Produktionsteam
Musikalische Leitung: William Kelley, Klaus von Heydenaber Inszenierung: Viktor Bodó Bühne: Márton Ágh Kostüme: Fruzsina Nagy Licht: David Hedinger-Wohnlich Choreinstudierung: Mark Daver Dramaturgie: Gábor Thury, Anna Veress, Johanna Wall
Rezension:
Einführung im 3. Stock: Vom Theaterplatz her Alphornklänge, vom Theatersaal letzte Probe-Sequenzen des Orchesters, irgendwie symbolisch für den Premierenabend der spartenübergreifenden Slapstick-Oper «Im Amt für Todesangelegenheiten». Denn was auf der Bühne des Luzerner Theaters während zwei Stunden abgeht, bewegt sich quer durch die Musikgeschichte, ein wilder Mix in jeder Hinsicht, der aber mindestens musikalisch gesehen vollkommen aufgeht.
Alphorn wird zwar nicht geblasen auf der Bühne, weder im Amt für Todesangelegenheiten im ersten Stock, wo die Angestellten alle in denselben blauen Arbeitsmänteln und denselben Frisuren das nächste Todes-Opfer bestimmen, noch unten in der Metrostation, wo unterschiedlichste Charakteren aufeinandertreffen. Das Alphorn mag fehlen, aber ansonsten pendelt das 21st Orchestra lustvoll zwischen Spätromantik und Musical, Jazz und Werbejingle, Filmmusik und moderner Klassik. All das mehr oder weniger wortlos, eine Oper sei ja auch nicht unbedingt immer verständlich, meinte der Komponist in einem Interview. Und so singt der Chor im Amt englische Zahlenreihen, Gianna, die unglücklich Verlassene ergibt sich mit viel Herz-Schmelz in italienischen Arien mit relativ wenig Inhalt, vom fotografierende Clochard gibt’s nur ein «please sign» wenn er denn Fotografierten das Bild unter die Nase hält und Sofia, die Weltretterin, fragt jeden, ob er fünf Minuten habe, um die Erde zu retten. Viel mehr Text ist da, bis kurz vor Schluss, nicht drin.
JacquesTati, Porgy und James Dean
Skurrile Gestalten allesamt, ihre jeweilige Lebensgeschichte erfährt man vorgängig im Programmheft. Zwei, dreimal stolpert dann noch Jacques Tati über die Bühne, der Feuerwehrmann-Darsteller im Werbejingle erinnert mit seiner tiefen Stimme an Gershwins’ Porgy und der zugedröhnte Clochard (ein umwerfender Lukas Darnstädt in Mimik und Gestik, sein Körper scheint aus Gummi zu sein) hat etwas von James Dean, derselbe Ausdruck melancholisch-trauriger Ziellosigkeit. Trotzdem scheint er derjenige zu sein, der die Fäden in der Hand hat und die Charakteren auf dem Schachbrett des Lebens, oder doch eher des Todes hin- und herschiebt.
Zurück auf Feld 1
Und so wird im Amt geräuschvoll aber wortlos der nächste Todeskandidat ausgesucht, in der Metrostation wird sich gestenreich aber wortlos begegnet, ab und an herrscht ein unglaubliches Gewusel auf der Bühne. Vier Protagonisten sterben im ersten Akt, erwachen aber im zweiten wieder zum Leben, was dem Amt für Todesangelegenheiten nicht sehr gelegen kommt. Also wird das Stück kurzerhand rückwärts gespult, eine irrwitzige Szene, musikalisch und schauspielerisch. Zuletzt erklärt der zum geschniegelten Anzugträger avancierte Clochard dem Publikum das Geschehene und Gesehene – als «Moral von der Geschicht»? und die Toilettenfrau im Toilettenpapierkostüm (eine stimmlich überzeugende Diana Schnürpel) wird doch noch zur Operndiva und verliert sich in einer langen, einmal mehr unverständlichen Arie. Da zieht sich das Ganze dann doch etwas hin.
Der Zug ist abgefahren
Man amüsiert sich, ganz klar, die Gags sind zwar manchmal etwas gar offensichtlich und überzeichnet. Wird einer zum Sterben erkoren, erscheint auf der digitalen Anzeige der Hinweis «In 5 Minuten fährt ihr letzter Zug» und «die U-Bahn Gesellschaft wünscht ihnen eine gute Reise», teilweise wähnt man sich in einem alten Komik-Film wenn Nacken knacken zum Gotterbarmen, Türen krachen, Stühle umfallen und der Coiffeur sich ein Messer in den Bauch rammt. Lampen bersten bei hohen Tönen und dann ist da noch der «Disco-Geier» aus der ungarischen Mythologie – Slapstick eben. Aber das wahre Ereignis, das wirklich Spezielle an diesem Abend ist die Musik von Klaus von Heydenaber und das 21st Century Orchestra, für welches er sie geschrieben hat.
Wie das Orchester da vom einen Musikstil in den anderen wechselt, mühelos, leichtfüssig, fliessend, rhythmisch und schwungvoll, das ist ungemein lustvoll und eine reine Freude. Es bleiben ein paar Fragen, aber es bleiben auch viele witzige Bilder. Ein tolles Bühnenbild (Márton Ágh), starke Stimmen, überzeugende Schauspieler und, man kann es nicht genug erwähnen, fantastische Musik mit einem fantastischen Orchester!
Kleine Fotodiashow der Produktion von Ingo Hoehn:
Text: www.gabrielabucher.ch
Fotos: www.luzernertheater.ch
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