Die Obdachlosenzahlen in Deutschland werden dramatisch steigen, warnt der Dachverband der Wohnungslosenhilfe. Schuld sind unter anderem sozialpolitische Fehlentscheidungen und hohe Mieten. In Deutschland explodiert die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum. Neben einer drastisch gestiegenen Zahl an Wohnungslosen wollen auch Hartz-IV-Empfänger, Studenten, Flüchtlingsfamilien und andere mit wenig Geld in eigene vier Wände ziehen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) sieht die Zahl der Menschen ohne Wohnung auf einem neuen Höchststand, mit zunehmender Tendenz für die kommenden Jahre. „Verteilungskämpfe“ um die raren Wohnungen seien nicht auszuschließen, sagte der Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft, Thomas Specht, am Montag in Berlin.
Die Zahl der Wohnungslosen ist nach Schätzung der BAGW zwischen 2012 und 2014 um 18 Prozent auf 335.000 Menschen gestiegen. Wie die BAGW erklärte, ist dies ein neuer Höchststand. „Wenn die wohnungs- und sozialpolitischen Rahmenbedingungen nicht geändert werden, wird es zu einem weiteren Anstieg der Wohnungslosenzahlen um 60 Prozent auf knapp 540.000 bis zum Jahr 2018 kommen“, sagte der Geschäftsführer der BAG W, Thomas Specht.
Specht fordert deshalb eine radikale Wende in der Wohnungspolitik. Bundes- und Landesmittel für den sozialen Wohnungsbau müssten für die kommenden Jahre drastisch erhöht werden. Seit der Föderalismusreform von 2006 ist die Wohnungspolitik Ländersache. Dies sei eine Fehlentscheidung gewesen, sagte der BAGW-Vorsitzende Winfried Uhrig, und forderte die Bundesregierung auf, einen Wohnungsgipfel einzurufen.
2,7 Millionen Kleinwohnungen fehlen
Das Ziel müsse ein nationaler Aktionsplan zur Bekämpfung der Wohnungslosigkeit sein.Mit Blick auf die kältere Jahreszeit empfahl Specht den Kommunen, notfalls mit der Beschlagnahme von Gewerbeimmobilien und leerstehenden privaten Wohnungen Notübernachtungen zu ermöglichen. Wenn dies nicht ausreiche, müssten Zelte und Wohncontainer für Wohnungslose angeschafft werden, sagte Specht.
Laut BAGW verdoppelte sich die Zahl der Menschen, die auf der Straße leben, seit 2012 auf 39.000. Insgesamt seien gut zwei Drittel der Wohnungslosen alleinstehend und ein Drittel mit Partnern und gegebenenfalls mit Kindern. Die Zahl der Minderjährigen schätzt sie auf knapp zehn Prozent. Der Anteil wohnungsloser Menschen mit Migrationshintergrund liegt demnach bei knapp einem Drittel.
Kleinwohnungen dringend gesucht
Zugleich sei die Zahl der bedrohten Wohnverhältnisse deutlich gestiegen, kritisierte Specht. Bei der Entwicklung spiele die wachsende Zuwanderung von EU-Bürgern und Asylbewerbern zwar eine Rolle als Verstärker, die wesentlichen Ursachen lägen jedoch „in einer seit Jahrzehnten verfehlten Wohnungspolitik in Deutschland, in Verbindung mit einer unzureichenden Armutsbekämpfung“.
Uhrig beklagte einen ständig schrumpfenden sozialen Wohnungsbestand. Seit 2002 gebe es eine Million Sozialwohnungen weniger. Zugleich hätten Kommunen, Länder und der Bund ihre eigenen Wohnungsbestände meistbietend an private Investoren verkauft.
Große Wohnungsbestände in attraktiven Lagen stünden wegen Gentrifizierung nicht mehr Mieterhaushalten mit geringem Einkommen zur Verfügung. Es fehlten mindestens 2,7 Millionen Kleinwohnungen.[content_block id=29782 slug=ena-banner]