Produktion und Mitwirkende:
Autor: Albert J. Welti (1894 – 1965)
Hauptdarsteller und Textbearbeitung: Hanspeter Müller-Drossaart
Regie: Livio Andreina
Ausstattung: Anna Maria Glaudemans
Laienschauspieler und Laienschauspielerinnen aus der Region
Rezension:
Grundsätzliches zum Stück:
Das Stück spielt im fiktiven Friedlichwil in den 1950er Jahren. Der letzte Nachkomme der Steinhauerfamilie Murer flüchtete vor längerer Zeit aus dunklen Gründen nach Amerika. In der Heimat verbreitete sich das Gerücht, er sei dort in einen Mordfall verwickelt.
Wieder zurückgekehrt, lebt Murer verschlossen und zurückgezogen im aufgelassenen Steinbruch in einer Hütte. Er wird regelmässig von einem jungen Mädchen und einem geistig beschränkten Knaben besucht. Angestachelt vom Dorflehrer will die dörfliche Gemeinschaft die beiden Kinder, die sich scheinbar grundlos zum knorrigen Murer hingezogen fühlen, dazu zwingen, sich nicht mehr bei dem gefährlichen Sonderling aufzuhalten. Da kommt die Wahrheit an den Tag.
Ein Stück universeller Dorfgeschichte um Vorverurteilung und geistige Enge, und um die Rehabilitierung eines Schuldlosen.
Da wird gespielt:
Der, Spielort von „Steibruch“ ist ideal gelegen. Er befindet sich nur wenige Meter vom Eingang Ost des Freilichtmuseums Ballenberg (Brienzwiler) entfernt in stotzigem Gelände unter der Kapelle aus Turtig/Raron (Kanton Wallis). Er ist in fünf Gehminuten zu Fuss erreichbar und man setzt sich auf die Tribüne mit über 700 geschützten Zuschauerplätzen. Hauptdarsteller Hanspeter Müller – Drossaart als „Murer“ ist der einzige Profischauspieler. An seiner Seite agieren 37 hochmotivierte Laienschauspielerinnen und Schauspieler, grossteils aus der näheren Umgebung, von denen die meisten schon seit vielen Jahren jeweils auf dem Ballenberg mitwirken. Dies tun sie, im perfekt nach Anna Maria Glaudemans Ideen gefertigtem Outfit und ihren Vorstellungen entsprechend hergerichtetem Spielort, unter der souveränen Leitung des bewährten Freilufttheaterspezialisten, Regisseur Livio Andreina.
Das alljährliche Ritual vor der Première
Ausnahmsweise beim Eingang Ost, statt wie gewohnt beim Eingang West des Freilichtmuseums Ballenberg bei Brienz, hiess der Präsident des Vereins Landschaftstheater Ballenberg, Nationalrat Lorenz Hess, die illustre, gutgelaunte Schar der Premierenbesucher mit launigen Worten herzlich willkommen, dies bei allerbesten Wetterverhältnissen. Auch bedankte er sich bei Sponsoren, Gönnern, Mitwirkenden und allen andern, die auf irgendeine Art in das Projekt involviert sind. Ganz besonders begrüsste Hess einige anwesende Prominente, sowie die Medienvertreter, darunter eine Equipe des Schweizer Fernsehens. Ebenso erwähnte er, dass nächstes Jahr ein Jubiläum ansteht, dass man nämlich mit „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ von Gottfried Keller, bereits die 25. Produktion in Angriff nehmen werde. Zudem feiere man bereits in diesem Jahr folgende Jubiläen: 50 Jahre Stiftung Ballenberg und 40 Jahre Eröffnung Freiluftmuseum Ballenberg.
Anschliessend richtete auch noch Peter Flück, Berner Grossrat und Präsident des Stiftungsrates Freilichtmuseum Ballenberg, einige Worte an die Besucher.
Das Geschehen im „Steibruch“
Das, an der Landesausstellung 1939 in Zürich äusserst erfolgreich uraufgeführte und später, mit Heinrich Gretler und der jungen Maria Schell in ihrer ersten Filmrolle auch verfilmte Mundartdrama „Steibruch“ von Albert J. Welti, wurde von Hauptdarsteller Hanspeter Müller-Drossaart für die Ballenberg Inszenierung adaptiert. Er verfasste dafür eine berndeutsche Fassung für rund 40 Rollen inklusive Chor.
Die Geschichte in Kurzfassung
In einem Satz: Eine Dorfgeschichte um Vorverurteilung und geistige Enge, und um die Rehabilitierung eines Schuldlosen. Arnold Murer kehrt nach einem langen Auslandsaufenthalt in den USA in sein Heimatdorf Langnach (am Ballenberg Friedlichwil) in der Schweiz zurück. Dort meint jeder zu wissen, dass er in Amerika 14 Jahre wegen Mordversuchs im Gefängnis gesessen hat, obwohl er immer von sich behauptete, unschuldig zu sein.
Murer richtet sich etwas abseits des Dorfes in einer heruntergekommen Unterkunft beim Steinbruch ein und beginnt dort, wie ein Einsiedler zu leben. Die Menschen im Dorf ächten ihn und hoffen, ihn bald wieder loszuwerden. Nur der geistig behinderte Näppu und das dreizehnjährige Mädchen Meitschi nähern sich dem Mann und beginnen vorsichtig, eine Beziehung zu ihm aufzubauen.
Das Drama nimmt seinen Lauf
Das Theater beginnt mit der Dorfgemeinschaft, die den Spielplatz einnimmt und die heile Welt vermittelt. «Geng gärn guet hei miir s da hie, guet hei mer s», singen sie. Da ist die Welt noch in Ordnung, zumindest oberflächlich. Nur kurze Zeit lässt uns das Geschehen glauben, dass sich hier das unantastbare Glück des Lebens abspielt, aber die Fassade bröckelt, zerfällt in Kürze. Eine harte Realität mit Ausgrenzung, Unverständnis, Übergehen, Getratsche hält im Steinbruch Einzug. Die Charaktere werden seziert, manchmal moralisch blossgestellt, gelegentlich, mit verstärkendem Chorgesang, etwas überzeichnet.
Lang gehütete Geheimnisse werden offenbart
Von Gemeindeammann Hotz, Meitschi`s Pflegevater, erfährt Murer, dass er der Vater dessen Pflegetochter und ebenso des Aussenseiters Näppu ist. Er verschweigt es jedoch dem Mädchen, weil er sich um ihren guten Ruf sorgt. Als der Lehrer Kiburz versucht, Meitschi in eine Besserungsanstalt zu stecken, muss Murer dem Gemeindeammann versprechen, Meitschi nicht wiederzusehen.
Das Mädchen taucht aber dennoch bei ihm auf und die beiden werden vom Gemeindeammann und dem Lehrer gestellt. Das Meitschi erfährt, dass es die Tochter Murers und somit auch die Halbschwester von Näppu ist, den sie nicht ausstehen kann. Sie rennt davon, in die Nacht hinaus. Später am Abend versucht Murer seinen Sohn zu erschiessen. Der erkennt die Gefahr und rennt in Panik davon.
Während die Suche nach Meitschi andauert, findet Lehrer Kiburz einen Brief des amerikanischen Konsulats, der die Unschuld Murers beweist. Er liest ihn und rennt sofort zum Steinbruch, um sich bei Murer zu entschuldigen. Gemeinsam gehen der Gemeindamann, der Lehrer und Murer auf die Suche nach Meitschi. Sie finden sie schliesslich am Flussufer, wo sie sich mit Näppu angefreundet hat.
Eine Parallele und Metapher auf das aktuelle Weltgeschehen?
Das Stück endet damit, dass Murer und Meitschi gemeinsam den in einem Wagen schlafenden Näppu zur Unterkunft im Steinbruch ziehen und hinterlässt eine optimistische Note bezüglich ihrer Zukunft zu dritt. Ein fast schon kitschiges Happy End relativiert die vorher ungeschönt dargestellte Realität, die auch als eine Metapher auf das heutige Weltgeschehen verstanden werden kann, vielleicht auch will und/oder soll.
Verdienter Lohn für die Protagonisten des „Steibruchs“
Larina Jessica Amacher als „Meitschi“ und Julian Kobler als „Näppu“, die alternierend mit Olivia Zumbrunn und Gilles Antenen die Rollen verkörpern, wie überhaupt das gesamte Ensemble, boten eine eindrückliche Leistung, agierten jederzeit auf dem Niveau von Hauptdarsteller Hanspeter Müller – Drossaart, Livio Andreina bespielte die Szenerie mit überraschenden Einfällen, kluge Dialoge unterstrichen mit beindruckender Mimik und Gestik der Akteure, liessen die Zuschauer mal nachdenklich grübeln, bei einigen Dialogen schmunzeln, dann wieder hilf – und ratlos nachdenklich zurück, das Ganze aber nie mit erhobenem Zeigefinger, aber trotzdem kamen gewisse Reflektionen des eigenen Verhaltens rüber.
Für ihr authentisches Spiel, ihre eindrückliche Interpretation der Intentionen von Hanspeter Müller – Drossaart ernteten die Protagonisten, mitsamt dem Produktionsteam, einen verdienten, starken, langanhaltenden Applaus des Publikums (darunter auch so prominente Persönlichkeiten wie alt Bundesrat Christoph Blocher mit Gattin Silvia), inklusive einer partiellen stehenden Ovation.
Kleine Fotodiashow der Produktion von Markus Flück:
fotogalerien.wordpress.com/2018/06/09/landschaftstheater-ballenberg-steibruch-zrugg-us-amerika/
Fotos: Markus Flück, Léonard Wüst & Frida Kellenberger
Text: www.leonardwuest.ch
Fotos: Landschaftstheater Ballenberg landschaftstheater-ballenberg.ch/de/2014/Willkommen
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