Luzern (ots) – Die Schweizer Wirtschaft ist trotz verlangsamten Wachstums immer noch gut unterwegs. Für Armutsbetroffene und Einkommensschwache spitzt sich die Lage jedoch zu. Caritas stellt im Bericht zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung im soeben erschienenen Sozialalmanach 2016 fest: Es wurden so viele Menschen ausgesteuert wie seit zehn Jahren nicht mehr. Gleichzeitig drängt der Abbau von bedarfsabhängigen Leistungen Armutsbetroffene weiter an den Rand der Gesellschaft.
Die Besorgnis über die wirtschaftliche Entwicklung prägte das Jahr 2015. Nach der Aufwertung des Schweizer Frankens zu Beginn des Jahres übertrafen sich Expertinnen und Experten in pessimistischen Prognosen für die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz. Die letzten Monate zeigten jedoch: Die Schweizer Wirtschaft ist vorderhand widerstandskräftiger als angenommen. Trotz Einbussen in der Exportwirtschaft und verlangsamten Wachstums geht das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco davon aus, dass sich die Konjunktur 2016 wieder festigt.
Steigende Krankenkassenprämien und gleichzeitiger Rückgang der Prämienverbilligungen
Angesichts der robusten Wirtschaftslage gibt die steigende Anzahl an Aussteuerungen Anlass zur Besorgnis, konstatiert die Caritas im Bericht über die soziale und wirtschaftliche Entwicklung. So wurden im Jahr 2014 36 500 Männer und Frauen ausgesteuert. Das ist der höchste Wert seit zehn Jahren. Überdurchschnittlich betroffen sind Personen über 45 Jahre, solche ohne nachobligatorische Schulbildung, ohne Schweizer Staatsbürgerschaft, Frauen und Alleinlebende. Viele der Betroffenen finden nach der Aussteuerung keine Arbeit mehr und sind auf Sozialhilfe angewiesen. Falls sie Arbeit finden, sind sie häufig in unsicheren Arbeitsverhältnissen beschäftigt. Das heisst, sie arbeiten auf Abruf oder temporär, sind gezwungen, befristete Arbeitsverträge einzugehen oder unfreiwillig Teilzeit zu arbeiten. Drei Viertel der Unterbeschäftigten sind Frauen. Bei alleinerziehenden Müttern ist die Unterbeschäftigung mit 16 Prozent überdurchschnittlich verbreitet und mitverantwortlich dafür, dass es unter Alleinerziehenden viermal mehr working poor gibt als in der Gesamtbevölkerung.
Den Einkommensschwachen setzen die stetig steigenden Krankenkassenprämien zu, stellt die Caritas weiter fest. Die Standard-Krankenversicherungsprämie ist in den letzten 20 Jahren um durchschnittlich 4,7 Prozent pro Jahr – von monatlich 173 Franken im Jahr 1996 auf 396 Franken im Jahr 2014 – angestiegen. Parallel dazu wurde die individuelle Prämienverbilligung kontinuierlich abgebaut. Zwischen 2010 und 2013 kürzten die Kantone ihre Beiträge an die Prämienverbilligung um insgesamt 169 Millionen Franken. Vor allem Familien mit einem Einkommen wenig oberhalb der Armutsgrenze sind von den Kürzungen betroffen. Sie drohen aufgrund der hohen Fixkosten in die Armut abzurutschen.
Bedarfsabhängige Leistungen werden abgebaut
Auch in der Sozialhilfe stellt die Caritas einen kontinuierlichen Leistungsabbau fest. So wurden die SKOS-Richtlinien im vergangen Jahr verschärft. Mit der beschlossenen Revision ist das soziale Existenzminimum für grosse Familien und Jugendliche nicht mehr gewährleistet. Auch die minimale Integrationszulage für Menschen, die sich aus gesundheitlichen oder familiären Gründen nicht um eine Arbeitsstelle bemühen können, wurde gestrichen. Diese Kürzungen treffen auch Alleinerziehende, die aufgrund ihrer Betreuungspflichten in ihrer Erwerbsarbeit oder in ihrer Arbeitssuche eingeschränkt sind.
Der Abbau in der Sozialhilfe und bei der individuellen Prämienverbilligung drängt Armutsbetroffene weiter an den Rand der Gesellschaft und verschlechtert die Bedingungen für Menschen knapp oberhalb der Armutsgrenze. Bettina Fredrich fordert, diesen Trend zur Entsolidarisierung zu korrigieren. Menschen in der Sozialhilfe brauchen Perspektiven. Dazu gehören unter anderem Investitionen in Weiter- und Nachholbildung. Mit gezielten Bildungsmassnahmen können Armutsgefährdete ihre Lebenslage nachhaltig verbessern und der Spirale der Armut entkommen.
Sozialalmanach 2016
Das Caritas-Jahrbuch zur sozialen Lage der Schweiz (Schwerpunkt: Familie ist kein Luxus) ist zu beziehen bei: info@caritas.ch oder telefonisch unter: 041 419 22 22. Unter www.caritas.ch/shop können weitere Exemplare erworben werden[content_block id=29782 slug=ena-banner]