Er ist so schnell unterwegs wie kein anderer: Ein Team aus Astrophysikern, unter Leitung von Forschern der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), entdeckten vor zehn Jahren in unserer Galaxie einen unscheinbaren Stern, US 708, der sich als wahrer Raser entpuppte. Anhand neuer Beobachtungen, an denen das Team der FAU maßgeblich beteiligt war, ist nun die Ursache für die immense Geschwindigkeit aufgeklärt: Schuld ist eine Explosion, nämlich eine thermonukleare Supernova. Mit den Ergebnissen, die jetzt in der renommierten Fachzeitschrift Science erschienen sind, lassen sich diese bislang überaus rätselhaften Explosionen besser verstehen.
Mit 4.320.000 Kilometern pro Stunde ist der Stern US 708 rund 2.000mal schneller als die Concorde und etwa viereinhalbmal so schnell wie unsere Sonne. Er übertrifft damit alle bisher gemessenen Geschwindigkeitsrekorde von Sternen um Längen. Sein Tempo ist sogar so hoch, dass er unsere Galaxie, die Milchstraße, auf Nimmerwiedersehen verlassen wird. Heute kennen die Astronomen unter den 100 Milliarden Sternen unserer Galaxis gerade einmal zwei Dutzend ähnlich schneller Sterne. Sie entstehen üblicherweise, wenn sich ein Doppelstern dem supermassiven Schwarzen Loch im Mittelpunkt der Milchstraße nähert – er wird zerrissen. Ein Stern fällt ins Schwarze Loch, der Partner wird aus der Galaxie katapultiert und so zum Hochgeschwindigkeitsstern. Doch die Erlanger Forscher hegten Zweifel, ob auch US 708 aus dem Zentrum unserer Galaxis stammt. Denn was durch diese Theorie der Entstehung weiterhin ein Rätsel blieb: Warum besteht US 708 anders als andere bekannte Hochgeschwindigkeitssterne aus Helium? Heliumsterne sind äußert seltene, alte Sterne von nur halber Sonnenmasse. Normale Sterne, wie unsere Sonne, bestehen dagegen hauptsächlich aus Wasserstoff.
Durch die aktuellen Beobachtungen, an denen das Team der FAU überaus großen Anteil hatte, kamen die Forscher der Entstehung von US 708 und damit auch der Ursache für seine immense Geschwindigkeit auf die Spur. Den Wissenschaftlern um Dr. Stephan Geier von der Europäischen Südsternwarte in Garching, der Dr. Karl-Remeis-Sternwarte der FAU sowie aus den Niederlanden, Großbritannien, den USA und China gelang es, die Flugbahn des Sterns zu rekonstruieren. Dabei kam heraus, dass der Stern unmöglich aus dem Zentrum der Milchstraße kommen kann und daher das dortige Schwarze Loch als Katapult ausscheidet.
Doch welches Ereignis machte US 708 einerseits zu einem rasenden Stern und andererseits zu einem Heliumstern? Die Forscher entdeckten, dass US 708 sich viel schneller dreht als jeder andere bekannte Heliumstern – ein Hinweis, dass er einmal einen sehr nahen Doppelsternpartner hatte, dessen Gezeitenkräfte ihn wie einen Brummkreisel aufgezogen haben. Mittels Computersimulationen ergab sich ein schlüssiges Bild.
Der Doppelsternpartner muss ein sehr kompakter, nur erdgroßer Stern gewesen sein, ein sogenannter Weißer Zwerg. Die beiden Sterne rotierten um einen gemeinsamen Mittelpunkt, kamen sich immer näher, die Umlaufgeschwindigkeit wurde größer. Der Weiße Zwerg entriss seinem Partner so viel von seiner Hülle, dass dessen Heliumkern sichtbar wurde und in der Folge Helium von US 708 zum Weißen Zwerg strömte. Der Abstand wurde noch kleiner, die Geschwindigkeit noch höher, noch mehr Helium strömte zum Weißen Zwerg. Bevor der Weiße Zwerg den anderen Stern komplett schluckte, explodierte er jedoch und wurde bei dieser thermonuklearen Supernova komplett zerstört.
Zwar hatte diese Explosion eine enorme Wucht. Jedoch war sie nur zu einem kleinen Teil für das hohe Tempo verantwortlich, mit dem US 708 jetzt durchs Weltall rast. Vielmehr betrugen die Umlaufgeschwindigkeiten im Doppelsternsystem kurz vor der Explosion fast 1.000 Kilometer pro Sekunde. Als der Weiße Zwerg explodierte, fiel mit einem Schlag auch dessen Anziehungskraft weg. US 708 behielt seine bereits ohnehin immens große Geschwindigkeit bei, wurde durch die Supernova sogar noch ein bisschen beschleunigt. Seither ist er als schnellster Stern der Milchstraße unterwegs.
Mit ihren Ergebnissen weisen die Wissenschaftler erstmals einen Zusammenhang zwischen Heliumsternen und thermonuklearen Supernovae nach und leisten damit einen wichtigen Beitrag, um besser zu verstehen, was zu einer solch gigantischen Explosion führen kann.
(idw) / Bild: ESA/Hubble, NASA und Sebastian Geier