Ausführende und Programm
Kian Soltani – Violoncello
Daniel Dodds – Violine & Leitung
Festival Strings Lucerne
NIELS WILHELM GADE
Noveletten für Streichorchester Nr. 1 F-Dur op. 53
ROBERT SCHUMANN
Konzert für Violoncello und Orchester a-Moll op. 129
FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY
Sinfonie Nr. 3 a-Moll op. 56 «Schottische»
NIELS WILHELM GADE Noveletten für Streichorchester Nr. 1 F-Dur op. 53
Die Programmverantwortlichen der Festival Strings Lucerne machen das sehr geschickt mit dem «Konzertaufbau», programmieren zum Start meist eher unbekannte Werke, greifen erst danach in die Kiste mit dem «Grossen Repertoire».
Positive Effekte: 1. Das Auditorium lernt andere Kompositionen jenseits von Mozart, Beethoven, Haydn usw. kennen.
- Die Spannung lässt sich dadurch kontinuierlich steigern, weiss man doch, dass nachher Gastsolisten auftreten, und/oder «grosse» Werke gespielt würden.
So ist ein gelungener Aufgalopp, das wohlwollend aufgenommene Warm Up, schon die halbe Miete. Das war auch an diesem fünftletzten, fast schon sommerlichen Frühlingsabend mit den Kompositionen des bei uns kaum bekannten Dänen Wilhelm Gade nicht anders.
Nordischer, aber keinesfalls kühler Ton
Vorherrschend in Gades Musik ist ein ausgeprägter „nordischer Ton“. Dabei greift er auf die Sagenwelt ebenso zurück wie auf folkloristische Elemente. Er bedient sich jedoch nicht bestehender Volkslieder, sondern erschafft Neues nach folkloristischer Manier und übernimmt es in seinen persönlichen Stil, womit er die national orientierte Symphonik entscheidend prägte.
Einst aus dem internationalen Konzertrepertoire verschwunden, finden seine Werke wieder zunehmende Beachtung. In Dänemark zählt Gade bis heute zu den bedeutendsten Komponisten der Romantik. Diese Romantik setzte das Luzerner Kammerorchester, noch ohne die Bläsersektion, in ein abgerundetes, harmonisch sympathisches «Wohlhörprogramm» um, intonierten mit viel Feingefühl und Einfühlvermögen.
Bezug zu Robert Schumanns Schaffen
In Gades gedruckten Werken finden sich insgesamt drei Kompositionen mit dem Titel „Noveletten“. Der Begriff geht vermutlich auf Robert Schumann zurück, der ihn 1838 nach dem Namen der berühmten, englischen Sängerin Clara Novello (1818-1908) für seine acht Noveletten op. 21 für Klavier gebrauchte. “Novelette“ bezeichnet ein Charakterstück mit mehreren, oft unverbunden nebeneinander stehenden Themen.
Die Zuhörenden im sehr gut besetzten Konzertsaal bezeugten ihre Freude am guten Konzertauftakt mit einem langanhaltenden Applaus.
ROBERT SCHUMANN Konzert für Violoncello und Orchester a-Moll op. 129
Clara Schumann war begeistert von dem Stück ihres Mannes Robert, sie schrieb: “Die Romantik, der Schwung, die Frische und der Humor, dabei die höchst interessante Verwebung zwischen Cello und Orchester ist wirklich hinreissend.“ Wie recht sie hatte. Der hochbegabte Cellist Kian Soltani verschmolz geradezu mit seinem Cello, das Orchester mit ihm und der künstlerische Leiter ebenfalls.
Über den Solisten Kian Soltani
Sein Celloklang ist weich und voll wie Karamel, er spielt mit angenehmer Wärme und zieht das Orchester mit sich wie einen Lichtschein um die Flamme einer Kerze.
Individualität, Ausdruck und Präsenz zeichnen die künstlerischen Fähigkeiten des, als Sohn persischer Eltern im österreichischen Bregenz geborenen, Cellisten Kian Soltani aus.
Das komplexe Notengebilde Robert Schumanns bietet einem Ausnahmekünstler von Weltformat ausreichend Gelegenheiten sein volles Können zu demonstrieren, wenn dabei so ein grossartiges Orchester wie die Strings auf Augen- respektive Ohrenhöhe agiert, ihm somit den Kang Teppich ausbreitet, auf dem er sich traumwandlerisch sicher bewegen kann.
Saitensprünge der ganz besonderen Art
Die Partitur bietet genügend Möglichkeiten, mal verträumt sanft, mal offensiv zu agieren, dann schwelgerisch aber nicht süss, resolut aber nicht aggressiv. Soltani wechselt entsprechend den Intentionen des Komponisten die Farbe seines Spiels, wie dies Chamäleons in der Natur mit ihrer Haut tun.
Dieser Cellist lebt die Musik nicht nur mit seinen mal flinken Fingern bei den Läufen, mal weichen feinfühligen bei den Tremolo und Vibrato, er setzt die Partitur auch mit sehr viel Körpereinsatz und Mimik in Szene. Obwohl Solist, nie abgehoben, immer verschmolzen mit dem Orchester als Teil des Ganzen.
Kian Soltani ist einzuordnen bei den aktuell ganz Grossen seines Fachs und braucht den Vergleich mit z.B. Mischa Maisky, Sol Gabetta, Gautier Capuçon, David Geringas, Raphaela Gromes, Steven Isserlis, Antonio Meneses etc. keineswegs zu scheuen.
Dieser Meinung war auch das sichtlich beeindruckte Publikum und honorierte die Leistung der Ausführenden auf der Bühne mit stürmischem, langanhaltendem Applaus, der schlussendlich in eine stehende Ovation mündete, für die wir dann
mit einer Zugabe aus Schumanns «Fünf Stücken im Volkston» ursprünglich für Klavier und Cello, hier arrangiert für Cello und Streichorchester, belohnt wurden, bevor sich man in die Foyers begab, wo angeregt über das Gebotene diskutiert wurde.
FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY Sinfonie Nr. 3 a-Moll op. 56 «Schottische»
Wo machten echte Romantiker*innen im 19. Jahrhundert Urlaub? Natürlich im schottischen Hochland! James Macphersons Ossian-Sagen und die Werke des schottischen Dichters Walter Scott inspirierten sie dazu. Auch den 20-jährigen Felix Mendelssohn Bartholdy zog es dorthin, nachdem er in London als Dirigent und Pianist 1829 eine überaus erfolgreiche Konzertsaison hingelegt hatte. Mit seinem Freund Karl Klingemann zogen sie im Sommer los, um die sagenumwobenen Highlands zu erkunden. Station machten sie auch in Schottlands Hauptstadt Edinburgh und im Schloss Holyrood. Ein Ort mit einer düsteren Vergangenheit: Königin Maria Stuart hatte hier einst residiert. Und hier hatten ihre Gegner 1566 den Privatsekretär David Rizzio bestialisch ermordet – vor ihren Augen. Er habe an diesem Tag, an diesem Ort, den Anfang seiner „Schottischen Sinfonie“ gefunden, so schreibt Mendelssohn an seine Familie nach Berlin.
Fortsetzung folgt… zwölf Jahre später
Doch erst über 12 Jahre später setzt er das Projekt um. Seine Sinfonie a-Moll, vollendet im Januar 1842, wird zwar heute als seine dritte gezählt, ist jedoch eigentlich seine letzte. Robert Schumann lobte in seiner Besprechung die formale Dichte des Werks; es bilde „ein engverschlungenes Ganzes“. Im Gestus erhaben und episch, wie es sich für eine romantische Sinfonie gehört, ist sie innovativ vor allem wegen ihres ausgeprägt lyrischen Stils: Mendelssohn Bartholdy arbeitet mit poetischen Liederthemen, „Liedern ohne Worte“. Liedstrukturen prägen die ganze Sinfonie. Zwar kommt die „Schottische“ ohne ein spezifisches Programm aus, sie ist aber durchwirkt von schottischem Kolorit. Hörbar wird das etwa in den Dudelsackanklängen des zweiten Satzes oder im balladenhaften Tonfall des Sinfoniebeginns: „Es war einmal in fernen Zeiten“ scheint die Musik hier artikulieren zu wollen. Assoziationen an eine düstere, schottische Landschaft mit verfallenen Gemäuern und versunkenen Geschichten stellen sich beim Hören wie von selbst ein – auch in der schaurigen Sturmmusik am Ende des Kopfsatzes.
Ein Mendelssohn wie ein sehr guter Cuvée aus dem Bordelais
Zur Interpretation passt eigentlich fast perfekt, wie man einen absoluten Spitzenwein aus dem Bordelais beschreiben würde: Ein voluminöser (Orchester) Körper zusammengesetzt aus diversen Geschmacksnuancen, so dem Schmelz dunkler Schokolade der Celli, himbeerfruchtige Violinen und Violen dazu fügten sich harmonierende, auch etwas aufpeitschende Zitrus Fruchtaromen des Bläserregisters, das Tannin der Bässe, alles gut verbunden, geschmeidig und doch auch noch vollmundig im Abgang, sprich Finale.
Daniel Dodds für einmal anders leitend
Auffallend, dass Music Director Daniel Dodds öfters mittels Gesten mit den Mitspielenden kommunizierte, bei ihm äusserst selten, beschränkt er sich doch sonst auf Zeichen, Aufforderungen etc. mittels Kopfnickens und Augenkontakt. Ein Zeichen der viel Aufmerksamkeit fordernden Partitur oder bloss maximale Absicherung, dass seine Mitmusikerinnen auch ganz im Sinn seiner Partitur Auslegung agieren?
Wie dem auch sei, dem Auditorium wars egal, bekam es doch eine ausserordentlich aufwühlende Intonation der «schottischen» vor Ohren geführt und genoss jede Note, jeden Takt des akustischen Mendelssohnschen Geniestreichs und bedankte sich dafür mit einem lautstarken, nicht enden wollenden Schlussapplaus.
Text: www.leonardwuest.ch
Fotos: Fabrice Umiglia www.fsl.swiss
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