Programm:
Teil 1:
Johannes Brahms: 3 Intermezzi op. 117
Robert Schumann: Fantasie C-Dur op. 17
Gabriela Montero: Improvisationen des Publikums
Johannes Brahms (1833-1897) Robert Schumann (1810-1856)
Teil2:
Gabriela Montero (*1970)
Improvisationen über Themen, die das Publikum vorgibt
Allgemeines:«Als Pianist ist man der einsamste Musiker von allen», weiss Gabriela Montero. «Man ist meist völlig allein auf der Bühne, was bei anderen Instrumentalisten eher selten vorkommt. Diese unsichtbare Wand gefällt mir nicht, und deshalb versuche ich, sie immer wieder einzureissen.» Das Mittel, das die venezolanische Musikerin, die in den USA und London ausgebildet wurde, dazu einsetzt, ist zugegebenermassen etwa unorthodox: Sie lässt sich vom Publikum eine Melodie vorsingen und beginnt dann, über diese Vorgabe zu improvisieren. Dadurch entsteht zugleich eine ganz neue Interaktion zwischen Auditorium und Podium. «Man hat ja als Zuhörer nicht oft die Gelegenheit, selbst bei einem Konzert mitzuwirken», erläutert Gabriela Montero den besonderen Reiz dieses Konzepts. «Und sobald der Erste aufsteht und singt, kommt der Rest ganz von selbst.» Frei über eine Melodie zu fantasieren, scheint für sie das Natürlichste auf der Welt zu sein, aber Martha Argerich brachte es auf den Punkt: «Ich bin selten so einem Talent wie Gabriela begegnet.»
Konzertbeurteilung:
zuerst betrat Festivalintendant Michael Häfliger die Bühne und verkündete eine, kurzfristig von der Künstlerin vorgenommene Programmänderung. Im ersten Teil kamen nicht die vorgesehenen Klavierstücke op. 119 von Johannes Brahms zur Aufführung, sondern dessen „Drei Intermezzi“ op. 117. Häfliger wies auch darauf hin, dass der Konzertteil nach der Pause, also die „Improvisationen über Themen, die das Publikum vorgibt“ ein absolutes Novum in der Geschichte des Festivals sei deshalb auch ein besonderes Konzerterlebnis zu erwarten ist.
Die elegant gekleidete Venezolanerin betrat die Bühne denn auch locker und sehr selbstbewusst. Sie intonierte dann Brahm`s „Intermezzi“ mit sehr viel Zurückhaltung feinem Gespür für die Nuancen, weich, fliessend und sehr präzis. Bei Robert Schumann`s C-Dur setzte sie dann das vom Komponisten geforderte: leidenschaftlich, fantastisch und durchaus auch energisch des ersten und zweiten Satzes optimal um, ebenso die gewünschten langsam getragenen durchwegs leiser zu haltenden Passagen der anderen Sätze. Dennoch erahnte man auch da schon die Eigenwilligkeit der Interpretin, die sie dann auch bei ihren Improvisationen im zweiten Konzertteil voll einbringen konnte.
Montero erklärte auf englisch zu Beginn, was darunter zu verstehen ist: Sie werde vier vom Publikum vorgegebene und dann noch zwei von ihr selbst bestimmte Themen improvisieren. Sie fordere uns Zuhörer auf, eine beliebige Melodie zu nennen, bzw. vorzusingen. Es ist ja nun nicht jeder oder jede ein Pavarotti oder eine Callas, da gehört auch ein gehörig Stück Mut dazu, sich zu melden. Zu meiner Verblüffung waren es doch aber relativ viele, die diese Gratwanderung vor ca. 1500 Interessierten riskieren wollten. Montero erwählte sich als erstes einen betagteren Herrn, der etwas, für mich undefinierbares, leise vorsummte. Die Pianistin hatte darin offensichtlich etwas von Beethovens Pastorale herausgehört, jedenfalls lief die Improvisation in diese Richtung, ihrer überragenden Technik natürlich Rechnung tragend. Der oder die zweite Vorsummer/in war für mich noch undefinierbarer, dafür die Improvisation natürlich noch überraschender. beim dritten Wunsch wurde dann klar, gleich von mehreren Damen zusammen, wenn auch nicht vollkommen synchron, das Vreneli abem Guggisberg“, das sogenannte Guggisberglied, als Motiv vorgegeben. Montero bemerkte auch gleich, das sei sicher ein einheimisches Lied und improvisierte wahrscheinlich deshalb noch motivierter, teilweise sogar durch Mitsummen des Publikums unterstützt. (Sofern man das überhaupt Unterstützung nennen kann). Dann wünschte sich ein Herr ohne etwas vorzusingen eine Improvisation über das Thema (wetterentsprechend) „the first snow“. Diesen erhielten wir auch umgehend, mal flockig und pudrig, dann pfeifend, bissig und rau, bisweilen klirrend und klar. Zum Abschluss noch der Wunsch eines Herrn , bitte eine Improvisation von Leonard Bernstein`s „West Side Story“, beginnend mit „Maria“ und endend mit „I want to live in America“. Montero erklärte geduldig, dass sie nicht etwas improvisieren kann, das in so engen Schranken vorgegeben sei und sie deshalb einfach mal mit „Maria“ starte, aber nicht garantieren könne, dass es dann auch wie gewünscht ende. Das war ja schlussendlich auch egal,wie diese Improvisation enden würde, das Konzert jedenfalls endete mit stürmischem Applaus der Auditoriums, das so in den Genuss einer Festivalpremière kam, die dank der überragenden Künstlerin am Flügel sicher eine Fortsetzung finden wird. Das Risiko eines so ungewöhnlichen Konzertes hat sich ausbezahlt, für die Veranstalter und das Publikum. In früheren Zeiten(18. und 19. Jahrhundert) waren die meisten Konzerte, die ja vielfach in den Salons der gehobenen Gesellschaft stattfanden, nicht programmiert, sondern improvisiert und viele Interpreten, so auch Gabriela Montero, wünschten sich eine Renaissance dieser Art von Darbietungen. was sie auch vor Beginn des zweiten Konzertteils geäussert hatte.
Ich war zugegebenermassen etwas skeptisch gestimmt in dieses Konzert gegangen, Gabriela Montero konnte mich aber locker für diese Konzertvariante einnehmen. So überrascht und erfreut, getraute ich mich wieder hinaus in den „first snow“ to railaway home.
Text: www.leonardwuest.ch
Fotos: www.lucernefestival.ch