«räsonanz» – Stifterkonzert Netherlands Radio Philharmonic Orchestra | Netherlands Radio Choir | Karina Canellakis | Liv Redpath | Bertrand Chamayou, KKL Luzern, 27.8.2025, besucht von Léonard Wuest

Spread the love

Pianist Bertrand Chamayou Foto Marco Borggreve

Netherlands Radio Philharmonic Orchestra Foto Lucerne Festival

KKL in Luzern Konzertsaal Galerie

vlnr. Komponistin Unsuk Chin, Dirigentin Karina Cannelakis und Solist Bertrand Chamayou

 

Besetzung un Programm:
Netherlands Radio Philharmonic Orchestra
Netherlands Radio Choir
Karina Canellakis Dirigentin
Liv Redpath Sopran Bertrand Chamayou Klavier
Pierre Boulez (1925–2016)
Le Soleil des eaux für Sopran, Chor und Orchester
Unsuk Chin (*1961)
Klavierkonzert
Robin de Raaff (*1968)
L’Azur. Kantate für gemischten Chor und Orchester nach dem Gedicht L’Azur von Stéphane Mallarmé Uraufführung
Auftragswerk von Lucerne Festival und NTR/ZaterdagMatinee mit Unterstützung der Fondation Pierre Boulez
Pierre Boulez (1925–2016)
Don aus Pli selon pli für Sopran und Orchester

Pierre Boulez’ „Le Soleil des eaux“ Klang gewordene Dichtung

Der eigentlich harmlos klingende Untertitel des Eröffnungsstückes, «Complainte du Lézard amoureux» – die «Klage der verliebten Eidechse» liess ein sanftes Werk vermuten, aber weit gefehlt, das pure Gegenteil,überraschte aber nicht unbedingt, eben ein typischer Boulez.

Da krachts und zischts, nichts für Siversterknallgeschädigte Mitbürger.

Dirigentin Karina Canellakis hat ihr Orchester total im Griff

Pierre Boulez’ „Le Soleil des eaux“ ist ein Werk voller klanglicher Abstraktion und expressiver Dichte. In der Aufführung durch das Netherlands Radio Philharmonic Orchestra und den Netherlands Radio Choir unter Karina Canellakis entsteht ein klangliches Spannungsfeld, das die poetische Vorlage von René Char in fein nuancierter Klangsprache widerspiegelt. Die Musik pulsiert, flimmert und wirkt dabei fast körperlich – eine eindrucksvolle Umsetzung der Natur- und Widerstandssymbolik der Texte.

Sopran zwischen Licht und Klang

Sopranistin und Dirigentin hochkonzentriert

Liv Redpath gestaltet die anspruchsvolle Sopranpartie mit strahlender Klarheit und technischer Kontrolle. Ihre Stimme schwebt über dem dichten Orchestersatz, ohne sich je darin zu verlieren. Besonders beeindruckend ist ihr Umgang mit den abrupten Ausdruckswechseln, die sie mit Präzision und Ausdruckskraft meistert. Ihre Interpretation wirkt dabei nie kühl – im Gegenteil: Sie verleiht der abstrakten Struktur emotionale Tiefe.

 

 

 

Kollektive Klangdisziplin

Chor und Orchester agieren als ein fein abgestimmter Klangkörper. Canellakis formt das komplexe Werk mit sicherer Hand und großer Transparenz. Die Balance zwischen Struktur und expressiver Freiheit gelingt beeindruckend – eine Aufführung, die Boulez’ Musik in ihrer geistigen Schärfe und klanglichen Schönheit voll zur Geltung bringt.

Unsuk Chins Klavierkonzert, ein klangliches Abenteuer, ein Ritt auf dem Vulkan

Komponistin Unsuk Chin

Unsuk Chins Klavierkonzert ist ein Werk voller Überraschungen, klanglicher Experimente und rhythmischer Komplexität. In der Aufführung durch das Netherlands Radio Philharmonic Orchestra unter Karina Canellakis wird es zu einem fesselnden Hörerlebnis, das sich der Kategorisierung entzieht. Chins Tonsprache ist zugleich verspielt und kontrolliert, voller filigraner Strukturen und eruptiver Momente – und verlangt höchste Präzision von allen Beteiligten.

Bertrand Chamayou: Virtuose Klangarchitektur

Pianist Bertrand Chamayou Foto Marco Borggreve

Bertrand Chamayou meistert die enorme technische und gestalterische Herausforderung mit beeindruckender Klarheit und Präsenz. Sein Spiel ist nie bloß demonstrativ virtuos, sondern immer durchdrungen von musikalischem Verständnis. Besonders in den leisen, fast schwebenden Passagen zeigt Chamayou, wie sensibel er Klangfarben und feine Strukturen zu gestalten weiß. In den schnellen, perkussiven Momenten bleibt er präzise, kantig und doch kontrolliert, wie ich diesen Virtuosen im Mai 2022 auch schon mal in der Hamburger Elbphilharmonie erlebt hatte. Das Werk, geprägt von rhythmischer Energie und komplexer Virtuosität, stellte höchste Anforderungen an den Pianisten – Anforderungen, die Chamayou mit Brillanz und Präzision erfüllte.

Eine aufwühlende Komposition mit einem entfesselten Bertrand Chamayou am Piano der von seinen Mitmusike*innen kongenial begleitet wurde.Entsprechend belohnte das Publikum die Ausführenden mit einer wahren Appauskaskade, die sich noch steigerte, als auch Komponistin Unsuk Chin auf die Bühne kam.

Dirigentin mit Überblick

Dirigentin Karina Canellakis

Karina Canellakis hält das komplexe Geflecht aus Orchester und Solostimme souverän zusammen. Sie formt das Werk mit klarem Sinn für Proportion, Detail und Dynamik. Die Balance zwischen Piano und Orchester gelingt exzellent – beide treten als gleichwertige Partner in einen spannenden Dialog. Eine Interpretation, die Unsuk Chins faszinierende Klangwelt eindrucksvoll erfahrbar macht.

Robin de Raaff Azur. Kantate für gemischten Chor und Orchester nach dem Gedicht von Stéphane Mallarmé, Uraufführung

Ein Klangbild des Himmels

Komponist Robin de Raaff

Mit „L’Azur“, seiner neuen Kantate für Chor und Orchester, setzt Robin de Raaff ein eindrucksvolles Zeichen zeitgenössischer Vokalmusik. Basierend auf dem gleichnamigen Gedicht von Stéphane Mallarmé, entfaltet sich das Werk als vielschichtige Klanglandschaft zwischen Licht und Leere, Dichtung und Stille. In der Uraufführung durch das Netherlands Radio Philharmonic Orchestra und den Netherlands Radio Choir unter Karina Canellakis wird diese musikalische Vision klangmächtig und zugleich sensibel zum Leben erweckt.

Chor und Orchester als atmender Organismus

Karina Canellakis führt Chor und Orchester souverän

Der Netherlands Radio Choir überzeugt mit außergewöhnlicher Klangkultur, stimmlicher Präzision und einer beeindruckenden dynamischen Bandbreite. De Raaff verlangt extreme Konzentration und rhythmische Sicherheit – Anforderungen, die das Ensemble mit großer Souveränität erfüllt. Das Orchester agiert dabei nicht als Begleitung, sondern als gleichwertiger Partner, der das poetische Spannungsfeld zwischen Erde und Himmel hörbar macht.

Karina Canellakis: Klangregisseurin mit Feinsinn

Karina Canellakis führt Chor und Orchester mit sicherer Hand durch dieses herausfordernde Werk. Sie wahrt Struktur und Transparenz, ohne die emotionale Dichte zu glätten. Ihre Interpretation bringt sowohl die klanglichen Kontraste als auch die geheimnisvolle Atmosphäre von Mallarmés Text eindringlich zur Geltung. Eine Uraufführung von großer Ausdruckskraft und Tiefe.

Das Auditorium genoss dieses etwas ungewöhnliche, von Pierre Boulez angeregte Werk und applaudierte auch dessen Schöpfer Robin de Raff, dieser locker im Hawaiihemd, nicht im Frack, auf die Bühne.

Pierre Boulez Don aus Pli selon pli für Sopran und Orchester , Struktur als Klangpoesie

Mit Don, dem Eröffnungssatz aus Pierre Boulez’ groß angelegtem Werk „Pli selon pli“entfaltet sich ein vielschichtiges Klanggewebe, das Sprache, Rhythmus und Klang in ein spannungsgeladenes Verhältnis setzt. In der Aufführung durch die heutige Besetzung nicht bloss intellektuell durchdrungen, sondern lebendig und sinnlich erfahrbar gemacht,die fein ziselierte Struktur Boulez` wird zu atmender Klangpoesie.

Liv Redpath: Stimme als Lichtimpuls

Sopranistin Liv Redpath

Sopranistin Liv Redpath meistert die immense Herausforderung mit Klarheit, Präzision und expressiver Kontrolle. Ihre Stimme gleitet durch die hohen Lagen mit Leichtigkeit und Präsenz, dabei stets nuanciert und textverständlich. Die Vokalpartie wird bei ihr nicht zur abstrakten Geste, sondern zum emotionalen Ausdrucksmittel, das sich organisch in das orchestrale Geschehen einfügt. Eine beeindruckend fokussierte Interpretation.

Dirigentin zwischen Analyse und Ausdruck

Dirigentin Karina Canellakis

Karina Canellakis gelingt die Balance zwischen analytischer Durchdringung und klanglicher Sinnlichkeit. Sie führt Orchester und Solistin mit feinem Gespür für Spannung, Struktur und Farbe durch dieses komplexe Werk. Die Klangarchitektur bleibt stets durchhörbar, während die expressive Dichte nie verloren geht. Ein intensives, präzise gestaltetes Klangbild – Boulez in beeindruckender Präsenz.

Für die meisten im Auditorium wars dann wohl doch etwas zu viel des Zeitgenössischen, entsprechend zurückhaltend war denn auch der Schlussapplaus. Barbara Hannigan, die den Solopart im September 2011 unter Pierre Boulez gesungen hatte, saß übrigens auch im Saal.

Was sicher bleibt, ist die grandiose Umsetzung der Ausführenden des, von Unsuk Chin komponierten Klavierkonzertes, bei dem Bertrand Chamayou sämtliche Register seines Könnens am Piano zog.

Text: www.leonardwuest.ch

Fotos: Priska Ketterer, Peter Fischli und Patrick Hürlimann  www.lucernefestival.ch

Homepages der andern Kolumnisten:  www.gabrielabucher.ch  www.herberthuber.ch  www.maxthuerig.ch  www.marinellapolli.ch

Netherlands Radio Choir Foto Lucerne Festival

Dirigentin Karina Canellakis hat ihr Orchester im Griff


 Bertrand Chamayou Solist am Piano