Bern (ots) – «Schweiz am Sonntag» verletzte Geri Müllers Intimsphäre. Die «Schweiz am Sonntag» hat mit ihrem ersten Artikel über Geri Müllers Online-Chat mit einer jungen Frau den Journalistenkodex verletzt. Der Schweizer Presserat heisst eine Beschwerde von 18 Parlamentarierinnen und Parlamentariern gut.
Unter dem Titel «Geri Müller: Nackt-Selfies aus dem Stadthaus» hatte die «Schweiz am Sonntag» am 17. August 2014 über einen privaten Online-Chat zwischen Badens Stadtammann Geri Müller und einer jungen Frau berichtet: Müller habe an seinem Arbeitsort und teilweise während der Arbeitszeit Sex-Chats geführt. Eingangs schrieb das Blatt über einen Polizeieinsatz der Stadtpolizei Baden, der zur vorübergehenden Verhaftung der Frau führte. Gemäss zuverlässigen Quellen sei es Müller gewesen, der die Polizei alarmiert habe.
Im Journalistenkodex heisst es: «Jede Person – dies gilt auch für Prominente – hat Anspruch auf den Schutz ihres Privatlebens.» In langjähriger Praxis hat der Presserat immer wieder festgehalten, dass die Privatsphäre von Personen des öffentlichen Lebens grundsätzlich geschützt ist, soweit ihre Funktion in der Öffentlichkeit nicht unmittelbar betroffen ist. Ein überwiegendes öffentliches Interesse an einer Publikation ist in aller Regel zu verneinen, wenn nicht nur die Privatsphäre, sondern gar die Intimsphäre betroffen ist.
Die «Schweiz am Sonntag» argumentierte, Geri Müller sei als Mitglied des Nationalrats eine absolute Person der Zeitgeschichte. Soweit ein sachlicher Zusammenhang mit seiner konkreten Tätigkeit als Stadtoberhaupt respektive seiner öffentlichen Funktion bestehe, seien Eingriffe in seine Privatsphäre – und ausnahmsweise in die Intimsphäre – zu dulden. Demgegenüber waren die Beschwerdeführer der Ansicht, Müller habe sich nicht fehlverhalten, der Chat sei einvernehmlich zwischen zwei Erwachsenen erfolgt.
Für den Presserat ist nicht alles, was in Amtsräumen passiert, von öffentlichem Interesse. Der Inhalt eines intimen Chats gehört der Intimsphäre an, es geht nicht an, dass Medien über den Inhalt eines solchen Chats berichten. Auch dann nicht, wenn dieser allenfalls während der Arbeitszeit geführt wurde.
Hingegen steht für den Presserat ausser Zweifel, dass Fragen zu einem allfälligen Amtsmissbrauch in Bezug auf den Polizeieinsatz gestellt werden dürfen und müssen. Allerdings nur, wenn sich solche Vorwürfe belegen lassen. Dies aber konnte die «Schweiz am Sonntag» nicht.
Jahrheft 2016
An seiner Jahresmedienkonferenz hat der Presserat auch sein neues Jahrheft vorgestellt (http://www.presserat.ch/Documents/Jahrheft2016_d.pdf). Es enthält den Jahresbericht mit den wichtigsten Leitfällen des letzten Jahres. Ein weiterer Beitrag gibt Antwort, ob es zulässig war, den Namen des Piloten der Germanwings-Maschine, welcher 2015 für den Absturz des Flugzeugs und den Tod von 149 Menschen verantwortlich war, zu nennen. Zwei Beiträge befassen sich mit der Rolle der Journalisten bei der Publikation der Panama Papers.[content_block id=29782 slug=ena-banner]