Bern (ots) – Die Kombinationstherapien gegen AIDS funktionieren immer besser. Doch sie schützen nicht vor anderen sexuell übertragbaren Krankheiten. Wer diese Medikamente einnimmt, aber auf den Gebrauch von Kondomen verzichtet, wiegt sich in trügerischer Sicherheit. Zu diesen Schlüssen gelangen Studien der vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Schweizerischen HIV-Kohortenstudie.
Seit einem Vierteljahrhundert gibt es Medikamente gegen den AIDS-Erreger HIV. Die Therapie hat sich stetig weiterentwickelt, im Westen wird heute standardmässig eine Kombination von antiretroviralen Substanzen verabreicht. Mit der Idee, dass es den sich ständig verändernden Viren viel schwerer fällt, gleichzeitig Resistenzen gegen drei oder noch mehr verschiedene Medikamente zu entwickeln.
Weniger Resistenzen gegen neue Medikamente Anfang Jahr haben Huldrych Günthard vom Universitätsspital Zürich und seine Kolleginnen und Kollegen von der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie gezeigt (*), dass die neuen Kombinationstherapien den Spielraum der Viren noch mehr einschränken als die Therapien, die kurz nach der Jahrtausendwende zum Einsatz kamen. Gegen die damalige Therapie bildeten sich während 100 Patientenjahren (also im Zeitraum von einem Jahr bei 100 Patienten, von zwei Jahren bei 50 Patienten) im Durchschnitt 2.6 Mal resistente Viren – gegen die neueren Behandlungen aber nur 1.5 bis 1.9 Mal. Diese Verbesserung führen die Forschenden darauf zurück, dass die neuen Kombinationstherapien nicht nur wirksamer, sondern auch besser verträglich sind und deshalb regelmässiger eingenommen werden.
Dramatische Ausbreitung von Hepatitis C Der nachgewiesene kontinuierliche Fortschritt in der Behandlung führt zu einem kleineren Risiko, HIV zu übertragen. Doch vielleicht verführt genau dies einige Personen dazu, sich aufgrund der eingenommenen Medikamente in falscher Sicherheit zu wähnen. Das legen jedenfalls erst kürzlich publizierte Resultate der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie nahe (**). Sie zeigen, dass sich Hepatitis C unter homosexuellen HIV-Patienten in den letzten Jahren rasant auszubreiten begonnen hat. Während die Infektionsrate bei Heterosexuellen konstant tief geblieben ist, und sich während 100 Patientenjahren im Schnitt nur 0.4 Personen mit Hepatitis C anstecken, ist die Infektionsrate bei Homosexuellen dramatisch gestiegen. Während 100 Patientenjahren stecken sich im Schnitt 4.1 Personen an. Das ist im Vergleich zu den Werten von 1998 ein 18-facher Anstieg.
Als wichtigsten Risikofaktor identifizierten die Forschenden den inkonsistenten Gebrauch von Kondomen. Die Angst vor AIDS hat gerechtfertigterweise stark abgenommen, doch auch andere Krankheiten übertragen sich beim Geschlechtsverkehr. „Weiterhin ist Vorsicht geboten“, sagt Günthard.
(*) von Wyl V, Yerly S, Böni J, Shah C, Cellerai C, Klimkait T, Battegay M, Bernasconi E, Cavassini M, Furrer H, Hirschel B, Vernazza PL, Ledergerber B, Günthard HF; Swiss HIV Cohort Study (2012). Incidence of HIV-1 drug resistance among antiretroviral treatment-naive individuals starting modern therapy combinations. Clin Infect Dis. 54:131-40
(**) Wandeler G, Gsponer T, Bregenzer A, Günthard HF, Clerc O, Calmy A, Stöckle M, Bernasconi E, Furrer H, Rauch A; Swiss HIV Cohort Study (2012). Hepatitis C Virus Infections in the Swiss HIV Cohort Study: A Rapidly Evolving Epidemic. Clin Infect Dis. 55:1408-1416
(als PDF beim SNF erhältlich; E-Mail: com@snf.ch)
Die Schweizerische HIV-Kohorte Das Ziel der seit 1988 bestehenden Studie ist, die HIV Infektion und die Krankheit Aids besser zu verstehen sowie die Betreuung der Patientinnen und Patienten zu verbessern. Sämtliche in der Schweiz auf HIV-spezialisierte Kliniken (Basel, Bern, Genf, Lausanne, Lugano, St. Gallen und Zürich) haben Daten zum Krankheitsverlauf von bisher über 16’000 HIV-infizierten Menschen gesammelt und ausgewertet. Zurzeit nehmen über 8’400 Personen an der Schweizerischen HIV-Kohorten Studie teil, davon sind fast ein Drittel Frauen.www.shcs.ch