Aufstieg und Fall einer Dynastie
Produktionsteam
Matthias Kaschig Inszenierung
Michael Böhler Bühne
Stefani Klie Kostüme
Michael Frei Musik
Roman Kuskowski Video
Sebastian Pircher Video
Carolin Losch Dramaturgie
Besetzung
Jörg Dathe Emanuel Lehman, Hans-Caspar Gattiker Herbert Lehman, Felix Knopp Henry Lehman, Bettina Riebesel Mayer Lehman, Marcus Signer Robert Lehman
Rezension:
Eine über 160-jährige Familiengeschichte, Dynastien Chronik, die sich über den amerikanischen Bürgerkrieg (1861 bis 1865), zwei Weltkriege und zumindest drei industrielle, digitale und gesellschaftliche Revolutionen erstreckt, in eine dreistündige Handlung zu verpacken und den Zuschauern zu vermitteln, erscheint ein fast aussichtsloses Unterfangen. Trotzdem stellte sich das Schauspielteam des Luzerner Theaters dieser Herausforderung und brachte das Schauspiel von Stefano Massini als Schweizer Erstaufführung auf die Bühne. Der Eindruck ist zwiespältig, das Ensemble, die Inszenierung und das Bühnenbild (inklusive Diaprojektionen) wie immer mehr als auf der Höhe der Aufgabe, die Handlung halt doch zu plakativ, reduziert auf das Feindbild des geldgierigen Bankers und den Lockruf des schnellen Profits und des gesellschaftlichen Anerkennung, verbunden mit dem Aufstieg in das Establishment. Symbolisch die drei, in den 1840er Jahren von Rimpar in Bayern, beschnittene Söhne eines jüdischen Viehhändlers, in die Vereinigten Staaten eingewanderten Brüder Lehmann. Heyum, hier Henry genannt, der Kopf (Stratege), Emanuel, der Arm (Macher) und Mayer, das Gemüse (der Unauffällige, Verbindende). Zusammen bauten sie nach und nach ein Imperium auf, immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort, dem untrüglichen Riecher für das Machbare, dem Instinkt für die weitere wirtschaftliche Entwicklung, der nötigen Risikobereitschaft bei Investitionen in noch unbekannte Geschäftszweige, der erforderlichen Zurückhaltung bei allzu unsicheren Erfolgsaussichten, manchmal auch einfach auf den schon rollenden Zug aufspringend. Sie waren auch der ersten, die erkannten: Ich kann jemandem Kampfflugzeuge und die dazu passende Munition verkaufen, dem jeweiligen Gegner Fliegerabwehrkanonen mit entsprechender Munition. Mit dem Erfolg wuchs auch die Gier nach noch mehr Geld, damit auch grössere Macht und mehr Einfluss. Die Welle der ungebremsten Euphorie und der allgemeinen Hysterie und der Hype über den weltweiten wirtschaftlichen Aufschwung, spülte die Lehman- Dynastie nach ganz oben, Generationen übergreifend. Als Mitbegründer der Wall Street waren sie auch Strippenzieher sowie Pioniere der Devise: Geld macht Geld, alles lässt sich vergolden. Zitat: Wir benutzen Geld, um Geld zu kaufen, um Geld zu verkaufen, um Geld zu verleihen, um Geld zu wechseln. Nicht die Arbeit bringt die grosse Rendite, sondern der Handel und die Einflussnahme auf denselben. Die Lehmans, noch in der Zeit der Sklaverei in die neue Welt gekommen, nutzten alle Ressourcen, manipulierten Menschen und Märkte, immer mit dem Ziel der Gewinnmaximierung, erschufen so eine Art Baal, dem Gott, dem man alles opfert, ob Privatleben, Familie, Ideale und als Quintessenz schlussendlich jegliche Moral und gesellschaftliche Verantwortung. Da wurden imaginäre Werte, ein monumentales, verschachteltes Konstrukt geschaffen, ein zeitgenössischer Turmbau zu Babel auf einem absolut instabilen Fundament. Obschon allen klar ist, dass das Ganze in sich zusammenstürzt, falls jemand den realen Gegenwert in Form von Geld einfordern würde, drehte sich das Karussell unaufhörlich weiter und entwickelte eine Eigendynamik, die nicht mehr zu stoppen ist und auch durch die Verursacher nicht gestoppt werden wollte. Zu sehr war man trunken von der vermeintlichen Geldmaschine, vom goldenen Kalb, von der eierlegenden Wollmilchsau. Da erste Mal, bei der Weltwirtschaftskrise, die im Oktober 1929 begann, ging alles nochmal gut, da alle das Spiel trotzdem weiter spielen wollten, nachdem sich einige Trader das Leben genommen hatten und einige Posten bereinigt waren. Im September 2008 hingegen war das grosse Spiel der Leman Brothers definitiv zu Ende, der instabile Turm stürzte in sich zusammen, wie sieben Jahre zuvor die Twin Towers und riss auch viele Kleinanleger, vor allem Immobilienbesitzer, mit ins globale Elend. Die Hinterlassenschaft sind unglaubliche 613 Milliarden Dollar Schulden. Zum Vergleich:16.77 Billionen USD beträgt das *Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA im Jahre 2013. Über 70% der involvierten Banker sind heute noch in ähnlichen, führenden Positionen in andern Geldinstituten tätig, weshalb sich auch kaum signifikant etwas geändert hat, ausser, dass vielleicht nicht mehr so geprotzt wird wie vorher. Bei Boni und sonstigen Vergütungen machen aber die Arroganten keinerlei Abstriche, während ein Grossteil der Anleger sich mit grad mal 17 Prozent ihrer Forderungen abspeisen lassen mussten. Pikant und Ironie des Schicksals: zum eigentlichen Zeitpunkt des Crashs, war kein Mitglied der Familie Lehman mehr an führenden Positionen der Bank beschäftigt. Auf der Bühne des Luzerner Theater wurde das Werk brillant interpretiert von den hervorragenden Schauspielern, die alle mindestens drei verschiedene Rollen spielten und verblüffend mühelos zum Beispiel die Metamorphose vom Banker zur umworbenen Braut schafften. Marcus Signer glänzte mit hinreissender Mimik bei der Verkörperung von Pauline Sondheim. Die Inszenierung schaffte eine Dichte, ohne überladen zu sein, die Story wurde real übermittelt und schaffte Spannung, obwohl der Ausgang der Geschichte ja allen schon vorher bekannt war. Das Bühnenbild und die Requisiten dem Lauf der Geschichte angepasst, zu Beginn ( bei der Einwanderung der Lehmans) agierten die Protagonisten in weissem Outfit, Boxershorts und Unterleibchen, später ( nach dem Aufstieg) in entsprechender Bankerkleidung, zuerst die Fassade eines einfachen Kurzwaren/Handelsladens in Montgomery (Alabama) zum Schluss die angedeutete Skyline Manhattans, in deren Zentrum die Wall Street, also auch die New York Stock Exchange (NYSE),die größte Wertpapierbörse der Welt, beheimatet ist. Auch die Darstellung der unterschiedlichen Charaktere war sehr eindrücklich und überzeugend, teilweise mit minimalen Mitteln, einem Bart oder einem Hut, schufen sie eine glaubwürdige Verwandlung in eine völlig neue Person. Das war fast schon genial. Auch die überraschende Szene mit dem Hochzeitskleid ist sehr gelungen und originell. Eigentliche Bilanz wurde nicht gezogen, das Ende offen gelassen und der Zuschauer wird genötigt, seine persönliche Konsequenz aus diesem „Monopoly“ der abgehobenen, weltweit tätigen Finanzhaien zu ziehen. Einem Spiel, bei dem die Gewinne von den Spielern vereinnahmt, die Verluste aber verallgemeinert werden.
Heute ist es ja noch einfacher, jegliche Verantwortung zu negieren, wird doch der Börsenhandel grossmehrheitlich von Grossrechnern aufgrund von Algorithmen erledigt, des sogenannte das „Algo-Trading“. Computer, Server und Netzwerke sind aus dem heutigen Wertpapiergeschäft nicht mehr wegzudenken. Während sich die Marktakteure in den Anfangsjahren der Aktienbörse noch persönlich gegenüberstanden, werden Wertpapiergeschäfte heute elektronisch und anonym abgewickelt. Es ist also so, dass Transaktionen innerhalb von 250 Mikrosekunden abgewickelt werden. Zum Verständnis: Das ist ein Viertausendstel einer Sekunde.
Fazit: Eine vollumfänglich gelungene Adaption einer eigentlich einfachen Geschichte vom Aufstieg und Fall einer Dynastie, wie sie auch bei Monarchien, Diktaturen usw. vorher und nachher vorkamen. Wie ein Blick in den Wirtschaftsteil einer Zeitung zeigt, wird nach wie vor unverantwortlich spekuliert, ob mit Gütern des täglichen Gebrauchs, Waffen etc.. Warentermingeschäfte mit Lebensmitteln verstärken die Not grosser Bevölkerungsteile, die sonst schon unter Hunger zu leiden haben Absehbar, dass es auch bei einem allfälligen weiteren Börsenabsturz wieder die kleinen Leute besonders hart trifft und die Verursacher einmal mehr ungeschoren und noch vermögender davonkommen.
Vielleicht wäre die zustande gekommene http://www.vollgeld-initiative.ch/ ein taugliches Mittel (zumindest in der Schweiz), um dieses Roulette mit dem Eigentum Unbeteiligter auszubremsen, oder zumindest einzudämmen.
*http://de.statista.com/statistik/daten/studie/14418/umfrage/bruttoinlandsprodukt-in-den-usa/
Kleine Fotodiashow der Produktion von Tanja Dorendorf / T+T Fotografie
Text: leonardwuest.ch
Fotos: www.luzernertheater.ch Tanja Dorendorf / T+T Fotografie
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