Besetzung und Programm:
Shanghai Symphony Orchestra
Long Yu Dirigent
Frank Peter Zimmermann Violine
Wu Xing (Die fünf Elemente)
Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 D-Dur op. 19
Sinfonische Tänze op. 45
Rezension:
Das Shanghai Symphony Orchestra dieses Jahr feiert seinen 140sten Geburtstag. Dem Jubiläum entsprechend durften die Chinesen in einem prallgefüllten Konzertsaal konzertieren, sogar die 4. Galerie war geöffnet und die Orgelempore war auch vollbesetzt
Qigang Chen (*1951) Wu Xing (Die fünf Elemente)
Der in China geborene Komponist Qigang Chen kam 1984 nach Frankreich, wo er durch ein staatliches Stipendium gefördert wurde und er war der letzte Schüler von Olivier Messiaen. Seine 1999 entstandene Komposition bezieht sich auf die fünf Elemente Wasser, Holz, Feuer, Erde und Metall in der daoistischen Philosophie, auf der sehr viele chinesische Wissenschaften usw. fussen, so u.a. auch die traditionelle chinesische Medizin (TCM). Zitat des Komponisten: Das Stück entstand vor zwanzig Jahren in Paris im Mittelpunkt der westlich-musikalischen Ästhetik. Gleichzeitig stand ich unter dem großen traditionellen Einfluss chinesischer Kultur, die ich verinnerlicht hatte. Unter diesem äußeren Druck wurde «Wu Xing» geboren, das «gemischte» Kind aus westlich-avantgardistischer Ästhetik und den ältesten Aspekten chinesischer Ideen.
West oder Fernost? Wo soll man das Werk einordnen?
Qigang Chen: Es ist schwierig für mich, meine eigene Arbeit einzuschätzen, aber der chinesische Aspekt dieses Stücks ist wohl die Einbeziehung der älteren Epoche. Erstaunlich, wie es Chen fertigbringt, in den, pro Element, jeweils sehr kurzen zwei Minuten, akustisch die Geräusche des jeweiligen Elements zu zeichnen. Wenn er, beim Element Wasser, durch Pizzicato der Celli das Plätschern von Regentropfen hörbar macht, durch brummende Bässe die bedrohliche Brandung nachgestaltet. Das Feuer, das knisternd, Vibrato der Celli, das Holz verzehrt. Eine besondere Komponente auch der Einsatz des Ehu, der zweisaitigen, mit dem Bogen gestrichenen Röhrenspießlaute, die ganz spezielle Töne erzeugt und so dem fernöstlichen Tongemälde eine eigene, unverwechselbare Identität verleiht. Die durchschimmernde, transparente, gar sphärisch oszillierende, tremolierende Struktur der Komposition entführt die Zuhörer in eine ganz und gar nicht lineare Klangwelt, die dem westlichen Ohr vertraut ist, dennoch widerspricht sie nicht der akustischen Ästhetik, wie wir sie kennen, sodass auch das an sich ungewohnte erstaunlich vertraut wirkt.
Es ist denn auch keine Überraschung, dass die Werke von Qigang Chen, für einen zeitgenössischen und erst noch asiatischen Komponisten, weltweit relativ häufig gespielt werden. Auch das Publikum im Luzerner Konzertsaal war angetan von den Tönen und der vorzüglichen Interpretation des, personell sehr gross besetzten Orchesters. Der Beifall war demensprechend lang für diesen gelungenen Auftakt in den Konzertabend.
Sergej Prokofjew Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 D-Dur op. 19
Sergei Prokofjew instrumentierte sein Violinkonzert D-Dur op. 19 zu einer Zeit, als er die Symphonie Classique schrieb – erklärtermaßen »im Stile Haydns«. Kein Wunder also, dass auch das fast zeitgleich entstandene Konzert mit ätherisch-träumerischem Beginn einem »klassischen« Klangbild verpflichtet ist, allerdings im Sinne einer »inszenierten Rückkehr zu klassischen Formen und Ausdrucksmitteln, deren karikierende Verfremdungen sich gleichsam mikroskopisch aus winzigen Verschiebungen und Schräglagen der harmonischen Struktur ergeben.
Komposition entspricht nicht dem vorrevolutionären Zeitgeist
Diese antiromantischen »Schräglagen« Prokofjews entsprachen gar nicht dem Zeitgeist, im Petrograd waren Vorboten der kommenden Oktoberrevolution zu spüren, vor denen er, ausgerüstet mit einem Teleskop zur Firmament Betrachtung, auf eine Flussfahrt auf der Wolga und der Kama flüchtete, die im folgenden Jahr in das Exil mündete. Er verliess Russland und kam Jahre später, getrieben von existenziellem Heimweh in seine Heimat zurück, die aber inzwischen zur Sowjetunion mutiert war. Schwirrend eröffnen die Violinen den ersten Satz, die aber schnell von der Solo Violine abgelöst werden, weiterhin aber im Verbund mit dem gesamten Orchester den Klangteppich weben, auf dem sich Frank Peter Zimmermann bewegen kann. Besonders spannend, die Sequenz nach etwa fünf Minuten, wo er, die Saiten zupfend, mit der Querflöte korrespondiert, um unmittelbar in einen Sololauf zu starten, bei dem die Harfe, in Einklang mit der Querflöte, den Gegenpart gibt, bevor sich Solist und Orchester wieder sanft vereinen, aber unverzüglich grenzen sich der Solist, in Verbund mit dem Kleinbläsern wieder aus und schwelgen in weit gezogenen Melodienbögen, die brüsk von fulminanten, spitzen Läufen des Solisten abgelöst werden, kontrapunktiert von Bläsern und Schlagwerk und angetrieben von knapp akzentuierten Tönen der Celli, überflogen von Oboe, untermalt von der Harfe, sich auflösend im Tutti, welches sich abrupt ins Nichts auflöst.
Der Solist, der die äusserst anspruchsvolle Partitur, gelöst, ruhig, hochkonzentriert, dennoch äusserst souverän meisterte und das ihn kongenial begleitende Orchester durften sich einer wahren Applauskaskade erfreuen, in der natürlich auch der souveräne Dirigent eingeschlossen war. Da der Applaus nicht enden wollte, gewährte uns der Solist noch eine kurze Zugabe, bevor man sich beeindruckt vom gehörten, in die Pause begab.
Sergej Rachmaninow (1873–1943) Sinfonische Tänze op. 45
Das verlangte Orchester ist groß, zur üblichen Besetzung mit dreifachem Holz kommt ein Altsaxophon (einer der wenigen Fälle eines Saxophons in der klassischen Musik), stark erweitertes Schlagwerk (3 Pauken, Tamburin, Triangel, kleine und grosse Trommel, Becken, Tamtam, Glockenspiel, 3 Glocken), Klavier und eine Harfe. Das Werk gilt in der Orchesterliteratur als anspruchsvoll zu spielen.
Ungewohnt auch der Einbezug eines Alto Saxophons für ein kurzes Solo im Mittelsatz. Ein Instrument, erfunden im Jahre 1840, das damals praktisch nur in der „schwarzen“ Musik zum Zug kam. Das wendet den Ausdruck ins Lyrische. hin zu einem melancholisch, sehnsüchtig, verklärten russischen Gesangsmotiv. Übernommen wird das Thema dann in einer auffälligen Klangmischung von Bläsern, einstimmig geführten Streichern und einem Klavier Am Ende des Satzes zitiert Rachmaninow einen kurzen Abschnitt seiner ersten Sinfonie, deren Uraufführung 1897 zum Fiasko wird und ihn in eine schwere Krise stürzt. Doch warum hellt er dieses Motiv nach einer geradezu „gen Himmel“ führenden Skala nach Dur auf?
Gregorianik im 3. Satz
Im dritten Satz beruht das thematische Material fast komplett aus der Gregorianischen „Dies-irae“-Melodie. Eine Art Totentanz? Die Röhrenglocken sind vermutlich direkt aus Hector Berlioz „Symphonie fantastique“ übernommen, vielleicht auch das Sujet, ebenso schimmert etwas von Ravels Bolero in Schlagwerksequenzen durch. Kurz vor Schluss gibt es ein weiteres Zitat, diesmal ein Halleluja aus einem der großen geistlichen Werke Rachmaninows, der „Ganznächtlichen Vesper“ (1915). Dieses Halleluja kennzeichnet er in der Partitur ausdrücklich. Das „Dies irae“ taucht in den folgenden knapp 30 Takten nicht mehr auf. Ein Sieg des Glaubens, gar ein persönliches Bekenntnis Rachmaninows? Vielleicht. Ein Aspekt stört jedoch diese naheliegende Deutung: der Einsatz des Gongs. Das Schlagzeug ist viel beschäftigt in diesen „Tänzen“, bis hin zu einer Art „Todesmarsch“ der kleinen Trommel kurz vor jenem Halleluja-Zitat. Der Gong aber kommt erst nach dem Halleluja insgesamt sechsmal zum Einsatz, davon auch im Schlussakkord, in dem er als einziges Instrument nachklingt – eine Anweisung, die nicht immer berücksichtigt wird. Das kann schlicht als raffinierte Klangfarbe gedacht sein, aber auch ganz bewusst als Todessymbol, in Anlehnung an eine Tradition, die sich in der Spätromantik gebildet hat. Ist dieser Schluss also gerade kein Bekenntnis zum Glauben, sondern wird das Halleluja verdrängt von der Gewissheit, dass es vorm Tod letztlich kein Entrinnen gibt? Sieht Rachmaninow gar sein eigenes Ende nahen? Der fromme, hoffnungsvolle Lobgesang triumphiert dann aber in den letzten Takten des großen Meisters doch über die Melodie des Jüngsten Gerichts, die sich durch sein gesamtes Werk zieht. Dirigent Long Yu führt auch hier seine Mitmusiker mit wenigen Gesten, Augenkontakt und nur selten mit grossen, ausholenden Bewegungen, dafür trieb er sie dann im bombastischen Finale mit viel Körpereinsatz und Enthusiasmus zur Höchstleistung an.
Fast kein Ende nahm der tosende Applaus des begeisterten Auditoriums für diese Glanzleistung des chinesischen Renommierorchesters, Ein Applaus, der die Asiaten sichtlich beeindruckte und erfreute, sodass sie noch eine kurze orientalisch angehauchte Zugabe gewährten.
Text: www.leonardwuest.ch Fotos: www.lucernefestival.ch
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