Besetzung und Programm:
Spiegel I–VII
Schweizer Erstaufführung
Rezension:
Die im Programm aufgeführte kurze Einführung in das Werk, konnte, aufgrund eines kurzfristig aufgetretenen kleineren medizinischen Problems, des dafür vorgesehenen Wolfgang Rihm, dem Gesamtleiter der Lucerne Festival Academy, so nicht stattfinden. So kamen wir zur sehr seltenen Ehre, dass der Komponist Friedrich Cerha (*1926) selbst, der sein Werk in den vergangenen Tagen mit dem Dirigenten Matthias Pintscher und dem Orchester erarbeitet hatte, ein paar interessante Erläuterungen zu seiner Komposition machte, wie zum Beispiel, dass er die sieben «Spiegel» in den Sechzigerjahren ohne Orchester oder Auftrag schrieb – und konnte so entsprechend aus dem Vollen schöpfen, ohne Rücksicht auf Praktikabilität., konzipiert als eine Art «Welttheater» über die «Gattung ‹Mensch›». Früher waren schon einzelne „Spiegel“ uraufgeführt worden, in Metropolen wie Warschau, Stockholm, München usw. Die Uraufführung des ganzen, siebenteiligen Zyklus erfolgte dann am 9.Oktober.1972 im Opernhaus Graz / Österreich durch das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter seiner eigenen Leitung. Heute Abend fände jetzt die schweizerische Uraufführung des gesamten Zyklus statt. «Die Konzertmeister haben nichts zu Konzertmeistern», sagte der Komponist, deshalb sitze dieser heute nicht, wie üblich, in der ersten Reihe, nah beim Dirigenten, sondern in der hintersten Reihe links. Weiter erzählte Cerha, er habe gestern im Museum Rosengart in Luzern ein Bild von Paul Klee gesehen mit einem siebenarmigen, jüdischen Leuchter und habe sofort eine Art Seelenverwandtschaft empfunden. So sei auch seine Musik frei gezeichnete Abstraktion, den bekannten Malern (z.B. Gerhard Richter, Mark Rothko usw.) jener Epoche nachempfunden
Eigene Biografie prägte wohl unbewusst den „Spiegel“ Zyklus
Aufgrund seiner eigenen Biografie, seien wahrscheinlich unbewusst auch Kriegserlebnisse ins Werk geflossen. Cerha, bekennender Antifaschist, wurde 1943 als 17jähriger von der Wehrmacht zwangsrekrutiert, erlebte die Schrecken des Krieges an zwei verschiedenen Fronten und desertierte zweimal.
Nach diesen kurzen Erklärungen überliess Cerha den Musikern die Bühne und setzte sich ins Publikum.
Im Vergleich zum Konzert vom Vortag mit dem Asian Youth Orchestra mit 115 Musikern, standen für dieses Konzert noch mehr, nämlich gleich 135 Musiker des Lucerne Festival Academy Orchestra auf der Bühne des nicht ganz vollbesetzten Konzertsaales des KKL in Luzern.
Jeder Satz (Spiegel) beruft sich auf den Vorhergehenden
Laut Werksbeschreibung beruft sich jeder Satz auf den voraus gegangenen, was aber kaum herauszuhören ist. Einzig, der siebte (letzte) Spiegel, nimmt eine Art Motiv des ersten wieder auf. Matthias Pintscher, selbst auch ein bekannter Komponist, übernahm souverän das Zepter. Schon die ersten Töne liessen erahnen, dass uns da ganz aussergewöhnliche Klänge erwarteten. Da war nirgendwo auch nur der Hauch eines Leitthemas, fast nichts Kollektives, der Komponist lässt jedes einzelne Instrument eigenständig agieren, will so jedem Musiker einen Teil Eigenverantwortung übertragen. Das Resultat sind skurrile sphärische Klangwelten, aus denen man tatsächlich jedes einzelne Instrument heraushört. Manchmal ein fast kakophonisches Chaos, das trotzdem irgendeine Ordnung hat. Die ist aber nur schwer zu ergründen, zu wirr sind die Sequenzen, aber doch mit einer ganz eigenartigen Schönheit. Man muss es ja nicht entwirren um zu begreifen, sondern gut zuhören und verstehen.
Satz für Satz führt der Komponist den Zuhörer in die Irre, lockt ihn auf eine Fährte, die es gar nicht gibt. Da trillert mal brillierend eine Querflöte, die abrupt von einer furzenden Tuba unterbrochen wird, die wiederum von feinen Harfenglissandi des Feldes verwiesen wird, sich aber wenig später resolut wieder zurückmeldet, nachdem die Streicher noch ein paar Hummelflug – ähnliche Sequenzen eingefügt hatten. Spiegel III beinhaltet auch sehr kräftige Schlagwerkpassagen (insgesamt sind zwölf Schlagzeuger im Orchester), die die Ohren doch recht strapazieren. Einige male beim Tutti, nimmt das Klanggemälde fast mahlersche Dimensionen an.
Ungewöhnlich auch, beim vierten Spiegel, die Synthesizer-Töne die markante Blechbläser-Fanfaren kontrapunktierten und in einer Klangorgie aufbrachen.
Im Vergleich zum „Spiegel“ war Arnold Schönberg in seinen Kompositionen fast „harmoniesüchtig“. Bei Cerha erwartet Dich das Unerwartete und auch dies überrascht noch.
Dem Auditorium gefielen die ungewöhnlichen Töne, auch, weil sie in unnachahmlicher Art vom Orchester der Lucerne Festival Academy interpretiert wurden. Das bestätigt auch wieder einmal mehr, welch zentrale Position der Academy als Plattform für die Moderne zukommt. Derr Applaus war riesig und steigerte sich zu einer „Standing Ovation“, zu der Matthias Pintscher den 91 jährigen Komponisten nochmals auf die Bühne bat, um seinen Sonderapplaus abzuholen.
Text: www.leonardwuest.ch Fotos: www.lucernefestival.ch
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