Lucerne Festival, Sinfoniekonzert 7 Gewandhausorchester Leipzig, Andris Nelsons, 25. August 2019, besucht von Léonard Wüst

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Gewandhausorchester Leipzig Foto Gerd Mothes

Besetzung und Programm:
Gewandhausorchester Leipzig
Andris Nelsons  Dirigent

Anton Bruckner (1824–1896)
Sinfonie Nr. 8 c-Moll WAB 108
(Fassung von Robert Haas)

Rezension:

Prallvoller Konzertsaal, gespannte Erwartungshaltung. Unbekannt ist sie natürlich nicht; die Sinfonie Nr. 8 von Anton Bruckner wird häufig gespielt. Aber von selbst versteht sich so eine Aufführung in keinem Fall, sie stellt das Orchester wie den Dirigenten vielmehr vor ganz besondere Anforderungen. Diese Ton-(Ver)Dichtung des Anton Bruckner in seiner 8. Sinfonie, sie ist ein schier uferloses Werk. Ein immer währender, beinahe 80-minütiger kontrapunktischer Kampf von Düsternis, Bedrohung, Zerrüttung und allüberbordender Zermalmung. Am Ende doch meist mit dem Aufscheinen eines gleißendes Lichts, das erschöpft und atemlos Erlösung verspricht.

Grosse Herausforderung für Dirigenten

Das sehr grosse Orchester, Impression des Sinfoniekonzert 7 von Manuela Jans

Ein tief gläubiger Katholik schreibt sich die Seele aus dem Leib – so monumental wie nie zuvor. Anton Bruckner hat mit seiner Sinfonie Nr. 8 eine Klangkathedrale komponiert, deren Ausmaße alles bis zum Ende des 19. Jahrhunderts Dagewesene in den Schatten stellt. Es gibt wenig Schwierigeres für Dirigenten als Bruckners Sinfonien. Hier ist also prozessuales Denken gefragt. Das es ermöglicht, den dramaturgischen Bogen über die mächtigen Themenblöcke und Durchführungsteile hinweg zu spannen, dabei die Steigerungswellen immer wieder schlüssig auf- und abzubauen und auch über die Generalpausen hinweg die Spannung zu halten. Daran scheitern – der Konzertalltag beweist es – immer noch viele. Nicht zuletzt deshalb ist der Kreis ausgewiesener Brucknerdirigenten überschaubar. Einer von ihnen ist zweifellos Andris Nelsons.

Grosse Herausforderung auch für Rezensenten

Impression des Sinfoniekonzert 7 von Manuela Jans

Die Zusammenfassung im Telegrammstil könnte so klingen: Der Kopfsatz bannend-genial, das bissige Scherzo herrlich unverqualmt, das Adagio schwefelgelb schwelend vor Intensität, das Finale wohltuend gedrängt, scheinbar aus einem Impuls entwickelt. So kann man das Brucknerkonzert mit Andris Nelsons beschreiben. Nelsons, der im Moment mit seinem Orchester einen Bruckner Zyklus erarbeitet, galt ja seinerzeit als grosser Favorit in der Nachfolge Claudio Abbados als Chefdirigent des „Lucerne Festival Orchestra“, bevor, etwas überraschend, Riccardo Chailly dafür berufen wurde. Im Gegenzug übernahm dann Nelsons von Chailly das Gewandhausorchester, derweil jener sein Engagement als Musikdirektor des „Teatro alla Scala di Milano“ weiterhin wahrnimmt. Zurück zum Konzert: Details, die haften: die einen Moment ins Zeitlose dehnende Pianissimo-Coda des Kopfsatzes. Der lässig-leutselige Schwung der Nebenthemen in Trio und Finale. Und voll dunkler Wucht die Celli und Bässe im Adagio (das fff nach dem letzten fff-Höhepunkt des Orchesters) und im Finale. Unsagbar reich die Kulminationsstellen (Reprise im Allegro moderato). Ach ja, fast selbstverständlich: der schier überwältigende Artikulationsreichtum der Geigen.

Ein Bruckner ganz im Stil des lettischen Dirigenten!

Gleich drei Harfen waren mit dabei, Impression des Sinfoniekonzert 7 von Manuela Jans

Ansonsten war es ein echter Bruckner. Aufregend ist, dass ein Sinnkern die zahlreichen Themenkomplexe der Ecksätze durchzieht. Dann die bis zu greller Buntheit gesteigerten Farben (was dem Scherzo guttut, im Adagio und Finale für ungewohnt komplexe Hörerlebnisse sorgt). Sodann werden Resignation und Tragik radikal mit subjektiven Gehalten gefüllt. Dazu zählt auch der bis hart an Mahlersche Ausdrucksregionen vorgeschobene Lyrismus des Adagios. das fauchende Brüllen der Tutti-Extasen weist weit voraus. Ja, in diesen Stellen vollziehen sich gar brennpunktartig die Entgrenzungen der Moderne. Adieu, du Vorstellung vom Landei Bruckner. Abschied von der falschen Vorstellung vom biederbösen Gründerjahre Pomp Bruckners.

 

 

Bruckners Sinfonie als 80minütges Finale?

Andris Nelsons zeigt, wos lang geht, Impression des Sinfoniekonzert 7 von Manuela Jans

Von Dirigent Andris Nelsons  und seinen Musikern in einer wirklich hochkonzentrierten Aufführung dargebracht – mit Ovationen bedacht. Da greifen alle ineinander. Da schaffen sich alle ihren Platz, beziehen Stellung. Organisieren sich. Alle Sektionen bis in die Haarspitzen motiviert – da arbeiten, und fuhrwerken im besten Sinne des Wortes die Kontrabässe und geben damit überhaupt ein Gerüst, den so wichtigen Halt. Es gerät zum Sieg der Musikalität dieses wirklich außergewöhnlichen Klangkörpers über eine von Überspanntheit und Gereiztheit und bebender Nervosität durchäderte Komposition. Ein Orchester, das sich immer wieder selbst überraschen kann. Sich selbst, und seinen wunderbar transparenten Chefdirigenten. Dem sie hier wirklich ein Geschenk darbringen, wenn sie ihm folgen, seinen kleinen Fingerzeigen, seinem Flackern der linken Hand, wenn es im dritten Satz in eine adagiohafte Sanftheit und Leisetreterei geht.

Andris Nelsons ist nicht nur musikalisch ein Schwergewicht

Impression des Sinfoniekonzert 7 von Manuela Jans

Nelsons, der auch körperlich mächtig zugelegt hat in den letzten paar Jahren, zeigt den Streichern an, die Spannung zu halten, während sich die famosen Holzbläser ein kleines, Menuett artiges Stelldichein mit den drei Klarinetten liefern. Und kurz danach zieht ein Ruck durch den Körper von Nelsons, er springt beinahe in die Höhe.  Sekunden später: Ein anschwellendes Glissando – immer wieder dieses Wechselbad aus hochfahrenden, nachgerade auf die Tube drückenden, pressenden Tempi, gepaart mit einer Dynamik bis an die Grenze des Hörbaren. Jedenfalls im triumphalen Finalsatz, der dem lettischen Taktgeber und seinen wundervollen weit über 120 Musikern wie eben das eingangs erwähnte Gleißen eines Lichtscheins gelingt. Das Helle, die Erleuchtung behält die Oberhand. Dem Dirigenten gelingt es auf vorbildliche Weise, den dramaturgischen Bogen über die mächtigen Themenblöcke hinweg zu spannen und trotzdem so in Nuancen zu differenzieren, dass es nicht einfach nur möglichst laut ist.

Es wurde schon immer sehr viel über diese Sinfonie philosophiert

Impression des Sinfoniekonzert 7 von Manuela Jans

Wir ersparen uns alles weitere Philosophieren über das Werk und seine Bedeutung und können wohl anmerken: Es ist möglich, Bruckners wahnwitzige, an Wagner anknüpfende Rhythmik, eine Form zu geben. Der Dirigent schleift auch die expressiven Kanten nicht, die sich so wunderbar rau vom Wohltöner Wagner abheben und eben in eine neue Richtung weisen. Es ist ein beinahe körperlicher Akt, der hier stattfindet – athletisch, muskulös. Ja, auftrumpfend. Aber trotzdem, es gibt so viele, auch von Nelsons mit den Hörnern im Blech und den Klarinetten und Oboen und Fagotten herausgearbeiteten Miniaturen, die das Monumentale auf die Erde zurückholen, dass es eine Freude ist. Triumphal! Irgendwie ist diese Sinfonie halt doch schon fast ein 80minütiges Finale und Finale hat das Publikum besonders gern wenn sie so mächtig martialisch daherkommen. Das Auditorium zeigte sich begeistert und feierte die Leipziger mit frenetischem Applaus und vereinzelten Bravorufen, zu einer „Standing Ovation“ reichte es nicht ganz.

Text: www.leonardwuest.ch Fotos: www.lucernefestival.ch

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