Der Lebensraum der Zecken beginnt vor der Haustür – so lautet das wichtigste Ergebnis einer aktuellen Studie der Universität Hohenheim in rund 100 Gärten aus dem Großraum Stuttgart. Dank Klimawandel sind die Spinnentiere auch nicht mehr nur im Sommer, sondern fast ganzjährig aktiv, so Prof. Dr. Ute Mackenstedt auf einer Pressekonferenz Dienstag. Die Medienveranstaltung bildete den Auftakt einer Reihe von Veranstaltungen zum Thema Zecke, u.a. für interessierte Bürger am 21. März 2016. Details unter www.zeckenkongress.de
Insgesamt ca. 221 Menschen erkrankten in Deutschland im vergangenen Jahr an der Hirnhautentzündung FSME, die durch Zecken übertragen wird, eine verhältnismäßig geringe Zahl. Auch 2014 war die Zahl mit 265 gemeldeten Fällen unterdurchschnittlich: 2013 waren es noch 420.
Doch der Trend ist trügerisch, kommentiert Prof. Dr. Mackenstedt von der Universität Hohenheim. „Grund für die rückläufigen Zahlen sind zwei besonders heiße und trockene Sommer“, vermutet die Zecken-Expertin. „Bei solchen Temperaturen sind weder Mensch noch Ixodes ricinus, der Gemeine Holzbock, sonderlich aktiv, so dass beide nicht zusammen kommen.“
Neue Erkenntnis 1: Zecke wird zum quasi ganzjährig aktiven Tier
Gleichzeitig bewirke das veränderte Wetter jedoch, dass Zecken bereits ab Februar und bis in den Dezember hinein aktiv seien. Die Gefahr: „Wir sind es nicht gewohnt, in den ehemals kalten Monaten mit Zeckenstichen zu rechnen und schützen uns nicht entsprechend.“ Auch Ärzte seien noch nicht unbedingt gewohnt bei FSME-Symptomen außerhalb des Sommers gleich an Hirnhautentzündung zu denken. Doch: „Der Klimawandel hat die Zecke in Deutschland zu einem quasi ganzjährig aktiven Tier gemacht.“
Erstmals Zeckenaktivität an Weihnachten
Bestätigt wurden diese Ausführungen von Dr. Olaf Kahl, Geschäftsführer der Berliner Firma tick-radar. Dabei handelt es sich um einen Informations-Dienstleister mit eigenem Forschungsansatz zum Thema Zecken mit Schwerpunkt auf Zeckenaktivität (Homepage zeckenwetter.de). „In diesem Winter haben wir in unseren Zeckenstationen sogar an den Weihnachtsfeiertagen aktive Zecken gefunden“, berichtete Dr. Kahl.
Neue Erkenntnis 2: Gärten werden als Lebensraum von Zecken unterschätzt
Auch in anderer Hinsicht würden sich viele Menschen in trügerischer Sicherheit wähnen: Nämlich im eigenen Garten. Zu Unrecht: „Wer aus der Haustür tritt, steht im Lebensraum der Zecken“, fasst Prof. Dr. Mackenstedt die Ergebnisse einer laufenden Studie zusammen. Seit 2014 kontrolliert die Parasitologin rund 100 Gärten im Großraum Stuttgart regelmäßig auf Zecken. Ergebnis: „Inzwischen können wir in 60 Prozent aller Gärten Zecken nachweisen – in Einzelfällen fanden wir in einer halben Stunde bis zu 800 Tiere.“ Bislang beschränken sich die Untersuchungen auf den Raum Stuttgart. „Wir können jedoch davon ausgehen, dass sich die Ergebnisse auf andere Städte übertragen lassen.
Eingeschleppt durch Vögel, Haus- und Wildtiere
Zur Überraschung der Studienleiterin scheinen sich die Blutsauger in ganz unterschiedlichen Umgebungen wohlzufühlen: vom verwilderten Garten am Waldrand bis zum akkurat gepflegten Stadtgarten. Faktoren wie ein naher Wald, Unterholz und hohes Gras begünstigen zwar große Zeckenpopulationen, sind aber keinesfalls Voraussetzung. „Selbst in kleinen und gepflegten Gärten in den Stadtaußengebieten waren die Zecken noch anzutreffen.“
Ein Grund für die große Verbreitung sind Haus-, Wild- und Nagetiere: „Wir haben insgesamt drei verschiedene Arten von Zecken gefunden. Eine davon wird vor allem durch Vögel verbreitet.“ Andere seien typisch für Wild- und Haustiere. „Man kann einen Garten nicht zeckenfrei halten“, schlussfolgert Prof. Mackenstedt. „Einmal eingeschleppt, bilden sie stabile Populationen.“ Ein weiterer Befund der Studie: Die Tiere breiten sich nicht gleichmäßig in den Gärten aus, sondern beschränken sich mitunter auf extrem kleine Stellen. „In einem Garten fanden wir Zecken nur in einem kleinen Rosmarinstrauch.“ Laut Zecken-Expertin Prof. Dr. Mackenstedt zeigten die Ergebnisse, dass der Mensch lernen müsse, mit Zecken zu leben: „Wir müssen akzeptieren, dass wir die Zecken nicht vollständig vermeiden können. Umso wichtiger ist es, sich entsprechend zu schützen.“
Verbreitungsgebiete in Deutschland weiten sich aus
Nicht nur im Jahresverlauf, auch geografisch dehne sich die Aktivität der Zecken aus, berichtet PD Dr. Gerhard Dobler auf der Pressekonferenz. Der Mediziner leitet das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr und ist Leiter des Deutschen Konsiliarlabors für Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME).
Die Gebiete mit FSME-Vorkommen lägen überwiegend in Baden-Württemberg und Bayern und in kleineren Teilen von Thüringen, Hessen, Sachsen und Rheinland-Pfalz. In den letzten Jahren mehrten sich allerdings auch Berichte von FSME-Fällen außerhalb dieser bekannten Verbreitungsgebiete, u.a. in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen-Anhalt. In Baden-Württemberg gelten 44 Landkreise als endemisch für die FSME. Davon haben im Jahr 2015 insgesamt 28 Landkreise Erkrankungsfälle gemeldet. Darunter lag der Landkreis Ravensburg mit elf gemeldeten Erkrankungsfällen an der Spitze in Baden-Württemberg.
Bandbreite der übertragenen Krankheiten ist groß
Gleichzeitig sei die Bandbreite der Krankheiten, die durch Zecken übertragen würden, größer als oft bekannt, führte Dr. Rainer Oehme vom Landesgesundheitsamt Stuttgart aus. So können die Spinnentiere Viren, Bakterien und auch Parasiten übertragen. Die bisher wichtigsten Pathogene in Deutschland seien das FSME-Virus und das die Lyme-Borreliose auslösende Bakterium Borrelia burgdorferi sensu lato. Aber auch in Zellen lebende Bakterien, wie Rickettsien, Anaplasmen, Ehrlichien und Coxiella burnetii (der Erreger des Q-Fiebers) seien nachgewiesen worden. Für den Erreger der Hasenpest (Francisella tularensis) sei auch die Übertragung durch einen Zeckenstich beschrieben worden.
Die Liste der Pathogen sei sicher noch nicht abgeschlossen, denn in jüngster Vergangenheit seien zwei neue Pathogene gefunden worden (Candidatus Neoehrlichia mikurensis und Borrelia miyamotoi, eine Rückfallfieberborrelie). Bei den Parasiten seien in Deutschland die Babesien zu nennen.
(idw) / Bild: Pw95 (CC BY 2.0)[content_block id=29782 slug=ena-banner]