen Karriere: virtuose Klavierpassagen, brillanter Orchestersatz, der für die Romantik charakteristisch ist , und den Klang einer Pfeifenorgel, die für eine Kathedrale oder den größten Konzertsaal geeignet ist.

Die Sinfonie wurde von der Royal Philharmonic Society in England in Auftrag gegeben und am 19. Mai 1886 in London in der St. James’s Hall unter der Leitung des Komponisten uraufgeführt. Nach dem Tod seines Freundes Franz Liszt am 31. Juli 1886 widmete Saint-Saëns das Werk dem Andenken an Liszt. Der Komponist dirigierte auch die französische Erstaufführung der Sinfonie im Januar 1887.

Peter Solomon Orgel Symbolbild

Nach seiner langsamen Einleitung führt der erste Satz zu einem Thema von mendelssohnischem (oder schubertianischem ) Charakter, gefolgt von einem zweiten Thema einer sanfteren Besetzung, mit verschiedenen Nebenthemen in Dur gespielt und bald darauf in Mollformen wiederholt; chromatische Muster spielen in beiden Sätzen eine wichtige Rolle. Dieses Material ist in ziemlich klassischer Sonaten-Allegro-Form ausgearbeitet und verblasst allmählich zu einer ruhigeren Stimmung, die zu einer leicht bedrohlichen Reihe von gezupften Tönen in Cello und Bass wird , die auf einer G-Tonhöhe enden, gefolgt von einem langsamen und sanft gehaltenen A ♭ Anmerkung in der Orgel in die neuen Schlüssel zur Lösung D ♭ für den Poco-Adagio-Abschnitt des Satzes. Daraus entwickelt sich ein Dialog zwischen Orgel und Streichern, der an das frühere Hauptthema des Satzes vor der Reprise erinnert . Der Satz endet in einem leisen Morendo .

Der zweite Satz beginnt mit einer energischen Streichermelodie, die einer Presto-Version des Hauptthemas weicht, komplett mit extrem schnellen Skalenpassagen im Klavier. Das Thema wird dann in kraftvollen Orgelakkorden wiederholt, die von Blechbläserfanfaren unterbrochen werden. Diese bekannte Bewegung erheblich variiert, einschließlich , wie es tut polyphones fugierten Schreiben und ein kurzes pastorales Zwischenspiel , von einem massiven Höhepunkt der ganzen Symphonie durch eine Rückkehr zu dem einleitenden Thema in Form gekennzeichnet ersetzt Dur – Tonleiter Variationen .

Ausgewiesener Kenner der französische Musikliteratur am Pult

In Luzern stand mit dem gebürtigen Lausanner Charles Dutoit ein ausgewiesener Kenner der französischen Musikliteratur am Pult. Er leitete das immer souveräne Orchester mittels Mimik, Augenkontakt und klaren Gesten durch die anspruchsvolle Partitur, geizte nicht mit Forte und Tempo, konnte aber auch zurückhaltend sanft, ohne an orchestraler Strahlkraft einzubüssen.

Bemerkenswert auch, mit welcher Energie Altmeister Charles Dutoit (Jahrgang 1936) die Sache noch angeht und wie er seine, noch immer aussergewöhnliche Dynamik auf seine Mitmusiker übertragen kann.

So durften dann er und die anderen Protagonisten einen stürmischen, langanhaltenden Schlussapplaus entgegennehmen, den sie schlussendlich noch mit der Zugabe «Farandole aus der  lArlesienne Suite» von Bizet verdankten.

Fazit: Ein mehr als gelungener Auftakt, ein akustisches Ausrufezeichen in das Luzerner Musikjahr 2022

Text: www.leonardwuest.ch

Fotos: www.sinfonieorchester.ch und Claudine Mensch

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