Kinder und Jugendliche werden sowohl durch die UNO-Kinderrechtskonvention als auch durch das Schweiz Recht besonders geschützt. Im Zentrum steht das Wohl des Kindes. Das muss gerade auch für unbegleitete Kinderflüchtlinge gelten. In der Schweiz gibt es jedoch im Umgang mit Kinderflüchtlingen offenkundige Missstände und gravierende kantonale Unterschiede. Verbesserungen sind dringlich. Diese betreffen die Empfangs- und Verfahrenszentren (EVZ) des Bundes, die Unterkunft und Betreuung in den Kantonen sowie Schule und Ausbildung.
In den letzten Jahren hat die Zahl der Kinderflüchtlinge in der Schweiz stark zugenommen. Während bis 2014 jeweils einige hundert unbegleitete Minderjährige in der Schweiz ein Asylgesuch stellten, stieg die Zahl im Jahr 2015 auf über 2700. Im Jahr 2016 reisten weitere 2000 unbegleitete Kinder und Jugendliche in die Schweiz ein. Insgesamt hielten sich Ende 2016 ungefähr 5800 Kinderflüchtlinge in der Schweiz auf. Diese stammten zum grössten Teil aus Eritrea (2351), Afghanistan (1424), Somalia (409) und Syrien (314).
Die heute bestehenden Mängel im Umgang mit Kinderflüchtlingen lassen sich den drei Bereichen Empfangs- und Verfahrenszentren, Unterkunft und Betreuung in den Kantonen sowie Schule und Ausbildung zuordnen. In den Empfangszentren betreffen die Mängel vor allem das Verfahren. So sind die Informationen für die Kinderflüchtlinge ungenügend, Hinweise zum Asylverfahren, zur Vertrauensperson, die durch das Gesetz vorgeschrieben ist, und zu den Rechten der Kinder in der Schweiz fehlen. Sodann finden die Erstbefragungen im Empfangs- und Verfahrenszentrum ohne vorgängige Beratung und ohne Anwesenheit der Vertrauensperson statt. Drittens werden mit zweifelhaften Methoden der Altersbestimmung immer wieder Minderjährige zu Volljährigen gemacht und damit die Garantien der Kinderrechtskonvention ausgehebelt.
Schule und Ausbildung als Schlüssel zur gesellschaftlichen Integration
Bei der Unterkunft und der Betreuung von Kinderflüchtlingen bestehen nach wie vor eklatante Unterschiede zwischen den Kantonen. In einigen Kantonen sind die Unterkünfte sehr gross und beherbergen bis zu 60 Kinder und Jugendliche. Sozialpädagogische Konzepte fehlen, ebenfalls geschultes Personal. In anderen Kantonen wiederum werden die Kinderflüchtlinge zwar in alters- und bedürfnisgerechten Unterkünften (Pflegefamilien, Wohnheime, begleiteten Wohngruppen) untergebracht und von sozialpädagogisch ausgebildetem Personal betreut. Aber dabei kommen tiefere Betreuungsschlüssel und Tagesansätze zur Anwendung als bei hiesigen Kindern, und oft werden bloss Kinder mit Bleiberecht besonders betreut.
In Bezug auf Schule und Ausbildung gibt es heute kaum eine systematische Herangehensweise. Grundsätzlich gilt für alle Kinderflüchtlinge unter 16 Jahren die obligatorische Schulpflicht. Wie rasch die Kinder aber wirklich Unterricht erhalten, ist je nach Kanton sehr unterschiedlich. Sind die Kinder älter als 16 Jahre, können sie die öffentliche Schule nicht mehr besuchen. Diesen Jugendlichen stehen zum Erwerb von Grundkenntnissen nur noch Sprachkurse oder Zentrumsschulen offen. Es fehlt aber fast durchgehend am notwendigen Personal, um auf die sehr heterogenen Bildungsvoraussetzungen der Kinderflüchtlinge einzugehen. Für den direkten Einstieg in eine Berufslehre verfügen die Kinderflüchtlinge oft nicht über die nötigen Grundkenntnisse. Zudem wollen Lehrbetriebe keine Jugendlichen in eine Ausbildung nehmen, die vielleicht nicht bis zum Ende der Ausbildung bleiben können.
Politische Vorstösse in Vorbereitung
Die Erfahrung zeigt: Kinderflüchtlinge brauchen, wie alle Kinder, Geborgenheit, Erziehung und ein stabiles soziales Netz. Da Kinderflüchtlinge ohne ihre Eltern bei uns leben, kommt den staatlichen Institutionen eine besonders verantwortungsvolle Rolle zu: Sie übernehmen die Aufgaben der Eltern. Die Schweiz verfügt über eine gute rechtliche Grundlage, die den Auftrag des Staates klar definiert: die Pflegekinderverordnung. Daraus geht u. a. hervor, dass die Betreuung durch sozialpädagogisch geschultes Personal gewährleistet werden muss. Ebenso soll jeder Kinderflüchtling auf eine Bezugsperson zählen können, zu der er ein vertrauensvolles Verhältnis aufbauen kann.
Bildung ist die Grundlage jeder gesellschaftlichen Integration und Basis für ein selbständiges und unabhängiges Leben. Flüchtlingskinder sollen deshalb ins schweizerische Bildungssystem aufgenommen werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kinderflüchtlinge in der Schweiz bleiben, ist hoch; umso bedeutsamer ist es, dass sie umgehend in die Bildungswelt Schweiz aufgenommen werden.
Ihre Analysen und Forderungen hat die Caritas im Positionspapier «Kinder brauchen Geborgenheit und Ausbildung» zusammengefasst. Die Nationalräte Balthasar Glättli und Jacques-André Maire sowie Nationalrätin Silvia Schenker werden die verschiedenen Postulate im Interesse der Kinderflüchtlinge im Eidgenössischen Parlament zur Sprache bringen, um die notwendigen Veränderungen voranzutreiben.
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