Besetzung und Programm:
Dirigentin (Liik)
David Fulmer
Dirigent (Planells Schiaffino)
Sir George Benjamin Dirigent
Reinhold Friedrich Trompete
Robyn Schulkowsky Schlagzeug
Kurzschluss für Orchester
Uraufführung «Roche Young Commissions»
Torna für Orchester
Uraufführung «Roche Young Commissions»
Marsyas. Rhapsodie für Trompete mit Schlagzeug und Orchester
Palimpsestsfür Orchester
glut für Orchester
Rezension:
Wolfgang Rihm (*1952) Marsyas. Rhapsodie für Trompete mit Schlagzeug und Orchester
Rihm, fast schon ein Klassiker, jedenfalls unter den „Zeitgenössischen“. Seine Tonstrukturen doch schon etwas vertrauter als die der zwei relativen „Frischlinge“, deren Werke anschliessend gar uraufgeführt wurden und bei denen ich mich, im Nachgang, fast genötigt sehe, Arnold Schönberg und Karlheinz Stockhausen als hoffnungslos Harmonie süchtig zu klassieren, derart avantgardistisch waren diese zwei Auftrags Kompositionen. Zurück zu Rihm, der da tief in der griechischen Mythologie Kiste gewühlt hat und daraus inszeniert er den musikalischen Zweikampf zwischen Satyr Marsyas, einem Virtuosen des antiken Blasinstruments „Aulas“ und engagiertem Streiter für die Musik und Apollon (u.a. Gott des Lichts, der Heilung, des Frühlings, der sittlichen Reinheit und Mäßigung sowie der Weissagung und der Künste, insbesondere der Musik, der Dichtkunst und des Gesangs). Der, mit seiner wallenden Mähne und kräftigen Gestalt an einen, von einem Renaissancemeister gemalten Barockengel erinnernde Reinhold Friedrich, duellierte sich, mit seiner Trompete bewaffnet, mit der amerikanischen Apollon Darstellerin Robyn Schulkowsky an ihren zahlreichen Schlagwerkutensilien, die, zumindest in der Mystik, den Sieg erfocht.
Auf der Konzertbühne hingegen, bewegten sich die Kontrahenten auf Augenhöhe, unterstützt vom souveränen Orchester unter abgeklärtem Dirigat von Sir George Benjamin. Teils drifteten die schrägen Töne ins jazzige ab, einem eigentlichen Thema untergeordnet waren sie faktisch nie. Dem Publikum passte die ungewöhnliche, aber doch nicht ganz zu abgehobene Komposition und applaudierte den Protagonisten denn auch reichlich. Der anwesende Komponist, Wolfgang Rihm, durfte, sichtlich erfreut, einen Extraapplaus in Empfang nehmen
Marianna Liik (*1992) Kurzschluss für Orchester Uraufführung «Roche Young Commissions», dirigiert von Ruth Reinhard
Sehr transparent, auch irgendwie transzendente Komposition, Tonbögen nicht ineinander verschlungen, eher fast beiläufig ungeordnet hingelegt. Trotzdem rieben sich die halt doch vorhandenen Gegensätze, auch mittels der kurzen eingeflochtenen Solopartien. lyrische, tonale Gedankenspielereien in der Traumwelt der Werkschöpferin. Schwer verständlich für nicht grad total „angefressene“ Verfechter sehr moderner Musik, wurde aber trotzdem freundlich zur Kenntnis genommen, aber auch nicht mehr. Überzeugte, vermochte aber nicht zu berühren, so auch der eher höfliche Applaus erklärbar, der dann stärker wurde, als die Komponistin auf die Bühne gebeten wurde und sich zu den Musikern gesellte.
Josep Planells Schiaffino (*1988) Torna für Orchester Uraufführung «Roche Young Commissions» dirigiert von David Fulmer
Ähnliches könnte man auch über die zweite Auftragskomposition schreiben, würde der junge Spanier nicht doch etwas mehr (südländisches) Temperament in Töne giessen und auch den selbstbewussten „Macho“ durchschimmern lassen. Ebenso wirkte das Orchester hier deutlich überzeugter, unterstützender. Das Publikum schien auch angetaner von diesem Werk und so gesellte sich der Komponist gern zum Schlussapplaus zu den Musikern auf der Bühne.
George Benjamin (*1960) Palimpsests für Orchester
Benjamin bedient sich hier einer mittelalterlichen Technik Schichten von Noten und Schriften, um Papier zu sparen, übereinander auf einer Seite zu schreiben. Dies ergab einen Klang, der dem Academy Orchestra erlaubte, sich voll zu entfalten, zu demonstrieren, dass es der Klangkörper ist, der wie kein anderes Orchester, über die Fähigkeit verfügt, zeitgenössisch auch zeitgemäss zu interpretieren. Inspiriert vom Tongeflecht, animiert vom Dirigenten packten die Akademist*innen auch das Publikum, liessen dieses teilhaben an dieser Delikatesse an Präzision und schon fast vollkommenen Zusammenspiel. Dafür ernteten die Protagonisten einen tosenden Applaus, den besonders Komponist und Dirigent Sir George, sichtlich gerührt, in vollen Zügen genoss.
Dieter Ammann (*1962) glut für Orchester
Bombastische Komposition von Dieter Ammann. Dieter Ammann komponiert wenig und in gemächlichem Tempo, daher gibt es bis heute erst etwas mehr als 20 Stücke. Dass er dabei instrumental gern aus den Vollen schöpft, ist inzwischen hinlänglich bekannt. So standen denn u.a. auch gleich acht Schlagwerker auf der Bühne um die monströse Komposition zu interpretieren. Deutlich schimmert immer wieder die Vergangenheit Ammanns als „Jazzer“ durch, ebenso Anlehnungen an die neue, von Gershwin und Bernstein angestossene amerikanische Musik.
Wechsel zwischen berufen auf grosse Komponisten und Schritten auf neuen Wegen
Zwischendurch auch mal eine Reminiszenz an die ganz Grossen seiner Zunft, wie z. B. Ravel, um unvermittelt wieder auf diesen ganz neuen Weg einzubiegen, den auch viele seiner Weggefährten, wie Wolfgang Rihm, Matthias Pintscher usw. eingeschlagen haben und der von Pierre Boulez mit seiner „Lucerne Festival Academy“ massgeblich vorbereitet und aufgezeigt wurde. «glut» – nach des Komponisten eigenen Worten «eine Welt, deren innere Glut, zu Klang geformt, nach aussen drängt»; eine klangfarblich höchst vielfältige Musik, die «von einer ausserordentlichen Dichte der Ereignisse geprägt» ist. Ja, hochkomplex, kompliziert, irgendwie unvorherseh – und undurchschaubar sind die Klangwerke des 1962 in Aarau geborenen Schweizer Komponisten.
Ungewöhnlicher Werdegang des Komponisten
Widersprüchlich auch sein Werdegang: Nach Studium von Schulmusik und Jazz wandte er sich der Musiktheorie und Komposition zu, performte parallel dazu in diversen Formationen, an diversen Instrumenten, u.a. in „Steven`s Nude Club“, der Ska – Punkformation des unvergesslichen, viel zu früh verstorbenen Luzerners Thomas Hösli (1965 – 2007). Das Orchester, unter der souveränen Leitung von Sir George Benjamin, intonierte sichtlich inspiriert und angetan vom Werk Ammanns. Das sachkundige Publikum, honorierte die Leistung der Protagonisten denn auch mit langanhaltendem, kräftigen Applaus, der sich noch steigerte, als dann auch noch der im Saal anwesende Komponist aufstand und sich mit entsprechenden Gesten bei den Musikern bedankte.
Text: www.leonardwuest.ch Fotos: www.lucernefestival.ch
Homepages der andern Kolumnisten: annarybinski.ch www.noemiefelber.ch
www.gabrielabucher.ch Paul Ott:www.literatur.li