Zürich (ots) – Bei der Reform der Invalidenversicherung geht der Bundesrat zu wenig entschlossen vor. Obwohl die IV nach wie vor ein jährliches Defizit von 600 Millionen Franken einfährt und 13 Milliarden Franken Schulden bei der AHV hat, scheut er sich vor strukturellen Reformmassnahmen. Angesichts der hohen Neurentner-Zahlen bei Jugendlichen postulieren die Arbeitgeber deshalb einen Kurswechsel: Die Berentung von unter 30-Jährigen muss künftig die Ausnahme sein. Wichtig auch: Das Parlament muss über die Kinderrenten und Reisekosten rasch weitere Einsparungen beschliessen.
Dass der Bundesrat zu einer neuen IV-Reform ansetzt, ist wichtig und richtig. Nach dem Scheitern der IV-Revision 6b war eine Wiederaufnahme der Reformarbeiten unerlässlich. Die Reform, die der Bundesrat nun vorlegt, enthält denn auch sinnvolle qualitative Massnahmen – etwa einen verstärkten Fokus auf Kinder und Jugendliche und psychisch beeinträchtigte Menschen. Zusätzliche Sparmassnahmen will der Bundesrat aber nicht ergreifen – obwohl dies zwingend wäre. Vergessen wir nicht: Die IV ist nicht saniert. Nach Abzug des befristeten Mehrwertsteuer-Zuschlags und der Schuldzins-Übernahme durch den Bund fuhr die IV 2014 erneut ein strukturelles Defizit von über einer halben Milliarde Franken ein. Zudem hat die IV immer noch gut 13 Milliarden Franken Schulden bei der AHV. Selbst wenn die Bedingungen günstig sind, werden diese Schulden nicht vor 2030 abgetragen sein. Fünf Jahre später als ursprünglich versprochen.
Gerade die Massnahmen für Kinder und Jugendliche zeigen, dass das Konzept des Bundesrats zu wenig weit geht. Angesichts der hohen Neurenten-Zahlen bei jungen Erwachsenen – allein bei den 18- bis 24-Jährigen werden jährlich rund 2000 Menschen verrentet – müssen frühe Berentungen künftig konsequent verhindert werden. Der Arbeitgeberverband postuliert deshalb eine Prinzipienumkehr: Die Berentung von unter 30-Jährigen muss die Ausnahme sein. Renten sollen Kindern und Jugendlichen mit schweren Geburtsgebrechen vorbehalten sein, die keine Aussicht auf einen Job im ersten Arbeitsmarkt haben. Die übrigen jungen Menschen müssen über positive Arbeitsanreize und gezielte Unterstützungsmassnahmen beruflich Tritt fassen können. So soll anstelle der Rente ein befristetes Taggeld ausbezahlt werden, das einerseits die nötigen Anreize setzt, andererseits mit spezifischen Eingliederungsmassnahmen verknüpft wird. «Wir verhindern damit, dass junge Menschen 45 Jahre lang IV und Ergänzungsleistungen beziehen und gesellschaftlich abseitsstehen», sagt Roland A. Müller, Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbands.
Weiter fordern die Arbeitgeber, dass das Parlament über die Kinderrenten (Renten für IV-Bezüger mit Kindern) und die Reisekosten rasch weitere Einsparungen beschliesst. Die nationalrätliche Sozialkommission hatte 2014 entschieden, diese im Rahmen von 6b sistierten Sparmassnahmen wieder zu lancieren. Damit liesse sich die IV um immerhin 100 Millionen Franken pro Jahr entlasten. Auch verlangen die Arbeitgeber, dass im Rahmen des neuen, stufenlosen Rentensystems erst ab einem Invaliditätsgrad von 80 Prozent Anspruch auf eine Vollrente besteht. Nur so entfaltet das System die gewünschte Anreizwirkung. Der Bundesrat hat hier einen unglaubwürdigen Zickzack-Kurs eingeschlagen: Bei der Revision 6b sprach er sich noch klar für einen Invaliditätsgrad von 80 Prozent aus und belegte die damit verbundenen erwünschten Anreize gar anhand einer Studie; in seiner Reformvorlage nun schlägt er alternativ einen Vollrenten-Anspruch bereits ab 70 Prozent Invalidität vor.
Keine gesetzlichen Zwänge
Last but not least lehnt der Arbeitgeberverband das Ansinnen des Bundesrats entschieden ab, wonach Zusammenarbeitsvereinbarungen mit den Dachverbänden der Arbeitswelt gesetzlich verankert werden sollen. Solche Zwangsmassnahmen sind weder erforderlich noch praktikabel. Das bisherige – freiwillige – Engagement der Arbeitgeber in der beruflichen Eingliederung ist ein Erfolg. Das belegen auch die jüngsten Eingliederungszahlen der IV-Stellen-Konferenz: Über 20’000 Menschen mit gesundheitlichen Problemen konnten 2015 ihren Job behalten oder eine neue Anstellung finden. Mehr als je zuvor. Insgesamt konnten seit 2012 rund 75’000 beeinträchtigte Menschen im Arbeitsmarkt verbleiben bzw. in den Arbeitsmarkt zurückkehren.
Gesetzliche Verpflichtungen sind aber nicht nur überflüssig, sie sind schlimmstenfalls kontraproduktiv. Erfolge bei der beruflichen Eingliederung benötigen bedürfnisgerechte und flexible Strukturen. Initiativen wie der Verein Compasso, der unter dem Patronat des Arbeitgeberverbands alle zentralen Akteure in der beruflichen Integration vernetzt, machen es vor. Starre gesetzliche Vorschriften stehen dem im Wege.[content_block id=29782 slug=ena-banner]