Nun hat offensichtlich auch die Euro-Gruppe genug und setzt Athen enge und harte Ultimaten bis Sonntag. Ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro-Raum ist wahrscheinlicher geworden als je zuvor. Nun hat offensichtlich auch die Euro-Gruppe genug und setzt Athen enge und diesmal wohl strikte Ultimaten. Sie will bis Sonntag entscheiden, ob Griechenland in der Euro-Zone gehalten werden soll – oder eben auch nicht.
Ende der Freundlichkeiten
Der französische Charme scheint vergangen und die Zeit diplomatischer Freundlichkeiten ausgelaufen. Es sei eine sehr ernste Situation, erklärte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel am Dienstag kurz vor Mitternacht und fügte etwas später an, sie sei nicht sonderlich optimistisch. Was in der Währungsunion passiere, könne nicht einfach durch ein Land bestimmt werden, sondern müsse von allen gemeinsam getragen werden. EU-Rats-Präsident Donald Tusk sagte gar, dies sei eine der schwierigsten Situationen, in denen sich der Euro-Raum und die EU je befunden hätten. «Das schwarze Szenario» keiner Einigung mit Griechenland könne nicht mehr ausgeschlossen werden. Für Sonntag habe er alle EU-Länder und nicht nur die Mitglieder der Euro-Gruppe zu einem Gipfel eingeladen, um auch über Dinge wie humanitäre Hilfe an ein EU-Mitgliedland entscheiden zu können.
Selbst EU-Kommissions-Präsident Jean-Claude Juncker, der sich lange besonders stark für einen Kompromiss mit Griechenland eingesetzt hatte, verwahrte sich nun sichtlich enerviert gegen Vorwürfe, die Geldgeber respektierten Griechenlands Würde nicht oder seien gar «Terroristen». Die griechische Regierung sei bis jetzt nicht in der Lage gewesen, zu erklären, wohin sie das Land führen wolle. Er sei zwar dafür, das Land im Euro-Raum zu halten, aber die Kommission habe nun auch Pläne ausgearbeitet für einen Grexit und für humanitäre Hilfe an Griechenland, erklärte Juncker explizit. Bis Freitag um 8 Uhr 30 müsse die griechische Regierung einen detaillierten Programmvorschlag vorlegen, über den man am Sonntag entscheiden könne. Sonst soll «Plan B» in Kraft treten.
Tsipras vor härterer Wahl
Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras und seine Mannschaft haben sich verrechnet – so sie denn ihr Land tatsächlich in der Euro-Zone halten wollen. Das griechische Volksnein hat eine Einigung nicht erleichtert, sondern wie von europäischer Seite angekündigt erschwert. Tsipras hat viel Kredit verspielt, und Euro-Mitgliedsländer, die sich selber an die Regeln der Währungsunion gehalten und harte Reformen auf sich genommen haben oder gar über ein geringeres Wohlstandsniveau verfügen als Griechenland, sind verärgert. Sie haben am Dienstag deutlich gemacht, dass sie zumindest sichergestellt haben wollen, dass Griechenland wieder wettbewerbsfähiger wird, damit es neu geliehenes Geld dereinst auch wieder zurückzahlen kann.
Verlangt werden von der griechischen Regierung nicht nur Schritte zum Haushaltsausgleich, sondern ultimativ weitergehende, konkretere Verpflichtungen auf jene Art von Reformen, gegen die sich die linksradikalen Politiker bisher derart gesträubt haben. Merkel nannte explizit die Liberalisierung des Arbeitsmarktes, die Öffnung geschützter Produktmärkte und Privatisierungen. Zudem will man den Währungsfonds mit an Bord behalten und ist nicht bereit, über Schuldenschnitte zu reden. Gesprochen werden kann laut Juncker im Oktober über Änderungen von Zahlungsmodalitäten, aber auch das erst, nachdem Vertrauen durch tatsächlich umgesetzte Reformzusagen wiederhergestellt worden ist.
Es ist denkbar, dass Tsipras nun doch noch einlenkt, wie er es am Dienstag offenbar in Brüssel beteuerte. Er müsste sich unter grossem Druck auch der Märkte zu deutlich weitergehenden Massnahmen bereit erklären, als er sie im letzten Kompromiss zur Verlängerung des zweiten Hilfsprogramms verweigert hatte. Dass seine Mannschaft zur Ausarbeitung eines solch konkreten Programms aber überhaupt willens und fähig ist, muss nach den Erfahrungen der letzten Monate bezweifelt werden. Und wie er dies seinen radikaleren Parteigenossen schmackhaft machen und dann auch tatsächlich umsetzen könnte, bleibt sein Geheimnis.
Banken brauchen schnelle Lösung
Will Tsipras schliesslich keine Einigung, oder gelingt sie ihm nicht, so wird die Euro-Gruppe am Sonntag kein neues Geld in Aussicht stellen und altes regulär zurückfordern. Griechenland würde bald zahlungsunfähig. Die Europäische Zentralbank müsste ihre Notkredite für die griechischen Banken rasch kürzen oder zurückfordern. Damit diese Finanzinstitute überhaupt wieder aufmachen können, müssten sie saniert werden. Ohne Einigung mit der Euro-Gruppe ginge dies am ehesten, wenn Griechenland gleich aus der Euro-Zone austreten würde und wieder sein eigenes Geld drucken könnte. Der Grexit würde dann sehr schnell Realität. Für das von grossen ökonomischen Schwierigkeiten geplagte Land wäre das kurzfristig hart, aber mittelfristig wahrscheinlich das Beste – genauso wie für die Stabilität des Rests der Euro-Zone.
Das Handeln der griechischen Regierung war bisher mit ökonomischer Logik nur schwer zu erfassen. Es ist deshalb auch durchaus damit zu rechnen, dass Tsipras sein Land in einen ungeordneten, chaotischen und damit noch schmerzhafteren Grexit schlittern lässt, der sich über längere Zeit hinzieht. Sicher ist jetzt nur, dass Griechenland und die EU an einer wichtigen Wegscheide angekommen sind. Bereits am Donnerstag müssten konkrete Vorschläge vorliegen, und spätestens am Sonntag wird diesmal in Brüssel und nicht in Athen gewählt werden: zwischen Weiterwursteln und Grexit. Die Würfel sind noch nicht gefallen, aber die Zeichen stehen derzeit so stark auf Letzterem wie nie zuvor.
Quelle: Xing, NZZ
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