Wie viele Touristen verträgt die Insel? Die Bewohner entwickeln Konzepte, wie ihre Zukunft aussehen soll. Das hat Auswirkungen auf die Gäste.
Mehr Betten werden nicht zugelassen. Schon jetzt sind viele Unterkünfte ausgebucht
Seit Mallorca im vergangenen Jahr eine linke Regierung bekommen hat, diskutieren die Balearen offen über ihre Zukunft. In einem Punkt sind sich alle einig: Die Grenzen des Wachstums sind erreicht. Strittig ist indes, wie man die Bremse zieht, ohne dabei Urlauber zu verschrecken. Das betrifft zum einen die Hotels, von denen vile vier oder fünf Sterne haben. Die derzeitige Bettenzahl von 280 000 in Hotels, Fincas und Apartments soll nicht weiter steigen. Die Bettenbörse, ein Marktplatz für Anbieter, ermöglicht Hotelerweiterungen oder Neueröffnungen nur, wenn die Plätze aus Hotels, Appartements oder Fincas stammen, die geschlossen wurden. Viele Hotels sind für den Sommer bereits ausgebucht. Ab August soll es zudem Auflagen für private Anbieter geben, die Unterkünfte über Internetplattformen vermieten. Außerdem will die Regierung bis Ende 2017 das Tourismusgesetz so überarbeiten, dass mehr Wert auf soziale und ökologische Nachhaltigkeit gelegt wird. Die Kriterien dafür erstellt gerade die Universität der Balearen in Palma, UIB.
Diskutiert wird mit zunehmender Nervosität. Die einen fürchten sich vor dem Ausverkauf ihrer Insel, vor Massenandrang und ökologischem Kollaps. Andere treibt das umgekehrte Szenario um: Was, wenn auf einen Schlag alle Touristen ausblieben? Etwa, wie in Tunesien, nach einem Terroranschlag. Oder weil man durch die Umweltabgabe, die gerade nach hitzigen Diskussionen beschlossen wurde, die Urlauber verprellt. Das wäre eine Katastrophe, denn mehr als 40 Prozent des Bruttoinlandsproduktes werden mit den Besuchern erwirtschaftet.
Die Abgabe soll am 1. Juli in Kraft treten. Jeder Urlauber wird dann je nach Unterkunft zwischen 25 Cent und zwei Euro pro Tag zahlen. Kritisiert wird sie vor allem von Hoteliers, die in Arenal oder Magaluf günstige Zimmer anbieten, mit denen aber auch wenig zu verdienen ist. Solche Hotels sind auf der Insel nicht sonderlich beliebt. Viele Einheimische haben das Gefühl, dass sich die Hoteliers auf Kosten der Bevölkerung und der Natur bereichern. Die Steuer soll nun helfen, so die Leiterin der Balearischen Tourismusbehörde, Pilar Carbonell, „den Wohlstand gerechter zu verteilen und die Distanz vieler Mallorquiner zum Tourismus zu verringern“. Die Regierung rechnet mit Einnahmen in Höhe von 50 bis 80 Millionen Euro pro Jahr. Das Geld soll in Natur, Denkmal- und Landschaftsschutz fließen, in Landwirtschaft und Fischerei. Ausbauen will man damit aber auch Angebote in der Nebensaison. Kurz: Die Touristen sollen direkt zu einer positiven Entwicklung der Balearen beitragen.
Seit drei Jahren bemühen sich die Inseln verstärkt um Kontrolle und Überblick. Rund 50 Forscher der Universität werten dazu digitale Daten aus, vom Strand-Tweet bis zu Tripadvisor-Kommentaren. „Wir müssen die Bedürfnisse unserer Gäste besser kennenlernen“, sagt Bartomeu Deyà, Dekan der Tourismusfakultät an der UIB. „Früher wollten sie einfach nur Mallorca, heute wollen sie Bio-Mallorca, Fitness-Mallorca, Shopping-Mallorca.“ Man spürt, dass der 40-Jährige sich um den Ruf seiner Insel sorgt, die sich nicht leicht tut mit der Umsetzung der neuen Richtlinien. Das balearische Verwaltungsgericht etwa hat gerade die „Verordnung für zivilisiertes Miteinander“, das für das gesamte Stadtgebiet von Palma gelten sollte und im vergangenen Jahr in Kraft trat, wieder gekippt – vordergründig wegen fehlender Zuständigkeit der Stadt. De facto aber dürften die Proteste von Bürgern und Touristen für die Entscheidung mitverantwortlich sein. Die Benimmregeln schränkten nicht nur das Treiben an der Playa de Palma ein – verboten waren Straßenstrich, Massagedienste, Hütchenspiel oder Saufgelage -, auch Straßenkünstler, Skateboarder und spielende Kinder durften den öffentlichen Raum weniger nutzen.
Margalida Ramis, Sprecherin der Umweltgruppe GOB, spricht aus, was viele befürchten: dass Mallorca auf eine Krise zusteuert. Schlecht geklärte Abwässer, hoher Wasserverbrauch und die Entsorgung der Müllberge belasten im Sommer das Ökosystem der Inseln. Eine Region mit einer Millionen Einwohner und 5000 Quadratkilometern Fläche könne auf Dauer nicht 13,5 Millionen Besucher aushalten, sagt sie. Ein Beispiel sei der Naturstrand Es Trenc an Mallorcas Südküste. Dort sonnen sich die Touristen im Sommer Handtuch an Handtuch. „Der Sand ist mittlerweile so verhärtet, dass der Austausch mit den Dünen und den Wellen nicht mehr richtig stattfindet,“ sagt die 39-jährige Physikerin. Ramis vertritt eine Gruppe von Einheimischen, die ihre Insel nicht der Monokultur Tourismus überlassen will. „Wir dürfen unsere Identität nicht verleugnen“, sagt sie, „und nur noch das wertschätzen, was touristischen Nutzen hat.“
Anders sieht das der Geograf und Touristiker Joan Enric Capellà. Der 36-Jährige hat 2014 ein Unternehmen gegründet, das sich „Som“, „Wir sind“ auf Katalanisch, nennt. Er betreibt drei Strandhotels, in denen er mallorquinische Zitronen- und Orangenlimonade oder auf der Insel gerösteten Kaffee anbietet und den Besuchern die Region nahebringen will, beim Kräuterschnaps-Workshop zum Beispiel. Capellà entwickelt auch Tourismusprofile für Dörfer im Hinterland, Dörfer, die ihre Besucher bislang vor allem mit verschlossenen Fensterläden und anspruchslosen Bars empfangen haben. Er will dieses ländliche Mallorca vermarkten, das in gewisser Weise noch in einer vortouristischen Unschuld verharrt. Wenn alle Mallorquiner etwas vom Tourismus hätten, dann höre das Gerede vom Ausverkauf auf, sagt Capellà, der auch von einer Doppelmoral spricht: Viele Mallorquiner beklagten zwar den Tourismus. Auf der andern Seite hätten sie ein sehr bequemes Leben, weil ihre Familien mit den Strandtouristen ziemlich reich geworden seien. „Das ist für sie dann ein Selbstläufer.“
In Capellàs Heimatdorf Sa Pobla leben 12 000 Menschen, darunter viele Marokkaner. Das Bauerndorf exportiert seit fast hundert Jahren Kartoffeln. 19 Prozent des spanischen Exports stammen aus dem Ort in Mallorcas flacher Inselmitte. Er ist umgeben von Feldern, oft riecht es nach Kunstdünger. Das nahe gelegene Feuchtgebiet Albufera leidet unter Nitratbelastung und Wassermangel. Neuerdings bleiben die Vögel weg, trotzdem kommen in der Nebensaison immer mehr Birdwatcher. An Sa Pobla fahren die Touristen bislang vorbei. Capellà will das ändern. Er will die Reis- und Aal-Gerichte des Ortes bewerben, ein Besucherzentrum eröffnen und Volksfeste und Legenden bekannter machen. „Vorausgesetzt, die Einheimischen lernen Fremdsprachen und verbessern die Qualität ihrer Arbeit“, sagt er.
Die Milch importieren die großen Hotels lieber vom Festland. Da ist sie billiger
Die Umweltabgabe könnte nun Menschen wie Pep Cirer erfreuen. Der 51-Jährige ist Sa Poblas einziger Biobauer. Cirer bearbeitet mit seiner Frau knapp zwei Hektar Land, baut heimische Gemüse- und Obstsorten an, experimentiert mit Mikroorganismen. Er will, so sagt er, „der Erde ihr Leben zurückgeben und die Pestizidbelastung in der Luft nicht noch weiter steigern“. Cirers Kunden leben in Palma, wo er zweimal die Woche auf einem Markt verkauft. Die neue Abgabe für Nachhaltigkeit begrüßt er – solange sie Menschen zugute komme, die Mallorcas Naturreichtum wirklich erhalten. Dabei ist er einer der wenigen, die nichts von dem Touristen-Cent haben wollen.
Andere, wie der Milchbauer Baltasar Martí, sind da fordernder. Martí ärgert, dass er 15 Stunden am Tag Mallorcas Idylle aufrecht erhalte, während andere mit den Touristen leichtes Geld verdienten. Richtig wütend wird der 51-Jährige, wenn er erzählt, dass in den 32 Jahren, in denen er den Hof betreibt, noch kein Hotelier seine Milch kaufen wollte. „Die importieren Milch vom Festland, weil sie ein paar Cent billiger ist.“ Sein Hof mit 260 Milchkühen liegt an der Landstraße nach Porto Cristo, wo die bekannten Drachenhöhlen sind. Im Sommer saust ein Mietwagen nach dem anderen an seinen Feldern vorbei. Immer wieder halte ein Auto an, erzählt Martí. „Dann steigen die Urlauber aus und machen Fotos von unseren Strohballen.“
Quelle: Xing, Brigitte Kramer[content_block id=29782 slug=ena-banner]