Interpreten und Konzertprogramm
- Yannick Nézet-Séguin (Leitung)
- Sol Gabetta (Violoncello)
Peter Tschaikowski
„Francesca da Rimini“ Sinfonische Fantasie e-Moll op. 32
Dimitri Schostakowitsch
Konzert für Violoncello und Orchester g-Moll op. 126
Sergei Prokofjew
Sinfonie Nr. 7 cis-Moll op. 131
Rezension:
Das Philharmonische Orchester Rotterdam erwies sich als wahre Trouvaille, relativ unbekannt, hat es in sich den letzten zwei Jahrzehnten unter der Leitung von Valery Gergiev, amtierte von 1995 bis 2008 und dessen Nachfolger, dem jetzigen Leiter Yannick Nézet – Séguin, kontinuierlich weiterentwickelt und sein internationales Renommee enorm gesteigert und ist inzwischen, seit 2010, ständiges Residenzorchester am Pariser Théâtre des Champs-Elysées.
Äusserst motiviert, kraftvoll und spielfreudig begaben sie sich in Dantes zweiten Kreis der Hölle im „Inferno“ der „Göttlichen Komödie“, das Tschaikowski musikalisch umgesetzt hatte mit seiner sinfonischen Fantasie in E-Moll „Francesca da Rimini“. Nach dem Zerwürfnis mit seinem Librettisten, hielt sich der Komponist an Dantes Originaltext und an Zeichnungen von Gustave Doré. Die Höllensturm Passagen im ersten Satz umrahmen die Liebeserzählung Francescas und steigern sich kontinuierlich, besonders bedrohlich instrumentiert durch den drohenden Bassgang, die sich dazugesellenden übrigen Streicher und Holzbläser, komplettiert durch das Holz und die Schlagwerke. Durch die manisch beschworene Tonfolge c – h im Bass rollt erneut eine Steigerungswelle näher, die allmählich abebbt und übergeht in den langsamen Mittelteil. Hier steht die hervorragende Soloklarinette für die Stimme Francescas, deren wehmütiger Gesang zuerst von den Geigen, dann von Flöten und Celli übernommen wird, dies alles ohne eigentliche thematische Entwicklung. Tschaikowski intensiviert die Klarinettenmelodie in gut russischer Tradition durch fabulöse Klangeffekte und melodische Metamorphosen, die aber wieder dem Wirbelwind weichen müssen. Trotzdem gelingt es Tschaikowski die Überlegenheit der Musik über die bildenden Künste deutlich zu machen, indem er auch die Gefühle Francescas zu vermitteln mag. Das sachkundige Publikum würdigte diesen musikalischen Leckerbissen entsprechend mit stürmischem, langanhaltenden Applaus.
Dann erwartete uns nicht nur ein akustischer, sondern auch optischer Genuss, als die attraktive argentinisch – schweizerische Doppelbürgerin Sol Gabetta mit ihrem Violoncello die Szene betrat. Sie spielt u. a. ein Guadagnini-Cello von 1759, das ihr vom Rahn Kulturfonds als Leihgabe zur Verfügung gestellt wird. Beim Konzert von Schostakowitsch, das eher kammermusikartig gehalten ist, also reduzierte Tonsprache, Verzicht auf üppige Klangmalerei zugunsten transparenter Durchhörbarkeit, konnte Gabetta ihr ausgeprägtes Flair für Tremolo, feinziselierte Tonmodulation und Wandelbarkeit ausspielen. Dies zeigte sich schon 2004, als sie internationales Aufsehen erregte bei ihrem Debüt am Lucerne Festival, als Gewinnerin des „Crédit Suisse Young Artist Award“, mit den Wiener Philharmonikern unter Valery Gergiev. Sol Gabetta zog das Publikum in ihren Bann. Angespannt und fasziniert folgte das Auditorium der Künstlerin durch das anspruchsvolle, aufwühlende Werk des russischen Komponisten. Nach dem furiosen Finale wogte eine tosende, nichtendenwollende Applauswelle durch den Tonhalle Saal, die die Solistin dann noch zu einer Zugabe bewog. Gutgelaunt begab man sich darauf während der folgenden Pause in die Foyers, wo angeregt diskutiert wurde. Die für das Kinderradio Moskau als Kompositionsauftrag geschriebene Sinfonie Nr. 7 von Sergej Prokofjew war nach der Pause programmiert. Da Prokofjew spätestens seit „Peter und der Wolf“ aus dem Jahre 1936 als Spezialist für anspruchsvolle Kinderkompositionen galt und sich auch gerne in Kindheitserinnerungen schwelgte, waren die idealen Voraussetzungen gegeben, obschon er selbst später hinterfragte, ob diese Musik nicht zu einfach sei, was aber durch die breite Anerkennung des Werkes, auch von Komponistenkollegen, zum Beispiel Schostakowitsch, negiert wurde. Prokofjew wob Motive seiner Ballettkomposition „Die Sage von der steinernen Blume“ ebenso in das Werk ein wie Fragmente der Musik sowjetischer Pioniere. Mal orchestriert er grimmige, brummende Basssequenzen von Celli und Kontrabass, dann wieder in dünner Höhenlage durch die Bläser, manchmal hektisch und aggressiver werdend, mündet das Finale mit der farbenprächtigen Wiederaufnahme des Hauptthemas zu einem versöhnlichen Ende. Hier entlockte der kanadische Dirigent Yannick Nézet – Séguin seinem Orchester mit prägnanten Gesten und vollem Körpereinsatz eine grandiose Virtuosität, die das Publikum mehr als zu überzeugen vermochte. Ein, wahrscheinlich den wenigsten Anwesenden bekanntes Orchester hat seine Visitenkarte abgegeben und wird bleibenden Eindruck hinterlassen. Dies demonstrierte auch der langanhaltende Schlussapplaus. Nach langer, fast zu langer Zeit gönnten uns die Holländer dann doch noch eine Zugabe.
Text: www.leonardwuest.ch
Fotos: http://www.migros-kulturprozent-classics.ch/de/Home
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