Besetzung und Programm:
Luzerner Sinfonieorchester LSO
James Gaffigan, Chefdirigent
Alina Ibragimova, Violine
Ferruccio Busoni (1866 – 1924)
Nocturne symphonique op. 43
Robert Schumann (1810 – 1856)
Konzert für Violine und Orchester d-Moll
Rezension:
Es ist immer wieder beeindruckend, das KKL in Luzern zu sehen und betreten, egal wie oft mal schon dort war. Die Vorfreude auf das Konzert ist natürlich noch grösser, wenn ein einheimisches Orchester, in diesem Fall das Luzerner Sinfonieorchester (LSO), sich die Ehre gibt, u.a. mit der Uraufführung eines Werkes des diesjährigen Gewinners des Kompositions-Wettbewerbs 2015 der Art Mentor Foundation Lucerne, Jan Esra Kuhl. Begonnen wurde aber mit einer ungewöhnlichen Komposition von Ferruccio Busoni.
Die „Nocturne Symphonique“ (entstanden 1912/13) ist eine von Busonis experimentellsten, atmosphärischen, fast unheimlichen Kompositionen. Wie viel von seiner abenteuerlicher Musik, erscheint auch ein Teil des Materials aus diesem Stück in seinem unvollendeten Hauptwerk auf, der Oper “ Doktor Faust „. Das „Nocturne“ ist weit entfernt von der verklärten Romantik Chopins, sondern scheint das dunkle Geheimnis einer nächtlichen Geräuschkulisse zu erkunden. Überlegungen zu neuen Tonskalen, Sechstel Tonsystemen und erste Ahnungen der Möglichkeiten elektrisch erzeugter Klänge. Vielschichtig nebulös verwoben, trotzdem transparent, bildet sie den Schlusspunkt seines Frühwerkes, verzichtet fast ganz auf die stark schallenden Instrumente, atmet noch die Unbekümmertheit früher Werke, zeigt aber gleichzeitig schon den Feinschliff des reifen Meisters. Busoni, nach einer glanzvollen Pianisten Karriere, wie sie zuvor nur Franz Liszt und nach ihm Sergej Rachmaninow erlebten, widmete sich dann mehr und mehr seiner Berufung als Musikpädagoge/theoretiker, Schriftsteller und vor allem als Komponist. Das LSO interpretierte das Werk wie von Busoni angedacht, mit Respekt, Einfühlungsvermögen und instrumentaler Brillanz, die unterstützt wurde durch das zurückhaltende Dirigat von James Gaffigan, vom Publikum im fast ausverkauften Konzertsaal mit entsprechendem Applaus gewürdigt.
Als zweite Darbietung des ersten Konzertteils folgte Schumann. Das Violinkonzert in d-Moll war das letzte Orchesterwerk Robert Schumanns. 1853 entstanden, wurde es erst 84 Jahre später im Rahmen einer propagandistischen Inszenierung des Nationalsozialismus uraufgeführt.
Der dem Werk lange anhängende Makel, von Schumanns nachlassender Geisteskraft geprägt zu sein, – der Komponist wurde 1854 in die Nervenheilanstalt Bonn-Endenich eingeliefert, wo er 1856 verstarb – wirkt bis heute nach. Diese Komposition ist denn auch weniger romantisch als man den Komponisten normalerweise wahrnimmt, eher nachdenklich besinnlich, statt oberflächliche Virtuosen – Brillanz grüblerische Reflektion, reif und ernst mit der oft in Mittellagen geführten Solovioline. Ebendiese tiefgründig, technisch perfekt und mit engagiert, elegant – geschmeidigem Körpereinsatz gespielt von Alina Ibragimova, auf einer, von der Georg von Opel -Stiftung zur Verfügung gestellten Violine von Anselmo Bellosio aus dem Jahre 1775.
Die Solistin vermochte sich auch gegen das nun doch etwas vorlaute Orchester souverän zu behaupten. Die Zuhörer waren gefesselt von der überragenden Demonstration der jungen Russin und feierten sie denn auch mit tosendem Applaus, zu einer Zugabe liess sich die Künstlerin aber nicht bewegen.
Der zweite Konzertteil startete mit der Uraufführung von „and again“, einem Werk des preisgekrönten Jan Esra Kuhl. Wie der Name des Werkes, tönte auch dieses selbst amerikanisch, Einflüsse von Gershwin und Bernstein liessen sich klar erkennen. Eine Art badische „Cuban Overture“, aufgrund seiner Studien an der Hochschule für Musik Freiburg/Breisgau? Basierend auf sehr geordneten, relativ einfachen Abläufen, hangelt sich die Komposition harmonisch fortwährend an einer Quintfallsequenz entlang. Dies gibt Raum für die Lust, in Tradition geradezu zu „baden“ (Zitat des Komponisten). Manchmal fast ins absurde abdriftende Tonabfolgen, ähnlich einem linearen Anachronismus, teils „schräge“ bläsergeprägte Klänge bewegten sich vorwärts in ambivalente paradoxe Bewegungskonstellationen, abgerundet mit wunderschön weichem Klarinettensound, kongenial umgesetzt vom gesamten Orchester, mit einem, ab und zu, koboldhaft gestikulierenden Chefdirigenten auf dem Sockel, dem es sichtlich Spass machte Neues umzusetzen und mitzuprägen. Diesen Spass verstanden die Protagonisten auf das Auditorium zu übertragen was, dieses wiederum zu einer langanhaltenden Akklamation animierte, mit einem grossen Sonderapplaus für den, von Gaffigan auf die Bühne gebetenen, Komponisten.
Auf Neues folgte zum Abschluss noch Bewährtes in Form der Sinfonie Nr. 5 „Reformations-Sinfonie“ von Felix Mendelssohn Bartholdy (eine romantische Sinfonie in vier Sätzen, eigentlich die zweite seiner fünf Sinfonien, da sie aber später als die andern uraufgeführt wurde, wird sie als fünfte geführt). Auch dieses Werk wurde vom LSO grossartig interpretiert, liess den einzelnen Registern und Solisten genug Raum, um individuelle glanzvolle Akzente zu setzen, eloquente Holzbläser wechselten mit Blechbläsereinwürfen, abgelöst oder untermalt durch sanfte Streicher. Besonders auffallend wie Gaffigan das „Dresdner Amen“ figurierte. Einmal mehr bewiesen die Luzerner ihre enorme Wandelbarkeit und grosse Reife, vertraute, aber auch neue Musik zu adaptieren und überzeugend zu interpretieren. Das begeisterte Publikum bedankte sich mit einem langanhaltenden starken Applaus für den schönen, eindrücklichen Konzertabend.
Kurzer Trailer des Luzerner Sinfonieorchesters LSO
youtube.com/watch?v=2oAW9cmRsX0
Text: www.leonardwuest.ch
Fotos: sinfonieorchester.ch/home
Homepages der andern Kolumnisten: www.irenehubschmid.ch
www.marvinmueller.ch www.gabrielabucher.ch
Paul Ott/Paul Lascaux:www.literatur.li [content_block id=29782 slug=ena-banner]