Die Lancierung einer neuen Volksinitiative ruft nach der Frage, wie weit Schweizer Konzerne für ihre Töchter haften sollen. Schon jetzt können sich die Mütter nicht aus der Verantwortung ziehen. Der Pranger ist ein Hauptmittel der Hilfswerke in ihrem Kampf um «soziale Verantwortung» der Firmen. Am Donnerstag kam der Basler Agrokonzern Syngenta ins Visier einer Mitteilung der Erklärung von Bern, da ein Syngenta-Pestizid in Indien zu Vergiftungen von Arbeitern führe. Mit der diese Woche lancierten Konzernverantwortungs-Initiative wollen Hilfswerke Schweizer Konzernzentralen bei Verstössen von Auslandstöchtern namentlich gegen Menschenrechte und Umweltschutzregeln juristisch haftbar machen, ausser die Zentrale könne die Erfüllung der gebotenen Sorgfaltspflichten beweisen. Ein Kerngedanke hinter der Initiative ist, dass viele Schwellen- und Entwicklungsländer keinen funktionierenden Rechtsstaat haben, also Schweizer Recht dort für Ordnung sorgen soll.
Musterfall Alstom
Im geltenden Recht in der Schweiz und in den meisten anderen Ländern ist der Grundsatz der Territorialität verankert. Das Schweizer Strafrecht sieht die hiesigen Behörden grundsätzlich zuständig bei Delikten in der Schweiz, aber auch bei Delikten von Schweizern im Ausland. Zusätzliche Ausnahmen sind eng begrenzt. Die Grundsätze der Zuständigkeit gelten auch für die Strafbarkeit von Unternehmen. Eine juristisch selbständige Auslandstochter eines Schweizer Konzerns dürfte in der Regel nicht als «schweizerisch» im Sinne des Strafrechts gelten, bei einer juristisch unselbständigen Niederlassung würde das Bild wohl anders aussehen.
Bei selbständigen Firmentöchtern im Ausland kann die Schweizer Konzernzentrale dann belangt werden, wenn ihr Verletzungen der Sorgfaltspflichten nachzuweisen sind. Der Musterfall betrifft die Busse für Alstom Network Schweiz AG von 2011 nach Bestechungszahlungen durch andere Firmen der Alstom-Gruppe an mehrere Amtsträger im Ausland. Die gebüsste Gesellschaft war im Konzern für die Korruptionsbekämpfung zuständig und hatte die internen Regeln laut Bundesanwaltschaft nur mangelhaft durchgesetzt.
Korruption gilt besonders in Schwellen- und Entwicklungsländern als eines der zentralen Probleme. Globale Konzerne können es sich schon lange nicht mehr leisten, die Praktiken in den eigenen Tochtergesellschaften zu ignorieren. Vor allem die britischen und amerikanischen Gesetze erlauben den dortigen Behörden den Zugriff auch bei ausländischen Fällen mit ausländischen Akteuren, sofern sich ein gewisser Bezug zu Grossbritannien bzw. zu den USA konstruieren lässt (die Hürden erscheinen nicht so hoch). Zu den ab 2011 geltenden britischen Regeln gibt es noch keine ausgedehnte Rechtsprechung, doch in den USA haben schon manche nichtamerikanische Firmen wegen Korruptionsfällen in Drittländern Bussen abgeholt – wie etwa Siemens, Panalpina und ABB.
Pflichten des Verwaltungsrats
Die geplante Volksinitiative zielt in erster Linie auf das Zivilrecht. Laut dem internationalen Lugano-Übereinkommen zu zivilrechtlichen Zuständigkeiten können Firmen im Prinzip an ihrem Hauptsitz verklagt werden. Das Schweizer Gesetz zum internationalen Privatrecht bejaht derweil bei Klagen wegen unerlaubter Handlungen die Zuständigkeit hiesiger Gerichte, wenn die Schweiz der Wohnsitz des Beklagten, der Ort der fraglichen Handlungen oder der Ort des «Erfolgs» der Handlungen ist.
Dies heisst aber nicht, dass sich das Schweizer Recht bei Delikten von juristisch selbständigen Auslandstöchtern hiesiger Konzerne in jedem Fall abmeldet. Aktienrechtler verweisen auf die weitgehende Verantwortung des Verwaltungsrats. Die im Obligationenrecht verankerten Sorgfalts- und Aufsichtspflichten umfassen unter anderem die Einhaltung der Gesetze und damit auch von Menschenrechten und Umweltschutzregeln. Zu den Pflichten zählen auch Firmenorganisation und Überwachung. Diese Verantwortung von Verwaltungsräten erstreckt sich laut Juristen auch auf ausländische Tochtergesellschaften. Wer Verwaltungsräte von Mutterfirmen wegen Pflichtverletzungen anklagen will, muss die Pflichtverletzungen nachweisen, was bei Verstössen in ausländischen Tochterfirmen in der Regel nicht einfach sein dürfte.
Unter gewissen Umständen haften auch die Muttergesellschaften für Verfehlungen ihrer Töchter. Dies kommt gemäss Juristen vor allem dann infrage, wenn die Mutterfirma einen Vertreter in den Verwaltungsrat der Tochter delegiert hat oder wenn die Muttergesellschaft auch ohne formelle Vertreter im Tochter-Verwaltungsrat aktiv in das Geschäft der Tochter eingreift.
Konzerne sind zudem auch durch internationale Standards eingeschränkt, die oft formell nicht bindend sind, aber faktisch zum Teil nahe daran herankommen können. Im Kontext von Menschenrechten und Umwelt spielen die Leitlinien der Uno und der OECD eine wesentliche Rolle. Ein automatischer Durchgriff auf die Konzernzentralen bei Vergehen von Auslandstöchtern ist in den internationalen Standards bisher aber nicht vorgesehen. Im Kontext der geplanten Volksinitiative stellt sich die Frage, ob die Schweiz hier wesentlich weiter gehen soll als der Rest der Welt. Quelle: Xing [content_block id=29782 slug=ena-banner]