Der Franken wertete im Januar rekordverdächtig auf. Wie verändert sich eine Wirtschaft, deren Produkte um ein Fünftel teurer werden?
Zum See oder zum Lago? Was nach einer Fangfrage aus dem Sprachkurs klingt, meinen die Verkehrslotsen auf der Hauptstraße in Konstanz ganz ernst.
Zum See lassen Sie jeden, zum Lago erst mal keinen mehr, schon seit elf Uhr vormittags. Denn das Lago ist kein kühles Nass, sondern ein klimatisiertes Einkaufszentrum, drei Etagen hoch, 70 Läden. Und dort ist schlicht kein Platz mehr frei. „Tut mir leid, das Parkhaus ist voll“, sagt der Lotse zu einem Autofahrer mit Züricher Kennzeichen. Der Fahrer flucht und dreht bei, mit quietschenden Reifen, er hatte schon etliche Runden vergeblich gedreht.
Es ist ein ganz normaler Samstag am Bodensee und dennoch: An der zentralen Kreuzung in der Konstanzer Innenstadt staut es sich schon am Morgen, alle paar Minuten sperren die Verkehrslotsen eine andere Spur, um zumindest die Illusion aufrechtzuerhalten, dass hier noch irgendetwas vorwärts gehe. Die Parkanzeige vermeldet einen freien Platz in der ganzen Innenstadt.
Selbst davon kann man im Lago nur träumen, einem Einheitsbau, wie es sie als „Center“ oder „Arcaden“ deutschlandweit dutzendfach gibt. Das Lago unterscheidet sich aber durch seine Kunden: Sie sind besonders viele, und besonders viele von ihnen sind Schweizer. So wie Sascha Stefanovic, 26, der gerade im Drogeriemarkt des Lago-Untergeschosses den Einkaufswagen voll geladen hat. Er ist im Februar das erste Mal aus Zürich nach Konstanz gefahren, seitdem kommt er alle zwei Wochen. „Wir erledigen inzwischen unsere kompletten Einkäufe in Deutschland“, sagt Stefanovic und rechnet vor: „Für Lebensmittel und die wichtigsten Haushaltsgegenstände bezahlen wir rund 220 Franken im Monat, in der Schweiz wären es mehr als 800.“
Beliebt war das Einkaufszentrum bei schweizerischen Kunden schon immer, doch seit Jahresbeginn hat der Shoppingtourismus eine neue Qualität. Ohne Verkehrslotsen geht samstags in Konstanz gar nichts mehr. Bis zu 30 000 Schweizer kommen mitunter an einem Tag, seit dem „Frankenschock“: Am 15. Januar hat die Schweizer Nationalbank den Wechselkurs zum Euro freigegeben, den sie bis dahin durch Stützungskäufe über der Marke von 1,20 Franken gehalten hatte. Innerhalb von Minuten rauschte der Kurs runter bis zur Parität, seitdem pendelt er ein wenig darüber, meist zwischen 1,03 und 1,05 Franken.
„Eine so starke Aufwertung hat es in der Wirtschaftsgeschichte meines Wissens noch fast nie gegeben“, sagt Michael Siegenthaler von der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich. Ein halbes Jahr später lassen sich die Folgen dieses historischen Ereignisses allmählich empirisch beurteilen: Was passiert mit einer Wirtschaft, deren Waren von einem Tag auf den anderen um 20 Prozent teurer werden?
Auf den ersten Blick scheinen die Schweizer glimpflich davonzukommen. Die Arbeitslosenquote stieg zwar langsam, liegt aber bei nur 3,3 Prozent. Industrieproduktion und BIP sanken im ersten Halbjahr, offiziell ist das eine Rezession, doch sie fühlt sich erstaunlich gut an. Viele Schweizer freuen sich daran, so günstig wie nie ins Ausland reisen und dort einkaufen zu können. „Seit dem Frühjahr macht sich das Gefühl breit, dass die Schweizer Wirtschaft den Frankenschock gut verdauen würde“, urteilte der Züricher „Tages-Anzeiger“. Quelle: Xing,[content_block id=29782 slug=ena-banner]