Sinfoniekonzert 7 LUCERNE FESTIVAL ORCHESTRA, Riccardo Chailly Dirigent, 18. August 2017, besucht von Léonard Wüst

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LUCERNE FESTIVAL ORCHESTRA c Priska Ketterer

Besetzung und Programm:

LUCERNE FESTIVAL ORCHESTRA

Riccardo Chailly  Dirigent

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847)
Ouvertüre und Auszüge aus der Bühnenmusik zu Shakespeares Sommernachtstraum opp. 21 und 61
Pjotr Iljitsch Tschaikowsky (1840–1893)
Manfred-Sinfonie h-Moll op. 58

Rezension:

Riccardo Chailly, Dirigent c Priska Ketterer

Riccardo Chailly steht mitten in seiner zweiten Saison als Leiter des Lucerne Festival Orchestra und ist, wie man hört, angekommen, geschätzt und unumstritten. Dass er nicht nur das Werk seines Ziehvaters Claudio Abbado fortführt, sondern auch starke eigene Akzente setzt, zeigte das diesjährige Eröffnungskonzert, wo er, zum allgemeinen Erstaunen, ein reines Richard Strauss Konzert darbot (Also sprach Zarathustra, Tod und Verklärung, Till Eulenspiegels lustige Streiche). Vielleicht lebte er so das Motto des diesjährigen Festivals, das schlicht „Identität“ heisst. Chailly erläuterte einmal in einem Gespräch über die Zukunft des Orchesters, er wolle Werke anderer, weniger gespielten Komponisten aufführen als sein Vorgänger, dessen Mahler-Zyklus er letztes Jahr mit der ‘Symphonie der Tausend’ (Chailly widmete diese Claudio Abbado), aber vervollständigte und so dessen Vision umsetzte, die dieser mit dem ‘Lucerne Festival Orchestra’ selbst nicht zu Ende führen konnte.

Folgerichtig stand mit Mendelssohns „Sommernachtstraum“ ein leichteres, mit Tschaikowskys „Manfred Sinfonie“ ein eher düsteres Werk auf dem Programm.

Das Publikum begrüsste den Dirigenten mit viel Applaus, gar Bravorufen, als er die Bühne betrat und sich zu seinem Orchester gesellte.

Der Geniestreich des 17 jährigen Felix Mendelssohn

Am 4. Juli 1826 teilte Felix Mendelssohn seiner Schwester Fanny schriftlich mit: heute oder morgen will ich „midsummernight`s dream“ zu träumen anfangen. So komponierte er die Ouvertüre vom 6. Juli bis 28. August, während die 13 Nummern umfassende Bühnenmusik erst 17 Jahre später entstand. Diese dann im Auftrag von König Friedrich Wilhelm IV. von Preussen, während Mendelssohns Amtszeit als Generalmusikdirektor in Berlin.

Die musikalische Geschichte von Elfen und Liebenden

Beginnend mit dem luftigen Klangzauber der Elfenmusik mündet die Ouvertüre ins massiv strahlende, fast etwas herrisch interpretiert, bis die Bläser die aufgebrachte Streichersektion wieder beruhigen und sich alles harmonisch vereint. Im folgenden Scherzo lässt der Dirigent die Streicher eingangs hüpfen, rhythmisch harmonisch das Motiv aufbauen, bevor die G Moll Tonart auch etwas bedrohlichere Töne hervorbringt, schliesslich sind auch Elfen nicht immer nur freundlich gesinnt. Das darauffolgende „Intermezzo“ versinnbildlicht die Irrungen und Wirrungen der Liebenden in fast Schumann`scher Melodik und mutet recht simpel an. Dies im Gegensatz zum romantischen „Notturno“ das sphärisch dicht das Innenleben der Liebenden widergibt, bis sich bei der Hochzeit von Theseus und Hippolyta im „Hochzeitsmarsch“ alles entlädt.

Ein gefundenes Fressen in Form von Tönen für die Trompeter um Reinhold Friedrich und die andern Bläser dieser „Marsch“, den Chailly majestätisch durch den Konzertsaal paradieren lässt und bei dem das Orchester aus den Vollen schöpfen kann. Das Auditorium beklatschte diese Demonstration heftig, durchsetzt mit einzelnen Bravorufen und beorderte so den Dirigenten noch einige Male auf die Bühne zurück. Sonderapplause gab es dann auch noch für die einzelnen Sektionen, also Bläser, Schlagwerke, Streicher abgerundet nochmals von einem Applaus fürs Gesamtorchester.

 

Tschaikowskys „Manfred Sinfonie“ im zweiten Konzertteil

Der Komponist hatte ein zutiefst gespaltenes Verhältnis zum Stoff von George Gordon Lord Byron, das in vollständiger Form erstmals im Juni 1817 erschien. Es zählt zu den wichtigsten Werken nicht nur Byrons, sondern der ganzen Romantik.

Die Grobskizzierung zu „Manfred“ erstellte Tschaikowsky anlässlich des Besuches seines schwer lungenerkrankten Freundes und ehemaligen Geliebten Jossif Kotek auf dem „Zauberberg“ in Davos. Erst im April 1885 dislozierte er in sein Sommerhaus in Maidanowo bei Klin und begann mit der Arbeit an der Sinfonie, zu der ihn sein Kollege Mili Balakirew bereits im Herbst 1882 angeregt hatte. Dieses intensive Schaffen dauerte bis im September, dann war das Werk fertig und wurde am 11. März 1886 in Moskau uraufgeführt. Diese Zerrissenheit des Komponisten widerspiegelt sich in der gesamten Partitur und folgt nicht unbedingt genau der Vorlage. So gestaltete er für das Finale eine religiöse Bedeutung und der Tod Manfreds wird umgedeutet. Viel weist darauf hin, dass Tschaikowsky sich mit dieser Auslegung selbst eine Art Absolution erteilen will, gab er sich doch an vielem eine Mitschuld, was in seiner nahen Umgebung traurig dramatisches geschehen war. ( zum Beispiel der Tod von Eduard Sack, eines ehemaligen Schülers, der sich mit 19 Jahren das Leben nahm)

Präzisionsarbeit in höchster Vollendung

Es gelang Riccardo Chailly, diese Nuancen heraus zu arbeiten, ohne die Dramatik zu überreizen. Zu Beginn verleiht das dunkle Leitmotiv mit den Dissonanzen dem Helden die musikalische Identität, die fast schmerzlich herausmodelliert wird, bevor sich eine expressive Phrase voller Streicher und eine obsessiv kreisend bohrende Triolenfigur dazu fügt. Der Chefdirigent verfügt mit dem „Lucerne Festival Orchestra“ über einen einmaligen, kongenialen Klangkörper, der die Intuitionen des Chefs eins zu eins umzusetzen weiss, sei es im Gesamtbild, wie auch in Solopassagen, wo sich besonders die Bläser in Szene setzen konnten und brillierten. In den bildhaft breit ausgemalten Mittelsätzen schälte Chailly gar die Harfen fein heraus, ohne dass sich das Orchester zu sehr zurücknehmen musste. Präzisionsarbeit in Vollendung. Eindrücklich das Finale mit den Orgelklängen die Tschaikowsky als eine Art Fanal dem Orchester zufügte.

Das Auditorium würdigte die Protagonisten mit langanhaltendem stürmischen Applaus und einzelnen Rufen wie. Bravo Maestro! Zu einer „Standing Ovation“ reichte es aber nicht ganz.

 Fazit des Konzertes in Bezug zum angestrebten  Richtungswechsel

Ein sehr schönes, solides und ausgewogenes Konzert, aber (noch) nicht das berauschende Erlebnis mit dem Aha Effekt. Man wird sehen, vor allem hören, ob Chailly und das Orchester es unbeschadet schaffen, diese Neuausrichtung voll und schlussendlich erfolgreich durchzuziehen. Die Voraussetzungen dafür sind vielversprechend, ist doch das treue Lucerne Festival Publikum immer offen für Neues, aufgeschlossen und neugierig gegenüber Innovationen, zumindest solange diese nicht total revolutionär oder gar verstörend sind.

Die bewährten Klassiker fallen ja nicht aus dem Festival Programm, sondern werden weiterhin von Gastorchestern immer noch interpretiert. So ist halt jeder auf der Suche nach seiner Identität, die im Falle des Lucerne Festival Orchestra eine etwas neue vielschichtigere werden soll. Später wird man sehen, vielmehr hören, ob es Riccardo Chailly gelingt, seine Mitmusiker auf den, von ihm angestrebten differenzierten Weg zu führen und so, nach der „Ära Abbado“, eine „Ära Chailly“ zu etablieren. Die Akzente sind gesetzt, die Fixpunkte klar markiert, die Duftmarke platziert. Bleibt abzuwarten, ob die Lucerne Festival Academy unter seinen Leitern Wolfgang Rihm und Matthias Pintscher den Intentionen des Maestro folgt und ihre Musiker mit entsprechenden Werken so vorbereitet, dass später eine nahtlose Integration gewährleitet ist. Spätestens in Derr nächsten, also dritten Saison, wird Riccardo Chailly die Karten ganz auf den Tisch legen müssen, ober er den totalen Umbruch will, oder zwischendurch sicherheitshalber doch ab und zu auf altbewährtes zurückgreift.

 

Text: www.leonardwuest.ch Fotos: www.lucernefestival.ch

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