Kapitale Wien, oder alles bloss Schmäh? Analyse einer Wiederbegegnung von Léonard Wüst

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Wien-Stadt-Panorama-Nacht

Ganze 32 Jahre sind ins Land gegangen, seitdem ich das letzte und bisher einzige Mal in Wien war, damals die östlichste Hauptstadt Westeuropas, kurz vor dem „Eisernen Vorhang“, dahinter war der Ostblock. Im Oktober 1987 reisten wir, sechs Kollegen, Stammtischhobbyjasser, mit der, damals noch existierenden, stolzen Swissair an. Diesmal, alleine, reiste der Kluge im Zuge, in Kopf Erinnerungen an damals abrufend und, wie Teile eines zerstörten Mosaiks, die einzelnen Stückchen zusammensetzend. Damals dauerte so ein Trip drei, vier Nächte und man nannte sowas Städtereise und das kostete ein Vielfaches dessen, was man heutzutage dafür berappen muss.

Geldwechsel war damals und auch heute angesagt

Wiener Staatsoper Aussenansicht

Damals wie heute war Geldwechsel angesagt, damals erhielt man für einen Schweizer Franken 12 Alpendollar, wie die österreichischen Schillinge liebevoll betitelt wurden. Diesmal wechselte ich halt unser Fränkli in Euro, da reicht so einer aber nicht mal für einen ganzen dieser europäischen Währung. Damals war mir, nebst der Reise an sich, wichtig, dass in der Pauschale auch ein Ticket für das Musical „Cats“ mit Angelika Milster in der deutschen Erstfassung am „Theater an der Wien“ mit dabei war. (Diese Tickets wurden damals fast wie Wertpapiere gehandelt, waren entsprechend schwierig, oder eben, nur durch  Reisebüros, die über zugeteilte Kontingente verfügten, zu erhalten).

Pratereingang hereinspaziert

Meine Kollegen, der Bitte eher skeptisch nachgebend, nach dem Besuch so hell begeistert, dass wir unsere Programme von einem Taxi ins Hotel bringen liessen, da es ja noch weiter ging ins berühmte Wiener „Bermuda Dreieck“, um uns, wie jeden Abend, (man war ja noch jung), ins Nachtleben zu stürzen. Kulturprogramm, damals eher nebensächlich, lief tagsüber so nebenher, also z.B. die Besichtigung des Hundertwasserhauses, eine Führung durch die Staatsoper, ein Kaffee mit Torte im Hotel Sacher, Besuch des Stephansdomes, natürlich des Zentralfriedhofes etc. Bei den nächtlichen Aktivitäten ergaben sich einige erfreuliche Kontakte, vor allem mit jungen Musikern im legendären „Roten Engel“, einige dieser Freundschaften dauern bis heute an.

Grundsätzliches zum „Roten Engel“

Roter Engel Symbolfoto

Mehr als 7000 Live-Auftritte mit mehr als 60.000 Zuhörern – 5840 Nächte wurden hier zum Tag gemacht. „Im Roten Engel der Achtzigerjahre habe ich gelernt, um das Publikum zu kämpfen. Und ich habe damals auch gelernt, mein Lampenfieber in den Griff zu bekommen, denn ich habe mich anfangs vor jedem Auftritt ,angspiebn’“, erinnert sich zum Beispiel der heute weltbekannte Hubert von Goisern.

„Wir sind alle Engel und der Teufel der kriegt Prügel, wo Musik ist, lass dich nieder und das tun wir immer wieder. Wir sind alle Engel, haben zwar nur einen Flügel, doch wir spielen und wir toben, hier im roten Himmel oben“ – die Zeilen widmete einst Musiker Tschako dem Wiener Kult-Lokal „Roter Engel“, jenem Club im Bermudadreieck, wo viele Musikerkarrieren ihren Anfang nahmen.

Roter Engel Symbolbild

Ein grösseres Konzert von Tschako, dessen Lieder damals zensuriert und am Radio nicht gespielt werden durften, erlebten wir an einem andern Abend noch in einem Kellerlokal nahe des Zentralfriedhofes. Mit dem Boogie Woogie – Bluespianisten Michael Pewny, der damals während seines Studiums ab und an im „Roten Engel“ engagiert war und den ich spontan für einen Frühlingsball in der Schweiz engagierte, verbindet mich bis heute eine herzliche Freundschaft.

Prallgefüllte Kulturprogrammagenda

Schloß Schönbrunn

Also war eigentlich ein „Vorbeischauen“ im „Roten Engel“ in Begleitung von Michael Pewny eingeplant, aber erstens kommt es anders und eben, anders als man plant. Diesmal reiste ich mit reichgefüllten Kulturprogramm an, darunter zwei Opern Besuche an der Staatsoper, ein Sinfoniekonzert im Konzerthaus und nicht fehlen durfte selbstverständlich auch ein Heurigenabend mit der von mir so geliebten „Schrammelmusik“.

Wiens ÖPNV funktionert sehr gut

Auch eine Rundfahrt mit dem Hop on hop off Touristenbus hatte ich im Voraus gebucht, die bequemste Art, einige der interessantesten Sehenswürdigkeiten der Stadt in kompaktem, gerafftem Durchlauf zu besichtigen, vom Stephansdom über den Prater bis Schloss Schönbrunn gabs viel zu bestaunen. Im Übrigen: für die Fahrten zwischen den einzelnen Sehenswürdigkeiten bietet sich auch der ÖPNV bzw. die von den Einheimischen liebevoll „Öffis“ genannt, perfekt an. Alle Sehenswürdigkeiten und Attraktionen sind, für nähere Erkundungen, problemlos auch per Bus, Tram oder U-Bahn zu erreichen. Kulinarisch hab ich mir das berühmte Wiener Schnitzel verkniffen, nicht aber einen Tafelspitz mit Apfel – Oberskren. Den obligaten Apfelstrudel natürlich verkostet, für die Sachertorte im gleichnamigen Hotel hats nach dem Café Demel Besuch, wo ich mit einer Wiener Reisejournalistin, die ich auf einer Pressereise in Potsdam kennen gelernt hatte, verabredet war, nicht mehr gereicht, Palatschinken steht dann irgendwann in Budapest wieder mal auf dem Speiseplan, obwohl die mir im allgemeinen einfach zu üppig sind, ob in Wien oder irgendwo in Ungarn. Zum Naschmarkt hab ich es ebenso wenig geschafft, wie zum Theater an der Wien, schlicht zu gedrängtes Programm.

War 1987 eher Nachtleben angesagt, stand diesmal Kultur an erster Stelle

Bernadette und Hermann Weinzirl

Dafür hatte sich mir, vor dem Konzertbesuch im Wiener Konzerthaus, eine neue kulinarische Seite der Wiener Gastronomie eröffnet. Wiener Schmankerln, die in eine neue, überraschende Welt zeitgenössischer österreichischer Gastronomie entführten, dies vor dem Jubiläumskonzert zu 100 Jahre Oslo Philharmonic Orchestra im grossen Saal des stolzen Wiener Konzerthauses, unweit des Gebäudes des legendären „Wiener Musikvereins“, in dem jeweils das weltweit beliebte Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker stattfindet.

Dirigent Vasily Petrenko Foto Mark Mc Nulty

Und in ebendiesem Haus befindet sich auch das Restaurant „Weinzirl“, das selbsternannte „Domizil der kleinen Gerichte“. Nachdem ich kurzfristig, ich verfügte über zwei Pressekarten, mit der extrovertiert-amüsanten, kultivierten Wiener Schriftstellerin Cara Roth noch eine adäquate Begleiterin „auftreiben“ konnte, stand einem grossartigen Abend nichts mehr im Weg.

Meine Wiener Konzertbegleiterin Cara Roth, Schriftstellerin

So liessen wir uns denn mit den, sowohl  geschmacklich, wie auch optisch perfekten Schmankerln verwöhnen, genossen den Gaumen- vor dem anschliessend noch zu geniessenden Ohrenschmaus im Konzertsaal.

Hatte ich 1987 noch eine Fahrt auf mit dem Wiener Riesenrad und eine Runde  Achterbahn, inkl. Looping absolviert, reichte es diesmal nicht mal zu einem kurzen Besuch des Praters, ebenso liess ich das „Hundertwasserhaus“ diesmal links liegen.

 

 

Auf den Spuren von Harry Lime

Mit Ursula und Michael Pewny im Zwölfapostelkeller beim Stadtheurigen

 

Dafür schaffte ich es diesmal in die Wiener Unterwelt, nicht grad so tief wie Harry Lime im Film „Der dritte Mann“, aber etliche Meter unter die Oberfläche gings schon beim Besuch des Stadtheurigen in einem der Keller im „Zwölfapostelkeller“. Ein Abstieg, der aufgrund der steilen Stufen, trotz Handlauf, nicht ganz ohne ist und „angesäuselt“ wohl besser gemieden werden sollte.

Stephansplatz bei Nacht

Gestärkt durch einen üppigen Heurigenschmaus mit der dazu passenden Schrammelmusik hatte uns die Wiener Oberfläche wieder und ein kurzer Verdauungsspaziergang zum unweit gelegenen Stephansdom war der logische Abschluss des Heurigenprogrammes.

 

 

 

 

 

 

 

Retour ins Jahr 1987

Wiener Staatsoper Innenansicht

Bei einem Abendessen spätnachts, d-h. nach Mitternacht verkaufte ein Zeitungverkäufer im Restaurant die druckfrische „Kronenzeitung“ mit der Schlagzeile: Am gestrigen 11. Oktober wurde der deutsche Politiker  Uwe Barschel, ehemaliger Ministerpräsident von Schleswig-Holstein (1982 – 87), tot in der Badewanne seines Zimmers im Genfer Hotel „Beau Rivage“ aufgefunden. Die genauen Umstände seines Todes, ob Suizid, Mord oder natürlicher Tod, sind bis heute nicht restlos geklärt. Es war auch die Zeit des „Lucona Skandals“ in dem der damalige Prokurist  des Wiener Kaffeehauses Demel und Enfant terrible der Wiener Gesellschaft, Udo Proksch, offensichtlich Drahtzieher und Nutzniesser eine grossen Versicherungsbetruges war. Zur Klärung der Verwicklung von Politikern in den Fall, insbesondere politischer Verbindungen zur SPÖ („Club 45), wurde zwischen 1988 und 1989 ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eingesetzt, in dessen Folge der Nationalratspräsident Leopold Gratz und der Innenminister Karl Blecha (beide SPÖ) zurücktraten. Die juristische Aufarbeitung des Vorfalls stürzte das Land in einen nie da gewesenen Politskandal: 16 Politiker, Juristen und Spitzenbeamte wurden von ihren Posten entfernt, angeklagt oder verurteilt; der österreichische Verteidigungsminister Karl Lütgendorf starb bereits 1981, vermutlich durch Suizid. Politisch also eine durchaus turbulente Zeit damals, die wir auch in Wien, trotz ausgiebigem Nachtleben, durchaus mitbekamen.

Eine der involvierten Personen hielt später meine Erinnerung an Wien wach

Wiener Schriftstellerin Cara Roth

Greta Fischer, damalige Geschäftsführerin des Demel und Freundin von Udo Proksch, soll in dieser Angelegenheit auch nicht ganz aussen vor gestanden haben. (Ein Strafgericht im Kanton Fribourg verurteilte Erwin Egger, Inhaber der Decobul und Greta Fischer, Verwalterin von Prokschs Briefkastenfirma Zapata wegen Urkundenfälschung und Betrug. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Lieferung der Urananlage mittels gefälschter Papiere lediglich vorgetäuscht wurde. Schriftgutachter waren zu dem Schluss gekommen, dass einige der Dokumente, die der Bundesländerversicherung nachgereicht wurden, erst nach dem Untergang der Lucena angefertigt worden waren). Diese besagt Greta Fischer ist u.a. „mitschuldig“, dass ich diese Wienreise nie ganz aus dem Kopf bekam, denn eines Tages, ca. Mitte 1988, stellte mir eine meiner Kellnerinnen eine Dame, die in unserem Bistro einen Kaffee trank, als ihre Wohnungsnachbarin, Frau Greta Fischer, vor. Meine Nachfrage, ob sie aus Wien stamme, bejahte sie. So kam die ehemalige Demel Geschäftsführerin, die jetzt in einem kleinen Nachbardorf lebte ab und zu nach ihren Einkäufen in unserer Kleinstadt auf einen Kaffee und einen kurzen Schwatz über Gott und die Welt, aber sicher nicht über Lucona, bei uns vorbei, wobei sie sich als kluge, äusserst gebildete Person entpuppte. Auch die Konzertauftritte von Michael Pewny, den ich noch ein paarmal engagierte, hielten meine „Memories of Vienna“ immer latent am Köcheln und bestärkten mich im Wunsch, diese charmante Stadt, von der ich, zumindest bei Tageslicht, noch nicht so viel gesehen hatte, wieder mal zu besuchen. Als es mir in Mai 2019 überraschend gelang, das Online Ticketsystem der Wiener Staatsoper zu überlisten und vorzeitig Karten zu bestellen, war ein Besuch für den folgenden Oktober schnell fixiert, die Akkreditierung für 2 Personen für das Jubiläumskonzert des Oslo Philharmonic Orchestra wurde umgehend erteilt, ein Gegengeschäft mit dem Zwölfapostelkeller schnell eingefädelt. Zudem buchte ich eine gemütliche Wohnung anstelle eines Hotelzimmers, damit ich genügend Platz hatte, die für meine Arbeit unerlässlichen elektronischen Geräte, Laptop, I Pad usw., anzuschliessen und zu platzieren. Da ich sowieso relativ weit in den Osten fuhr, drängte sich ein anschliessender Besuch der nahe gelegenen slowakischen Hauptstadt Bratislava geradezu auf, zumal ich diese noch nicht kannte. Da auch dort eine Mozart Oper und ein Sinfoniekonzert programmiert waren die mich interessierten, war auch dieser Besuch relativ schnell organisiert, inklusive Akkreditierungen für genannte zwei Events, sowie der Transfer mit dem „Twin City Liner“ auf der Donau von Wien nach Pressburg. Von den sechs Reiseteilnehmern von 1987 sind drei inzwischen leider viel zu früh verstorben, sodass ich meine neuen Wienerfahrungen nur noch mit zweien erörtern kann.

Links auf die andern Artikel von Wien und Bratislava:

Konzerthaus Oslo Philharmonic orchestra Leif Ove Andsnes, 19.10.19

https://innerschweizonline.ch/wordpress/wiener-konzerthaus-oslo-philharmonic-leif-ove-andsnes-piano-dirigent-vasily-petrenko-16-oktober-2019-besucht-von-leonard-wuest/

A midsummer nights dream Staatsoper Wien 13. Oktober 2019

https://innerschweizonline.ch/wordpress/wiener-staatsoper-benjamin-britten-a-midsummer-nights-dream-13-oktober-2019-besucht-von-leonard-wuest/

Heuriger mit Schrammelmusik im 12 Apostelkeller Wien, 15. Oktober 2019, eine Reportage von Léonard Wüst

https://innerschweizonline.ch/wordpress/heuriger-mit-schrammelmusik-im-12-apostelkeller-wien-15-oktober-2019-eine-reportage-von-leonard-wuest/

Die Frau ohne Schatten, Staatsoper Wien 19. Oktober 2019

https://innerschweizonline.ch/wordpress/wiener-staatsoper-richard-strauss-die-frau-ohne-schatten-18-oktober-2019-besucht-von-leonard-wuest/

Nationaltheater Bratislava, Wolfgang Amadeus Mozart Così fan tutte, 23. Oktober 2019, besucht von Léonard Wüst

https://innerschweizonline.ch/wordpress/naionaltheater-bratislava-wolfgang-amadeus-mozart-cosi-fan-tutte-23-oktober-2019-besucht-von-leonard-wuest/

Slovak Philharmonic Konzert zum 70. Geburtstag , 25. Oktober 2019

https://innerschweizonline.ch/wordpress/slovak-philharmonic-konzert-zum-70-geburtstag-25-oktober-2019-besucht-von-leonard-wuest/

Text und Fotos: www.leonardwuest.ch

Paul Ott: http://paul-lascaux.ch/

www.oursecretlibrary.wordpress.comwww.weinzirl.at/www.zwoelf-apostelkeller.athttp://www.pewnyboogie.at/german.htm

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