Produktionsteam Inszenierung: Sylvia Sobottka Bühne und Kostüme: Manuel Gerst Dramaturgie: Hannes Oppermann Musik: Mark Schröppel
Besetzung Mit: Sofia Elena Borsani, Michèle Breu, Adrian Furrer, Wiebke Kayser, Mirza Šakić
Rezension:
Das 2010 preisgekrönte Buch „Tauben fliegen auf“ von Melinda Nadj Abonji wird im Luzerner Theater auf die Bühne gebracht. In Absprache mit der Autorin hat die Regisseurin Sylvia Sobottka einzelne Passagen ausgewählt. Diese werden so gesprochen, wie sie geschrieben sind, in direkter und indirekter Rede, abwechslungsweise von den fünf Schauspielern und oft unabhängig von ihrer Rolle. Es ist keine Dialogfassung, eher ein semi-konzertantes Live-Hörspiel, wie es Dramaturg Hannes Oppermann nennt.
Die Bühne in der Box ist nicht wirklich eine Bühne: Stühle jeglicher Art – vom ziemlich ramponierten Camping-Stuhl über Plastik-Sessel bis hin zum eleganten Polsterstuhl – sind so angeordnet, dass in der Mitte ein viereckiger Platz entsteht, ein etwas altertümlich wirkender hellgrüner Teppich auf dem Boden, immer noch dieser leichte Holz-Geruch in der Luft. Die Schauspieler bewegen sich bereits vor Beginn des Stücks frei zwischen den Besuchern und setzen sich anschliessend verteilt auf den Raum direkt zu ihnen.
Wechsel zwischen zwei Welten
Die Geschichte beginnt im Dunkel und erlaubt eigene Bilder im Kopf: Der schokoladenfarbene Chevrolet mit der Familie Kocsis auf dem Weg in die alte Heimat Vojvodina, die Pappelallee, die erbarmungslos brennende Sonne, die Einfahrt zum Haus, Mamika und ihre weichen Haare. Das grelle Licht holt einen danach zurück in die saubere Schweiz, ins Café Mondial, welches die Familie übernehmen konnte und nun an der Goldküste betreibt. So pendelt die Geschichte der Familie, welche sich in der Schweiz hochgearbeitet hat, hin und her, zwischen alter und neuer Heimat. Die ausgewählten Passagen geben Themen und Essenz des Buches voll und ganz wieder.
Für Tochter Ildiko geht dieses Leben auf die Dauer aber nicht auf. Sie will nicht unsichtbar sein, will ihre eigene Meinung haben können, lehnt sich auf gegen die Unterwürfigkeit gegen die Fremdenfeindlichkeit, welche sie je länger je mehr spürt. Und so verlässt sie die Familie, Mutter und Vater stehen machtlos da und schauen ihr nach. Eine eindrückliche Szene, wenn Ildiko im grellen Scheinwerferlicht eines Lieferwagens draussen auf dem Quai «Das Wesentliche ist unübersetzbar » auf die Scheibe sprayt und dann beginnt, die Stühle des Saals ins Freie zu räumen.
Grandiose Leistung
Mit wenig Mitteln und sehr gekonnt eingesetzten Lichteffekten werden Bilder mit grosser Intensität geschaffen. Der teilweise gewollte Miteinbezug der Strassen-Szene vor dem Fenster – die beleuchteten Gebäude an der Reuss, die Lichter auf dem Wasser, gaffende Passanten – bringen eine zusätzliche Dimension ins Geschehen. Das Publikum wird miteinbezogen: Einige Besucher werden aufgefordert, ihre Stühle zu verlassen. So sind sie vorübergehend den Blicken der anderen ausgesetzt und müssen ihren Platz ungewollt wechseln. Die Schauspieler befinden sich oft mitten unter dem Publikum, sitzen oder stehen so nahe, dass eine zusätzliche Betroffenheit aufkommt. Ihre Leistung ist gewaltig, das Textvolumen riesig. Sofia Elena Borsani überzeugt als aufmüpfige Ildiko, Michèle Breu gibt eine lebenslustige Nomi. Vor allem aber erstaunt die sonst für wort- und emotionsgewaltige Rollen bekannte Wiebke Kayser: Unendlich sanft, mit manchmal einem stillen, leisen Lächeln spielt sie meisterhaft die demütige, unscheinbare Mutter.
Kleine Fotodiashow der Produktion von Ingo Höhn, Luzerner Theater:
Text: www.gabrielabucher.ch Fotos: luzernertheater.ch