Besetzung: Cher und Band
Support Act Cimer
Rezension:
Man kann nicht über Cher reden, ohne ihr Alter zu thematisieren. Deshalb gleich vorweg: Ja, Cher ist 73 Jahre alt. Eine mutige und beinahe lebensmüde (aber auch lukrative) Entscheidung, sich in diesem Alter nochmal eine Welttournee mit 82 Terminen in 74 Städten (davon 19 in Europa, davor 14 in Australien und Neuseeland, 34 in Nordamerika, danach nochmal 15 in Nordamerika, Ende ist am 19. Dezember in Dallas) ans Bein zu binden, oder? Könnte man meinen. Aber Cher wäre nicht Cher, wenn sie diesen Umstand im Laufe ihres Konzerts nicht selbst mehrfach, ironisch und herzlich ansprechen würde.
Support Acts zum Abtörnen
Vorher aber wurde das Publikum noch angeheizt von einem D.J. namens „Kid cut up“, der nach einer halben Stunde die Bühne temporär freimachte für den offiziellen Support Act: „Crimer“. Alexander Frei mit richtigem Namen, ein zappelnder Ostschweizer, irgendwie eine Mischung aus Michael von der Heide in den Flegeljahren und einem Spastiker gab sich und hatte Mühe, das Auditorium mitzunehmen, bleibt aber trotzdem endlos lange auf der Bühne. Jetzt kommt sie, hofft man, als er endlich abtaucht, aber es erscheint nochmals der D.J. und lässt seine immer gleichen Beats erneut hallen.
Dann endlich erscheint Superstar Cher
Als dann um Viertel nach Neun, nach einem Videovorspiel der Vorhang fällt, schwebt sie ein. In einem goldenen Stehthron wird die Diva engelsgleich und mit blauer Perücke, ein bisschen wie Galactica aus „Hallo Spencer“, von der Decke hinabgelassen. Unten warten ihre Tänzerinnen und Tänzer im Römer Gladiatoren Outfit sowie eine Live Band auf ihre Anführerin. Die tut sich sichtbar schwer, in der Choreografie zum Opener „Woman’s World“ nicht unterzugehen. Der Gesang scheint hier noch Playback zu sein. Nach dem zweiten Song „Strong Enough“ von ihrem 22. Studioalbum BELIEVE (1998), setzt Cher zu einer zentralen, leider viel zu langen Rede an.
Elendlanger Monolog liess die Stimmung hurzzeitig absinken
Nach ein paar Scherzen über ihre Deutschkenntnisse und David Letterman („die unsympathischere Version von Thomas Gottschalk) erinnert sie sich an ihren 40. Geburtstag. Damals musste sich die Schauspielerin und Sängerin unter anderem von Jack Nicholson anhören, dass sie nun zu alt für bestimmte Rollen sei. Die Geschichte gab ihr recht: „Nur weil du alt bist, bist du nicht zwingend weg vom Fenster“, so ihr Fazit, und, in bester Cindy-Lauper- oder Sheryl-Crow-Manier: „Girls can do anything they wanna do.“
Was macht Deine Oma denn heute Abend
Bevor Cher sich in die Garderobe zum nächsten von noch sehr vielen kommenden Kostüm-, Perücken- und Kulissenwechseln verabschiedet, stellt sie noch eine rhetorische Frage an ihr Publikum: „What is your granny doing tonight?“ – „Was macht eure Oma heute Abend?“ Spätestens jetzt hatte Cher alle für sich gewonnen. Die älteren Damen und Herren unter den Zuschauern, ihre Fans aus der LGBTQ*-Community, für die sie auch eine Heldin ist, alle, die die Chance nutzen wollten, einen der noch wenigen ganz großen Popstars vielleicht zum letzten Mal live zu sehen.
Aufklärung für die, die den Superstar nur als Sängerin kennen
Für die Anwesenden, die Cher nur als Sängerin kennen, werden in den Kostümwechselpausen alte Interviews, Sketche und Szenen aus den Filmklassikern gezeigt, in denen sie mitspielte: „Silkwood“, „Suspect“ und „Die Hexen von Eastwick“, zum Beispiel. Für ihre Hauptrolle in „Moonstruck“ als Frühwitwe Loretta Castorini gewann Cher 1988 einen Oscar als „Beste Schauspielerin“. Ihr Dilemma, das sich durch ihre Karriere zog und aus dem sie eine Tugend machte, fasst Cher in einem eingespielten Zitat ebenfalls selbst zusammen: „Sänger sahen mich nicht als Sängerin, Schauspieler nahmen mich nie als Schauspielerin ernst. Ich gehörte niemals irgendwo dazu.“
Ein würdiger Bühnenabschied – wenn es denn einer ist
Es folgt ein übersichtliches, spektakulär dargebotenes und live gesungenes Best-Of aus ihrer 54-jährigen Musikkarriere: Zu „Gayatri Mantra“ reitet Cher auf einem mechanischen Elefanten ein, singt danach „All Or Nothing“, schmeißt zu „Welcome To Burlesque“ eine, logisch, Burlesque-Einlage, in der sie selbst aber niemals übertrieben lasziv und erotisch posiert . Sie feiert eine Party zu drei ABBA-Songs ihres 2018 erschienenen Cover-Albums DANCING QUEEN, covert zudem Michael Bolton. Unter all der glitzernden Oberfläche schafft die Popikone es immerhin, mit drei von ihren bekanntesten Liedern nicht nur zu unterhalten, sondern auch zu berühren.
Western Feeling auf Leinwand projiziert
Ihr Marc-Cohn-Cover „Walking In Memphis“ singt sie vor einer projizierten Midwestern-Kleinstadt, in der lauter Plakate mit dem Worthybrid „Chelvis“ hängen; der „Shoop Shoop Song (It’s In His Kiss)“ verzückt ebenso; „If I Could Turn Back Time“ mündet in ein minutenlanges Solo ihres Livegitarristen, der auch als Duff-Mc-Kagan-Double durchgehen könnte. Der ewige Kirmes-Hit und Autotune-Durchbruch „Believe“ darf als Finale wohl oder übel nicht fehlen, schließlich bescherte er Cher ihren größten kommerziellen Single-Erfolg aller Zeiten und wurde dementsprechend vom begeisterten Auditorium bejubelt und beklatscht.
Hommage an ihren verstorbenen Ex Mann und Duo Partner Sonny Bono
Der bewegendste zugleich auch skurrilste Moment aber ist der, als Cher, recht früh im Set, „The Beat Goes On“ und „I Got You Babe“ im Duett mit Sonny Bono singt: Ihr vor 20 Jahren verstorbener Ex-Ehemann wird, seinen Part quäkend, auf einer Leinwand gezeigt, Cher schaut ihn bei ihren Gesangseinlagen an. Sie weiß wohl selbst um die Fragwürdigkeit dieses Unterfangens: „Ich habe überlegt, ob ich das, was jetzt kommt, jetzt mache oder erst auf meiner nächsten Welttournee.“ Was wie ein weiterer Witz klingt, muss nicht unbedingt einer gewesen sein: Eigentlich wollte Cher schon 2004, nach ihrer „Dressed To Kill“-Tournee, ihre Livekarriere beenden. Vielleicht ist das hier wirklich ihre letzte Tour. Sie wäre ein würdiger Bühnenabschied gewesen.
Text: www.leonardwuest.ch
Veranstalter und Fotos: https://www.abc-production.ch
Kleine Fotodiashow des Events von Ruedy Hollenwäger:
Trailer des Konzertes:
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