Warum sind Frauen bei ihrer Berufs- und Studienwahl in den MINT-Bereichen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) immer noch deutlich untervertreten? Mit dieser Frage beschäftigten sich rund 100 Gymnasiallehrpersonen an einer kantonalen Weiterbildung zum Thema «MINT und Gender» an der Kantonsschule Alpenquai Luzern. Ziel der Veranstaltung war es, Lehrpersonen für die Problematik von geschlechtstypischen Rollenzuschreibungen zu sensibilisieren und gleichzeitig Anregungen für einen gendergerechten Unterricht zu vermitteln.
Aldo Magno, Leiter der Dienststelle Gymnasialbildung des Kantons Luzern, rief in seiner Einleitung zur MINT-Weiterbildung vom 12. März 2019 in Erinnerung, dass der Kanton Luzern im «Strategiepapier 2017» unter anderem die Stärkung der MINT-Lernbereiche als vordringlich eingestuft habe und deshalb verschiedene Fördermassnahmen umsetzen möchte. «Es geht dabei nicht darum, Mädchen zu bevorzugen, sondern sie nicht zu benachteiligen», betonte Magno und zitierte einen Paragraphen aus dem Luzerner Gymnasialbildungsgesetz, worin die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Persönlichkeitsbildung unterstrichen wird. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit geboten werden, das Weltwissen der Naturwissenschaften und der technischen Wissenschaften «jenseits von Stereotypen und Rollenmustern zu entdecken» und ihre Schönheit zu würdigen, so Magno.
Geschlechterstereotypen in Schulbüchern kritisch analysieren
An der Weiterbildungsveranstaltung informierten zwei ausgewiesene Fachleute der Pädagogischen Hochschule FHNW und der Universität Basel über aktuelle Erkenntnisse der Gender-Forschung und gaben den anwesenden Lehrpersonen vielfältige Anregungen für einen gendergerechten Unterricht. Prof. Dr. Elena Makarova stellte in ihren Ausführungen fest, dass Jugendliche bei der Wahl von Berufen und Studienrichtungen nach wie vor durch geschlechtliche Rollenzuweisungen beeinflusst würden: «Während Bildungsgänge im Bereich von Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) wesentlich häufiger von Männern belegt werden, entscheiden sich Frauen beruflich vor allem für das Sozialwesen, die Soziale Arbeit sowie die Geistes- und Sozialwissenschaften.»
Anhand von vielfältigen Beispielen aus der empirischen Forschung zeigte Makarova auf, dass Vorbilder sowohl im familiären wie im schulischen Umfeld beim Berufswahlprozess eine bedeutende Rolle spielen. Darüber hinaus hat auch die Analyse von Schulbüchern in mehreren wissenschaftlichen Studien gezeigt, dass etliche Lehrmittel überarbeitet werden sollten. «Die Inhaltsanalyse der Schulbücher für die Fächer Mathematik, Physik und Chemie belegt, dass männliche Protagonisten und die Erfahrungswelt von Männern bei der textlichen und bildlichen Darstellung dominieren. Darüber hinaus werden die Geschlechter oftmals in stereotypen Rollen und bei geschlechterstereotypen Tätigkeiten dargestellt», sagte Elena Makarova.
Beispiele aus der Praxis für die Praxis
Aufschlussreich waren zudem die Ausführungen von Prof. Dr. Peter Labudde, der in seinem Vortrag konkrete Ideen und Beispiele aus der Praxis vorstellte. «MINT-Bildung ist ein Menschenrecht!», sagte Labudde und wies auf vielfältige Handlungsspielräume hin, die Lehrpersonen in den MINT-Fächern noch vermehrt nutzen könnten. Wichtig seien ein Selbstvertrauen stärkender Unterrichtsstil, aber auch erweiterte Prüfungsformen, zeitweises Lernen in geschlechterhomogenen Gruppen und das bewusste Hinterfragen von einseitigen Geschlechterbildern, betonte Labudde. «Spurenelemente verändern den Geschmack der Schule.» Das gelte nicht nur für die Schule insgesamt, sondern auch für den MINT-Unterricht. Denn es brauche oft nur wenig, um ihm einen anderen «Geschmack» zu geben, um ihn gendergerechter zu gestalten. So werde beispielsweise im fragend-entwickelnden Unterricht nicht der Erste aufgerufen, der sich meldet, sondern es werde so lange gewartet, bis mehrere Schülerinnen und Schüler die Hand heben. Auch die Art und Weise, wie im Unterrichtsalltag mit Lob umgegangenen werde, sei aufgrund der aktuellen Genderforschung keineswegs nebensächlich. «Mädchen dürfen nicht nur für Fleiss und Wohlverhalten, sondern vor allem auch für ihre Begabung gelobt werden. Schlechte Leistungen sollten vermehrt mit ungenügender Vorbereitung, hingegen nicht mit mangelndem Talent erklärt werden.» Am Schluss seiner Ausführungen rief er eine Einsicht des bekannten Physik- und Mathematikdidaktikers Martin Wagenschein in Erinnerung, die auch heute noch Gültigkeit habe: «Was für die Mädchen gut ist, ist auch für die Jungen gut – aber nicht umgekehrt.»
Erfahrungen aus dem Unterrichtsalltag austauschen
An der Tagung zum Thema «MINT und Gender» ging es nicht bloss darum, aktuelle Erkenntnisse aus der Gender-Forschung zu vermitteln. Auch der Erfahrungsaustausch unter den anwesenden Lehrpersonen fehlte nicht. Anhand von Checklisten prüften sie in Kleingruppen verschiedene Unterrichtsmaterialien und Lehrmittel auf ihre Gendergerechtigkeit hin und diskutierten über die Frage, in welchen Bereichen des MINT-Unterrichts noch Handlungsbedarf bestehe. Die Ergebnisse der Gruppengespräche wurden sodann auf Plakaten festgehalten und am Schluss der Veranstaltung an diversen Marktständen den anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern präsentiert.
Anhang
Bild 1, Bild 2: Rund 100 Gymnasiallehrpersonen setzten sich an der Kantonsschule Alpenquai Luzern mit dem Thema «Mint und Gender» auseinander.
Bild 3: Prof. Dr. Elena Makarova von der Universität Basel
Bild 4: Prof. Dr. Peter Labudde von der Pädagogischen Hochschule FHNW.
Fotos: Benno Bühlmann[content_block id=45503 slug=unterstuetzen-sie-dieses-unabhaengige-onlineportal-mit-einem-ihnen-angesemmen-erscheinenden-beitrag]